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Real-Enzyklopädie (29): Max Weber, die Juristen und die Macht

Geschrieben von dottore am 14. Juli 2002 12:29:48


Hi,

der Rang von Max Weber (1864 - 1920) für die Soziologie und die Erklärung gesellschaftlicher Prozesse ist allgemein anerkannt und darf hier vorausgesetzt werden bzw. lässt sich im Allgemeinen und Speziellen unschwer mit Hilfe von Standardwerken und Lexika nacharbeiten.

Webers Kapitalismus-Theorie ex protestantischer Ethik und damit der Abkehr vom Machtsystem des Feudalismus, ist legendär. Seine Behandlung u.a. der Ideen und Theorien von Karl Marx kann als vorurteilsfrei und vorbildlich gelten.

Im Zentrum von Webers Betrachtungen stoßen wir immer wieder auf Herrschaft und Macht. Der Begriff "Herrschaft" überhaupt ist ihm zuzurechnen, er wurde als Gegenstück zum Begriff "Genossenschaft" (Gierke) mit Inhalten erfüllt und diskutiert.

Wie Werner Sombart ("Moderner Kapitalismus"), mit dem er gemeinsame Aktivitäten entwickelte, und sich heftig fetzte, galt Weber zunächst als Borderman des mainstreams. Seine Gedanken stießen jedoch mehr und mehr ins Zentrum vor. Sein einschlägiges Hauptwerk "Wirtschaft und Gesellschaft" konnte von ihm nicht zu Ende gebracht werden und wurde, z.T. fehlerhaft, posthum ediert (diverse Auflagen).

Ich nehme an, dass Weber, dem ökonomische Phänomene bestens vertraut war und der in den reichen Schatz der deutschen historischen Schule greifen konnte, bei längerer Beschäftigung mit dem Phänomen "Herrschaft" über Analyse und Darstellung von deren Typologien und Erscheinungsformen (z.B. des Charismatikers) nicht nur bei den kulturellen Folgen von Herrschaft stecken geblieben wäre, sondern auch eine ökonomische Theorie der Herrschaft entwickelt hätte, die über die bekannten interaktiven Modelle (beide Seiten wollen letztlich nur das Beste) hinaus gelangt wäre.

Die Juristen, auf die Weber zurückgreifen konnten, hatten bereits deutlich sichtbare Schneisen geschlagen und den autoritären Kern der Herrschaft in Sicht gebracht, z.B. Georg Jellinek, in seiner "Allgemeine Staatslehre"( 2. Aufl. 1905):

"Herrschergewalt ... ist unwiderstehliche Gewalt. Herrschen heißt unbedingt befehlen und Erfüllungszwang ausüben können. Jeder Macht kann sich der Unterworfene entziehen, nur der Herrschermacht nicht. ... Die mit solcher Macht ausgerüstete Gewalt ist Herrschergewalt und damit Staatsgewalt. Herrschen ist das Kriterium, das die Staatsgewalt von allen anderen Gewalten unterscheidet."

Rudolf von Jhering war schon 1877 noch weiter gegangen ("Der Zweck im Recht"), indem er vom Staat als Inhaber der "Zwangsgewalt" spricht.

Weber akzeptierte diese Vorstellungen, entzog sich der ad nauseam diskutierten Staatsfrage, um beim "faktischen Bestehen" einer herrschaftlichen Befehlsgewalt zu landen, was das Tor zu geschichtlichen Untersuchungen endlich aufstieß (Hanke nennt dies einen "Geniestreich"), durch das er allerdings nicht mehr selber schreiten konnte.

Webers "Herrschaftssoziologie" wird nach wie vor akademisch hochtourig diskutiert. Letztes großes Symposion dazu 2000.

Andreas Anter, Politikwissenschaftler Uni Leipzig, erklärt, dass Weber den zunächst unspezifizierten Monopolbegriff von Herrschaft analytisch definiert und so Gewalt und Zwang in den Staatsbegriff des 20. Jh. transponiert:

"Die Monopolisierung (i.e. von Herrschaft, Gewalt und Zwang) ist ein komplexer Prozess, der mit der Entwicklung in der Ökonomie korrespondiert - auch die ‚notale Geldemission ist in allen modernen Staaten ... durch den Staat monopolisiert' (Weber, WuG, 101). Kaum Beachtung schenkt Weber indessen der Rolle des Steuermonopols für die Etablierung und Aufrechterhaltung des Gewaltmonopols,

(Fußnote von Anter dazu: ‚Er verweist lediglich auf das Steuersystem als Bedingung bürokratischer Verwaltung'; dazu Hinweis auch auf den hier bereits bestens bekannten Martin van Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates, 169 ff.)

obwohl beide Monopole einander bedingen:

Erst die Steuern schaffen die materielle Grundlage für das Gewaltmonopol, das wiederum Abgabenmonopol garantiert, so dass der Staat auf beide Schlüsselmonopole angewiesen ist." (Symposium).

Dass wir es hier nicht mit dummem Zeug zu tun haben, ergibt sich u.a. daraus, dass eine der größten akademischen Koryphäen Deutschlands zu Fragen vor allem des. 19. Jh. (Revolutionen, Kaiserreich, usw.) nämlich Prof. Dr. Wolfgang J. Mommsen zu den Herausgebern der Symposium-Texte zählte.

