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Macht und Stadt

Geschrieben von dottore am 30. August 2004 16:13:32:


Hi,

da wir zwei auseinandergezogene Threads zum Thems "Macht", "Stadt", "Arbeiter" usw. haben, darf ich mir erlauben diese zu einem neuen zusammenzuführen. Ich darf dabei auf die Beiträge von bernor und von Dimi verweisen und mich für die Beiträge bestens bedanken.

Den Stein der Weisen (bernor) habe ich selbstredend auch nicht gefunden. Dennoch möchte ich versuchen, meine Hypothese, wonach Machtausübung (aktuelle oder potenzielle) die entscheidende Rolle für die Entwicklung, in der wir bis heute stecken, der "Driver" gewesen ist anhand einiger zusätzlicher Beobachtungen untermauern. Die Gegenposition, die hier mehrheitlich vertreten ist und auch von nicht mehr aktiven Forumsteilnehmern (Galiani) mit Vehemenz und guten Argumenten vorgetragen wurde, ist bekanntlich diese: Die Entwicklung bis heute hat sich grosso modo "friedfertig" abgespielt. Als "Driver" wären dann eher Kreativität, sich langsam über größere Räume ausbreitende Interaktivitäten, Traditionen, schließlich das "freiwillige" (und private, also nicht herrschaftsgetriebene) Tauschen und Hochtauschen, Erfindungen wie Geld oder bessere Wissensvermittlungen, usw. zu nennen.

Da das Feld nicht erneut "ganz von vorne" aufgerollt werden soll (und kann), darf ich mich dieses Mal auf das Stadtphänomen beschränken.

Zunächst ist bernor zuzustimmen, was die Etymologie angeht. Town, tuun, Zaun sind ganz unstreitig. Wir können es sogar auf urbs ausweiten, das mit dem Hebräischen ir (Plural arim zusammenhängt. Auch das Synonym qirya (Variante qeret, das sich auch im Punischen findet (qrthst = Karthago, als Neustadt) spielt hier hinein.

Dabei spielt das semitische qir (= Wall, Stadtwall) eine Rolle, wie u.a. 4 Moses 35, 4 ("Das Weideland vor den Städten, soll sich 1000 Ellen weit draußen um die Stadtmauer herum erstrecken") nachweist. Dass Wälle etwas mit Gewalt bzw. Gewaltabwehr zu tun haben, versteht sich von selbst. Der schon mehrmals erwähnte Hebraist Baruch Levine spricht im Zusammenhang mit den "biblischen" Städten ausdrücklich von der Funktion der Stadt "as an aggressive [!] power base" (Evaluating Biblical References to Towns and Their Functions 1997 (Vortrag St. Petersburg).

Das biblische "Städtemodell" kennt die typischen Kornspeicher (miskenot) und Zeughäuser für Waffen, die wir auch bei den Hethitern (Nord-Türkei, wobei auf die verdienstvollen Arbeiten von Prof. Peter Neve hinzuweisen ist) und bis hin nach Georgien finden, wo gerade deutsche Ausgräber tätig sind mit höchst eindrucksvollen Belegen (erscheint in Anatolian Metal IV, Bergbau-Museum, Bochum, demnächst).

Zur biblischen (bronzezeitlichen) Stadt als Macht-Konglomerat sei diese Stelle nachgetragen (1 Könige 10, 26): "Und Salomo brachte Wagen und Gespanne zusammen, so dass er 1400 Wagen und 12 000 Gespanne hatte, und er legte sie in die Wagenstädte und zum König nach Jerusalem..." Dass es sich dabei nicht um Ausrüstungen für Händler oder Handelskarawanen gehandelt hat, versteht sich von selbst. Gewaltige "Investitionen", die kaum ohne massiven Abgabendruck hätten bewältigt werden können!

Auf die kaum zu zählenden Städtekriege, wie sie auch und gerade von den Hebräern geführt wurden (Jericho!) muss nicht gesondert eingegangen werden. Auch das akkadische Wort birtu (Akkad mit dem mußtmaßlich ersten Großmacht-Herrscher Sargon im 3. Jt. BC), laut assyrischem Lexikon (Chikago 1956), das dann abgewandelt weiter westlich erscheint, mit unbestrittener Übersetzung als "Festung" oder "Hauptstadt", ist hier zu nennen. Dass sich die(se) Städtegeschichte auf Wogen von Blut und Tränen vorwärts schaukelte, und dass die Großreichsgründungen entsprechende "Driver" für das erwiesen, was wir als "kulturelle Errungenschaften" bestaunen (von Großbauten - leider ist Sargons Hauptstadt selbst noch immer verschollen - bis hin zu feinster handwerklicher Arbeit, ist ein bekannter Standard der Weltgeschichte (Griechenland, Rom, MA, praekolumbianisches Amerika, Medici, überhaupt "Herrscher" inkl. "religiöser" Phänomene en masse).

