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Re: HEUREKA: Prähistorischer Handel

Geschrieben von dottore am 31. August 2005 15:58:26

Als Antwort auf: HEUREKA: Prähistorischer Handel geschrieben von Diogenes am 30. August 2005 15:06:35

Hi Diogenes,

vorab besten Dank für Dein unermüdliches Suchen. Schauen wir uns die Sachen etwas genauer an.

>Ich habe auf Wikipedia einen Artikel über prähistorischen Handel gefunden. Darin heißt es unter anderem:
>"Trade originated with the start of communication in prehistoric times. Trading was the main facility of prehistoric people, who bartered goods and services from each other. Peter Watson dates the history of long-distance commerce from circa 150,000 years ago.[1]

Warum „long-distance“? Wäre es nicht einfacher gewesen, mit dem Nachbarn zu handeln?

Wie haben die Menschen „kommuniziert“? Wie wusste ein Stamm (und prae-historisch dürfen wir von Stämmen ausgehen), dass sich Hunderte, wenn nicht Tausende Kilometer entfernt ein anderer Stamm befindet, der etwas hat, was den ersten Stamm interessieren könnte?

@Popeye hat die Stärke der prae-historischen Stämme mit ca. 100 bis 150 Menschen angegeben, wenn ich mich richtig erinnere. Von Feld-Anthropologen über die Wiki-Redaktion bis hin zu Studien bekannter Unternehmensberater ist die 150 als „Dunbar Number“ (Dunbar, Anthropologe in London) bekannt (abgeleitet vom Neocortex/Großhirnrinden-Volumen) und wird damit gearbeitet:

Inzwischen von Ross Mayfield und anderen weiterentwickelt:

Die den prae-historischen Stämmen handelt es sich zweifelsfrei um die mittlere Schicht („social networks“). Sehr schön auch in der Grafik zu erkennen, dass „political networks“ (oben mit Zusatz „Power-Law“) in die Tausende gehen. Man braucht also schon etwas mehr Menschen, um über mehrere Gruppen/Stämme Macht und Herrschaft aufzurichten, was auch die Geschichte der Eroberer und Herrscherklassen lehrt (was aber hier nicht das Thema sein soll).

So haben wir also einen ersten entscheidenden Einwand gegen den Long-Distant-Trade: Die Stämme hätten über sehr lange Zeit hin (mindestens weit über eine Jagd- oder Ernte-Saison) auf die meisten ihrer besten und stärksten Leute verzichten müssen, nur Alte, Kinder und Frauen wären zu Hause geblieben. Dass der Häuptling und sein Clan (ca. 7 bis 10, mutmaßlich auch mehr) sich als „Händler“ auf den Weg gemacht hätte, kann ausgeschlossen werden.

Möglich allerdings: Vom Stamm mit einer mittleren, durchschnittlichen Zahl („mean number“) von 150 hat sich (siehe die abfallende „Ertragskurve“) sich ein „Überschuss“ abgespalten, dies aber dann ein für alle Mal (über die Rolle dieser „Überschüssigen“ gibt es massenhaft Literatur, u.a. zur Klosterentstehung, zur „ver sacrum“-Problematik, auch Heinsohn ist zu nennen, letztes Stichwort „youth bulge“).

Dieser „Unter-Stamm“ zog natürlich nicht unbewaffnet los, sondern nahm just jene Waffen (die er nicht gegen seinen Stamm-Stamm eingesetzt hätte oder nur in Ausnahmefällen) mit, die der Stamm-Stamm ebenfalls zur Verfügung hatte. Dort, wohin der Unter-Stamm zog bzw. sich dann endgültig niederließ (möglicherweise eben durchaus „sehr weit weg“), finden wir also logischerweise jene Waffen (Obsidian, Feuerstein), die „so weit weg“ gefunden wurden.

Davon, dass der Neu-Stamm – so wie die Lachse zum Laichen – wieder an den Ort des Stamm-Stamms zurückgekehrt wäre und dies überdies auch noch mit „Waren“ aus seinem zwischenzeitlichen oder endgültigen Siedlungsgebiet kann keine Rede sein. Er hätte zudem nicht nur seine eigenen Waffen (Obsidian!) mitnehmen müssen, sondern solche als „Handelsgut“ noch dazu.