Max Weber selbst sieht in der Gewaltsamkeit ausdrücklich etwas "Urwüchsiges" (WuG 516). Es kam also nur noch darauf an, diese Ur-Wüchsige aus dem Käfig der Juristerei und Soziologie zu befreien und auf die Wirtschaft los zu lassen.

Die Entwicklung einer Gewalt- und Zwangstheorie der Wirtschaft lag eigentlich schon seit Max Weber in der Luft. Nur hat niemand nach der reifen Frucht gegriffen. Von den mainstreamern der Ökonomie, die ihr Heil in immer absurderen Mathematisierungen suchen, war das kaum zu erwarten.

Aus der Urgewalt ("urwüchsig") mit der Urgewalt als Ur-Gläubiger, der dann über Abgabenzwang das Abgabengut beschafft, ist alle weitere wirtschaftliche Entwicklung bis heute zu erklären.

Das Abgabengut wird monopolisiert, seine relative Knappheit, gemessen in anderen Gütern schafft Preise. Die Tatsache, dass der Abgabenzwang terminlich fixiert sein muss, um überhaupt ausgeübt werden zu können, führt zu Leihe und Zins.

Der Zins wiederum zur Produktion neuer Güter, die entweder das Abgabengut direkt sind oder Güter, mit deren Hilfe das Abgabengut beschafft werden kann, was das Entstehen von Märkten erklärt. Alles inzwischen oft genug (und wie ich denke widerspruchsfrei) erklärt.

Dass diese Abfolge keine geradlinige Sequenz sein konnte, sondern "krisenhaft" verlief, versteht sich von selbst, da Macht, Gewalt und Zwang zwar eine Konstante in sich darstellen, aber in ihren jeweiligen konkreten Ausformungen höchst schwankend abliefen, worüber die Machtgeschichte (Kriege, "Staatsformen", Revolutionen, usw.) höchst beredt Auskunft gibt.

Machtkrisen sind letztlich immer Machtmonopol-, d.h. Abgabenkrisen, die ihrerseits dann über "Geldkrisen" automatisch in "Wirtschaftskrisen" und von dort aus wiederum in weitere Staats- und Machtkrisen münden.

Eine Stabilisierung des Prozesses ist heute weniger denn je in Sicht. Eine Machtbeseitigung ist nicht vorstellbar, Machtwechsel sind es durchaus, die indes nach kurzer Zeit jedoch wieder in dem selben um die Machtkonstante herum schwankenden Prozess münden.

Die aktuelle Machtdiffusion (Maximierung der "Souveränitäten", Übermacht-Wunschvorstellungen wie UNO) und die verzweifelten Versuche von "Gegenmacht"-Bildungen (das reicht von attac-Idealisierungen über Schurkenstaats-Ideen, über Großdemonstrationen und Versuchen das Gewaltmonopol des Heute-Staats zu brechen bis schließlich hin zum Terror) rücken den Wunsch nach einer allgemeinen Pazifizierung ins Reich der Träumereien.

Alle Versuche, das Macht-Problem irgendwo "weiter hinten" zu lösen, müssen in Leere führen. Das gilt für den Liberalismus genau so wie für den Sozialismus, die bei einer Macht-Resultante ansetzen, dem Wirtschaften nämlich. Preisdiktate helfen eben so wenig wie Zinsdiktate, von sog. "Geldreformen" ganz zu schweigen. Jeder "Staatseingriff" (Steuern rauf oder runter, Beihilfen rauf oder runter, Angebots- oder Nachfragepolitik, jede Konjunktur- oder Zinspolitik, schlichtweg alles von der Macht Verfügte) muss scheitern. Alles nur eine Frage der Zeit.

Wir lassen uns von den "Erfolgen" solcher Maßnahmen blenden und übersehen, dass diese Erfolge nur ephemerer Natur sein können. Was nach dem Auslaufen des "Impulses" kommt, ist ex post automatisch ein Zustand, der schlimmer sein muss als jener ex ante, man verfolge nur die Entwicklung in den USA, die auf eine wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise der Extra-Klasse zutreiben, die auch mit weltweiter Macht-Maximierung nicht aufzuhalten sein wird. An den möglichen Fall-out wollen wir lieber gar nicht denken.

Das Ganze müsste komplett aufgearbeitet werden. Dies wiederum ist, da eine konzise Analyse des Monopols Macht, Gewalt und Zwang voraussetzend, machtgefährdend und vice versa für den (die) Analysten kein Zuckerschlecken.

Die Macht ist nicht therapierbar. Sie legt sich nicht auf die Couch und erzählt, warum sie so ist wie sie immer war. Sie wird die Couch verbrennen und den Psychiater in die Anstalt stecken ("Was bilden Sie sich ein!"), danach dem Publikum neue Stories von wegen "Gesellschaftsvertrag" und ähnlichen Gut-Staats-Brainwash aufbinden.

Klar wäre das "mit der Macht" eigentlich schon, einfach ist es jedoch nicht.

Schönen Sonntag!