Was mir zur Stützung der "Freiwilligkeits-These" fehlt, sind - bei aller Achtung vor der sog. "bürgerlichen" Kunst - auch nur annähernd opulente Vergleichsstücke. Warum, so ist zu fragen, hat denn der "freie, private" Mensch diesen abgabenfinanzierten "Kulturexzessen" kaum etwas an die Seite zu stellen?

Nun hat Dimi die These von der Stadt als Handels-Derivat in den Raum gestellt. Ich darf mir erlauben, dies an den beiden, heute als "älteste" Städte geltenden Urbanisationen zu untersuchen: Catal Hüyük (Türkei) und Jericho (Palestina).

Catal Hüyek wird eindeutig im Zusammenhang mit Handelsaktivitäten gesehen. Die Stadt war ein Obsidian-Zentrum, wobei wir den Gewaltwaffen-Charakter des Obsidians außen vor lassen wollen (siehe dazu als beispielhaft die Athen/Melos-Kontroverse).

Catal Hüyek (vor 6500 BC, ca. 6000 Einwohner, 139 Häuser ausgegreben, davon 40 "Schreine") war freilich eine "Tempelstadt" (der Obsidian stammte aus dem gut zu sehenden Vulkan in Stadtnähe, die Abb. ist aus einem der Häuser, die häufig sog. "Heiligstätten" waren, bzw. an sie grenzten:

Ein typisches "Schreinhaus" hatte diesen Grund- bzw. Aufriss (die Bevölkerung stieg durchs Dach in die Behausungen):

Dass hier "normale" Handelsaktivitäten (normal jedenfalls im heutigen Sinne) der "Driver" waren, ist nicht nur aufgrund des gesamten Settings auszuschließen, sondern auch aus der Tatsache, dass sich Catal Hüyük, obwohl zwei Mal in größerem Abstand besiedelt, schließlich völlig verflüchtigte und dies schon 4900 BC. Die Ausgrabungen von James Mellaart begannen erst 1961 - eine wirkliche Sensation und allemal ist die Gegend eine Reise wert.

Wäre Catal Hüyük wirklich das gesuchte steinzeitliche "Handelszentrum" gewesen, hätte man es weiter betreiben können (günstige Handelsrouten, ein gesuchter "Exportartikel"). Selbst Karthago wurde nach der Komplett-Vernichtung durch die Römer (Scipio) wenig später "wieder belebt", wenn auch in bescheidenerem Ausmaß. Die Forschung spricht aufgrund der Einförmigkeit der Hausformen für Catal Hüyük von einer "imposing ruling group" (möglicherweise eine Priesterkaste, die Gottheit war weiblich, wie Artefakte anzeigen).

Nun zu Jericho. Dort finden wir einen (bei ersten Grabungen knapp verfehlten) steinzeitlichen Turm, der sogar in die Vorkeramik-Zeit datiert wird (8000/7000 BC):

Wie und womit und auch worin in der Vorkeramik-Zeit Handel getrieben wurde, ist nicht ganz nachvollziehbar. Der Turm hat 8 Meter Höhe, 8 Meter Durchmesser und 4 Meter dicke Wälle. Ebenfalls ein bedeutendes "Investment", was auch für die bronzezeitlichen Stadtmauern (den "berühmten"?) gilt:

Dass der oder ein "Handel" Jerichos den gewaltigen hoheitlichen Bauwerken, immerhin den ältesten bisher nachweisbaren, vorangegangen sei, will ebensowenig einleuchten wie die Mutmaßung, dort seien "freie Lohnarbeiter" am Werk gewesen. Jedenfalls war der

Herr mit dem Hut vor ca. 5000/6000 Jahren noch nicht am Mauerwerk tätig.

Noch ein letzter Hinweis, die Asyl-Stadt-Theorie betreffend (siehe das Posting betr. Kain als Städtebauer). Die dänischen Ausgrabungen der in Troja-ähnlichen Schichten gebauten Stadt Shiloh (Seilun, Israel) im bronzezeitlichen Stratum (ca. 1600 BC) haben, so die große Monographie von Israel Finkelstein Shiloh. The Archaeology of a Biblical Site 1993, weisen nach, dass 3000 Mann auf einmal tätig gewesen sein müssen, was nur mit Hilfe des Machteinsatzes eines lokalen Fürsten denkbar ist. Shiloh lag übrigens abseits aller damaligen Handelswege.

Levine schreibt dazu (s.o.):

"It turns out that it (Shiloh) first served as a mountain stronghold and redistribution center governed by a headman, or petty ruler, to whom a network of villages was subservient."

Es gibt also noch viel zu tun, um den Stein der Weisen (bernor) zu finden.

Gruß!