Die hätte er dann anderen (welchen?) überlassen müssen, was ihn selbst gefährdet hätte. Das Modell, das hier aus blauem Himmel herab von den „Friedlich-Tausch“-Freaks fabuliert wird, entpuppt sich vollends als lächerlich, wenn man dies mit einer bestens belegten „Erkundungsfahrt“ vergleicht, nämlich der des Kolumbus in die Neue Welt, wie in seinem Brief („De insulis nuper inventis“ = Über die jüngst entdeckten Inseln, diverse Ausgaben, auch andere Titel) an die spanischen Könige bestens dokumentiert.

Wenn schon der „früheste“ Handel mit Waffen (Obsidian) als Handelsgut der einen Seite gelaufen sein soll (und das bis heute als Konstante der Weltgeschichte), hätte Kolumbus mit den Indianern nicht Gold nicht gegen irgendwelchen Tand „getauscht“, sondern selbstverständlich gegen seine WAFFEN.

Warum hat er das denn nicht getan? War er wirklich blöder als jene, die 100.000e von Jahren vor ihm dieses schöne Geschäft so perfekt beherrschten, wie die von Dir aus dem Web gefischten Quellen (und natürlich viele andere mehr) so standhaft behaupten?

>und weiter:
>"There is evidence of the exchange of obsidian and flint during the stone age."

Ein Fund, entfernt vom Herkunfts-/Herstellort, für Obsidian u.a. hier (es gibt noch detaillierte Karten),

beweist in Sachen „exchange“ ganz einfach überhaupt nichts, siehe eben.

>
>Ich habe also gesucht und u.a. gefunden:
>1) Discovery Of Ancient Obsidian Quarry Helps Define Prehistoric Andean Trade Networks
Wieso „Handel“? Wie es unter den prae-kolumbianischen Stämmen zugegangen ist, haben wir oft genug beleuchtet („Origin of War“, usw.). Der weiteste Weg, den Obsidian zurück gelegt hat = 189 Meilen. Und dann das on top:

“It was not always traded, however, and long-distance trade of Cotallalli obsidian can only be reliably traced back as far as 2,500 B.C.“

Da sind wir sogar schon mitten drin in den ununterbrochenen Macht- und Tributerzwingungskämpfen. Wer handelt denn mit dem Feind (und sei er zunächst nur ein potenzieller) Waffenmaterial? Haben die sich in den kargen Anden ums Überleben kämpfenden Stämme (dann Reiche) etwa gegenseitig aufgerüstet? Ich habe selbst solche Obsidian-Waffen aus Mexiko und die sind so scharf, dass man sich damit rasieren kann (in Mexiko City wurde noch bis vor kurzem beim Barbier mit Obsidian rasiert).

>2) Neolithic polished axe from Waybrook Cottages, Alphington
>This flint axe was produced by the technique of 'pecking and grinding', which produces a polished finish. This is a labourious process, only required for functional use on the cutting edges of axes. The Waybrook Cottage axe, however, is polished all over, showing that much additional work was carried out to improve the axe's aesthetic appearance. Such axes are thought to have been highly prized status symbols, and are known to have been widely traded across western Europe.
>So schaut so dein Ding aus:
>

Was wir „widely across Western Europe“ haben, sind Kriegs- und Beutezüge ohne Zahl. Warum wurde das (Lindisfarne)

von den Wikingern im 8. Jh. Zerstört und dabei dieses


herrliche Manuskript geraubt? Die Herrschaften, die da über See angereist kamen, hätten es doch unschwer „kaufen“ können – zumal die Verkäufer einfache, unbewaffnete Mönche waren, die ganz nebenbei auch noch gemetzelt wurden?

>3)
>About two thousand years ago, Hopewellian Indians, characteristic of eastern woodland tribes, moved into the region near present-day northeast Kansas. The Hopewellians brought domesticated plants, primitive agriculture, and ceramic-making with them. Long-distance trade was also a feature of this group.

Schönes Beispiel einer klassischen Machtstruktur. Diese Herrschaften haben mit Geometrie und Astronomie gearbeitet, damit sie schön zeichnen und Sternlein zählen konnten? Nein. Die Geometrie diente der Landaufteilung (Untereigentum) und die Astronomie der Festlegung der Abgabentermine, vgl. a. Ray Hively / Bob Horn, Hopewellian geometry and astronomy ..., 1984.

>4)Hisotry of Iran, The 5th to mid-3rd millennia
>"Trade across the northern part of the plateau, through the sites of Hissar and Sialk, most probably involved the transshipment from Afghanistan to Mesopotamia of semiprecious stones such as lapis lazuli. The appearance of proto-Elamite tablets in Sialk IV may bear witness to such trade. So also may the appearance of similar proto-Elamite tablets at Tepe Yahya south of Kerman and in the great central desert provide evidence of trade connections between Mesopotamia and the east--in this case a trade that may have centred on specific items such as steatite and copper."

