zur Sammlungsübersicht

Le Bon täglich (10)

Geschrieben von dottore am 27. Juli 2000 09:56:06


"Welche Ideen den Massen auch suggeriert werden mögen, zur Wirkung können sie nur kommen, wenn sie in sehr einfacher Form aufzunehmen sind und sich in ihrem Geist in bildhafter Erscheinung wiederspiegeln."

(Als jemand, der das Phänomen "Bild" bestens kennt, muss ich sagen: extrem klar gedacht, immerhin erschienen damals, 1895, weder Boulevard-Presse noch gab's TV oder "Big Brother"-Watching am PC. Auch gab's noch keine Kurskurven, Mr. Dow fing damit gerade erst an, heute aber sind diese und ihre Wirkungen unbestreitbar, jedenfalls für die "Masse" Börsianer, was übrigens auch sehr schön die Beobachtung belegt, dass Leute, die mit ihrem Depot im Minus sind, nicht etwa "cut your losses short" machen, sondern immer sagen: "Da schau' ich gar nicht mehr hin" - ein Quote, das ich von Kollegen und Kolleginnen jetzt jeden Tag höre; sie bilden sozusagen die Masse der "Bild-Negierer" - die Absturz-Fotos der Concorde aber schauen sie immer noch fasziniert an).

"Kein Band logischer Übereinstimmung oder Folgereichtigkeit verbindet diese Vorstellungsbilder miteinander. ... Man wird also einsehen, dass in der Masse die entgegengesetztesten Vorstellungen einander folgen."

(Eben noch: Rein in Aktien, das sieht man doch schon am Kursverlauf (dass das mit den expoentiellen Blow-off-Kurven nicht gut gehen kann, wird verdrängt). Und kurz darauf: Das ist ja schrecklich, wie konnte so was bloß passieren, man spreche bloß mal mit Telekom-Ex-Freaks. Und schließlich: Nie wieder, alles Gangster, die mich bloß abzocken wollten).

"Unter dem Einfluss einer der verschiedenen in ihrem Verstand (!) aufgespeicherten Ideen folgt die Masse dem Zufall des Augenblicks und wird infolgedessen die verschiedenartigsten Taten begehen. Der völlige Mangel an kritischem Geist lässt sie die Widersprüche nicht sehen."

(Serh gut! Irgendwer setzt in den "Verstand" der Masse die Idee, Aktien sind langfristig immer noch die beste Geldanlage und sie folgen dem, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was denn überhaupt "langfristig" heisst. Gestern Abend war in den Tagesthemen eine Pappnase zu bewundern, die doch - "Chefstratege" oder "Chefanalyst" vermutlich - tatsächlich sinngemäß sagte: Langfristig seien Aktien unschlagbar, jedenfalls für die nächsten "ein, zwei Jahre". Frau Bauer lächelte anschließend dummdreist - wie immer - in die Kamera. Offenbar haben die TT inzwischen schon keinen Chefredakteuer mehr, der solchen Unfug aus dem Programm nimmt).

"Man darf nicht glauben, eine Idee könne durch den Beweis ihrer Richtigkeit selbst bei gebildeten Geistern Wirkungen erzielen. Man wird davon überzeugt, wenn man sieht, wie wenig Einfluss die klarste Beweisführung auf die Mehrzahl der Menschen hat. Der unumstößliche Beweis kann von einem geübten Zuschauer angenommen worden sein, aber das Unbewusste in ihm wird ihn schnell zu seinen ursprünglichen Anschauungen zurückführen. Sehen wir ihn nach einigen Tagen wieder, wird er aufs Neue mit genau denselben Worten seine Einwände vorbringen."

(Jede Diskussion ist daher per se sinnlos, das hatte auch schon Schopenhauer gelehrt in seiner berühmten Stelle in der "eristischen Dialektik" - griech.: eris = Streit - wo er sinngemäß schreibt: Alle Argumente, die sich an den Verstand und nicht an das Gefühl richten, haben keinen Sinn).

"Ideen brauchen lange Zeit, um sich in der Masse festzusetzen, und sie brauchen nicht weniger Zeit, um wieder daraus zu verschwinden ... Alle Staatsmänner wissen heute, wie viel Irrtum in den Grundideen steckt; da aber ihr Einfluss noch sehr stark ist, so sind sie genötigt, nach Grundsätzen zu regieren, an deren Wahrheit sie nicht mehr glauben."

(Man vergleiche dazu Alan Greenspan, der in den 60er Jahren ein fanatischer Anhänger des Goldstandards war und schreibt: "Eine geradezu hysterische Feindschaft gegen den Goldstandard verbindet Staatsinterventionisten aller Art. Sie spüren offenbar klarer und sensibler als viele Befürworter der freien Marktwirtschaft, dass Gold und wirtschaftliche Freiheit untrennbar sind, dass der Goldstandard ein Instrument freier Marktwirtschaft ist und sich beide wechselseitig bedingen." Und heute ist Greenspan d e r Staatsinterventionist schlechthin. Sein Aufsatz, erschienen im "The Objectivist" der Ultrakapitalistin Ayn Rand, wurde von mir in WELT am SONNTAG nachgedruckt als AG Fed-Chef wurde. Das anschließende Aufjaulen, z.B. von Kostolany, war herzzerreißend. Der volle AG-Text jetzt nachzulesen in der ganz exzellenten Broschüre "Die Geldfalle" von Reinhard Deutsch 069-701020, R.Deutsch@vff.uni-frankfurt.de. Was Deutsch völlig klar herausgearbeitet hat, wiewohl ich seine "Silberexplosions-These" (noch) nicht teile, ist MUST READ für dieses Board hier).

Morgen: Die Urteile der Massen