„Probably“? „May provide evidence“? Wir hatten doch schon lang und breit gehabt, dass Lapislazuli nur zwischen Herrschern getauscht wurde (vgl. die Amarna-Briefe), nirgends davon eine Spur in so etwas wie einem „privaten Bereich“ (Grab, „Kaufmanns-Haus“ usw.). Und Kupfer war das Waffenmetall schlechthin (im Mix, zuletzt und am besten mit Zinn).

>(Die haben übrigens auch mit Mesopotamien Handelsverbindungen gehabt, bereits ganz zu Anfang, bevor diese Großmächte wurden)

Nein. Aus dem Osten (Iran, Luristan, Elam, usw.) sind doch gerade die Eroberer mit ihren Bronzewaffen gekommen, die dann Mesopots kleine Bauerngruppen und –dörfer unterwarfen. Aus Mesopot heraus hat sich nicht eine einzige Großmacht entwickelt. Die Imperien haben immer die Eroberer errichtet, zuletzt noch die Perser – ebenfalls östlich von Mesopot belegen.

Welche mesopotamischen und zwar autochthonen (vgl. Bernbeck in extensis) Kleinbauern, Subsistenzler, Dorfgemeinschaften (immer an die 150 denken) sollen denn (womit?!) Lapis Lazuli gekauft haben? Fundlage in den ausgebuddelten Dörfern absolut Zero.

>5) Eine Karte, die prähistorische Handelsrouten darstellt: (Quelle: Römisch-Germanisches Zentralmuseum)
>

Die Karte ist von Guernsey selbst. Die Leute von Pressigny haben ihre Feuerstein-Waffen („Stone axes“) per Schiff nach Guernsey gebracht und von dort Fische (!) und Getreide (!) mit nach Hause genommen, ca. 500 km Land- und Seeweg? Nix zu fischen an der Loire oder am näher gelegenen Meer? Keinerlei Getreideanbau im (unfruchtbaren?!) Zentral-Frankreich? Keine Möglichkeit, mit Saatgut zu arbeiten? Getreide gedeiht nur auf Guernsey?

Der Keramik-Handel ist übrigens ca. 100 Jahre vor der römischen Invasion – und da gab’s auf der Insel keine Machtstrukturen? Übrigens: Aus der Normandie starteten auch William und seine Jungs 1066. Warum haben sie nicht mit der Insel „friedlich gehandelt“, sondern sie doch glattweg frech erobert?

>6) Ein Buch habe ich auch gefunden:
>Trade and exchange in prehistoric Europe : proceedings of a conference held at the University of Bristol, April 1992
>by Christopher Scarre; Frances Healy
>* Publisher: Oxford : Bloomington, IN : Oxbow Books in association with the Prehistoric Society and the Société préhistorique française ; Available from D. Brown Book Co., ©1993.
>* ISBN: 094689762X

Danke. Solche Bücher gibt’s in Mengen. Was da „exchanged“ (ausgetauscht) wurde, war der dumpfe (Stein) oder helle (Metall) Klang der Waffen. Die Artefakte liegen überall herum. Warum nur findet man nirgends eine Spur der Händler – oder schwebten die auf fliegenden Teppichen (wiederum aus dem Orient „getradet“) ein?

>Es gab also Handel lange vor dem Entstehen der ersten Hochkulturen.

Nein.

>Und das nicht nur lokal begrenzt sondern sogar über lange Strecken.

Wanderten Stämme, siehe oben, und bewaffnet.

>Die zitierten Quellen, die ich soweit gefunden habe, umfassen Europa, Nordamerika, die Anden und Zentralasien/Iran. Das zeigt: Handel ist bereits zu prähistorischer Zeit ein weit verbreitetes Phänomen.

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, zu glauben, dass eine weit entfernte Waffe dorthin „gehandelt“ wurde. Nebenbei: Bei Interlaken (Innerschweiz) in der Sihl wurde sogar ein Schwert mit griechischer (!) Inschrift gefunden. Was für ein „distant trade“, was für eine Marge für den Händler!

>Ich denke, damit ist die Machtheorie entgültig reif zum einmotten.

Nein, lieber Diogenes, sie ist zwar noch nicht ganz „reif“, aber wächst und gedeiht ganz prächtig. Dies auch Dank der vielen, exzellenten Einwände, für die ich nochmals herzlich danke.

Gruß!