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Real-Enzyklopädie 28: Macht, Zins, Inflation (I)

Geschrieben von dottore am 04. Juli 2002 10:27:50


Hi,

es ist an der Zeit, auch Inflation neu zu deuten bzw. definieren.

Was den Historiker stutzig macht, ist bereits das Wort: Inflation ist nicht etwas, das wir aus der Antike als etwas ableiten könnten, das in Zusammenhang mit monetären Phänomen steht.

Die "Inflatio" ist ein medizinischer Begriff. Inflatio = Blähung, die inflatio praecordiorum eine Brustfellentzündung. Inflatur = aufgeblasen,, strotzend, geschwollen, stolz, zornig, aufgebracht, übertrieben, schwülstig. Inflatus tibicinis = das Blasen der Flöte.

Dass es "Inflationen" in heutiger Definition gegeben hat, steht seit Diokletians Preisedikt von ca. 304 eindeutig fest. Warum wurde das Wort nicht verwendet, was bei der massiven Münzverschlechterung der "Folles" (tägliches Kurantgeld) doch so nahe gelegen hätte? Das Geld wurde eben nicht nur verschlechtert, sondern auch massiv vermehrt ("aufgebläht"), was für jeden offensichtlich und ohnehin auf den Münzherrn, also die Macht selbst zurück zu führen war.

Da die Steuern ausschließlich in Gold, dem Abgaben- und Machterhaltungsmetall schlechthin (Sold!), entrichtet werden mussten, das über Münzen nicht verschlechtert wurde (gelegentlich gab es, dies schon seit Nero einzelne Versuche), die aber ins Leere führen mussten, da es auf ein Nullsummenspiel für die Macht hinauslief: Weniger Metall kommt rein, weniger kann ausgegeben werden. Die Goldsteuern wurden schließlich in Goldbarren entrichtet, einige Barren habe sich bis heute erhalten.

Die Folles waren eine geschickt konstruierte "Unter"-Steuer. Gold und Silber hielten in etwa Parität. Das Silber konnte jedoch in Form von Münzen verschlechtert werden (es sah immer noch wie "Silber" aus), so dass immer mehr Folles für Gold bzw. Silber "rein" gegeben werden mussten.

Warum gibt es so gut wie keine Warenpreis-Statistik aus früher Zeit? Die Preise für die den Herrscher allein interessierenden Waren blieben in "seinem" Metall gleich, sie stiegen nur im "Untertanenmetall", solange bis die Untertanen wegen immer stärkerer Verelendung unruhig wurden und die Macht gefährdeten.

Alle Preisdiktate der Geschichte werden nicht zur Steigerung der "Wohlfahrt" der Untertanen erlassen, sondern wg. Macht in Gefahr. Frankreich Brotpreis, Preisstopps im Kaiserreich und unter Hitler. Verhindert der Höchstpreis, dass überhaupt noch Ware erscheint, erledigt sich auch das. Robespierre hieß "le maximum" und kam deshalb aufs Schafott. Diokletian zog sich in seinen "Bunker" in Dalmatien zurück und entkam dem Volkszorn.

Getreidespenden, die "annonae", zum Machterhalt im Inneren und Truppen zum Machterhalt gegenüber Außen waren die einzigen römischen Ausgabenposten von Belang, in der Zeit der rasch wechselnden Imperatoren kam auch der Wille zur Machtergreifung im Inneren dazu; Imperatoren (imperator = Oberbefehlshaber), deren Kasse leer war, wurden sofort beseitigt, um sich neuen Imperatoren mit noch voller Kasse zuzuwenden. Die Soldaten zwangen schließlich oft genug, ihre widerstrebenden Feldherrn, die Imperatorwürde anzunehmen, natürlich nicht, weil sie ihren Chef "auf dem Thron" sehen wollten, sondern weil sie ihn zum Auskehren seiner Kriegskasse zwingen wollten.

Bis ins 18./19. Jh. war immer im Alltag immer nur von "Teuerung" die Rede, es sind sogar Gebete gegen die "Theuerung" überliefert, z. B. Nürnberg 17. Jh., Sammlung Heinz Brestel. Es gibt auch figürliche Darstellungen, z. B. eine, die zeigt, ein wie großes Brot, als Kreis aufgemalt, man sich früher und aktuell für den gleichen Geldbetrag (in Nominal) kaufen konnte.

Dabei wird das Phänomen "Inflation" auf ein geringeres Warenvolumen und nicht etwa auf ein gestiegenes Geldvolumen fokussiert, Missernten oder Kriegsläufte als wichtigste Ursache. Es gab zwar Ansätze, das Phänomen von Preissteigerungen "monetär" zu deuten (Schule von Salamanca, Bodin bis Ricardo, die Tooke-Debatte etc.), aber diese Vorformen der Quantititätstheorie waren strikt auf einen kleinen akademischen Kreis beschränkte Übungen, die nicht ins allgemeine Bewusstsein drangen.

Auch in der ökonomischen Wirklichkeit spielte die in ziemlich steter Kurve laufende permanente, aber doch sehr moderate Münzverschlechterung keine Rolle (vgl. die Münzentwertungstabelle bei Salsade, Receueil des Monnoies, 1767), da sie "unbemerkt" ablief, d.h. der mit Alltagsgeld operierende Bürger hielt dieses Geld nur ganz kurzfristig, einem Zeitraum also, in dem er kaum einen Wertverlust spüren konnte.

Bei "Debita", über längere Frist geschuldeten Beträgen, die zum einen die festgesetzte Abgaben bzw. sonstige Zahlungen in Form von Leibrenten o.ä. und zum anderen eben die Herrscherschulden waren, langfristig laufende "Geschäftskredite" existierten definitiv nicht, da die Geschäftswelt ausschließlich mit den kurzen Zahlungsfristen des Wechsels operierten (es gibt Wechsel bis zwei Jahre Laufzeit als Maximum) - bei Debita also gab es nur in Zeiten herrschaftlich zu bestimmten Termin ("Münzreformen") oder kurzer Kriegsphasen erzwungener Auf- und Abwertungen Probleme. Gezogene Wechsel wurden übrigens niemals als Debita betrachtet oder gar verbucht.

Bei den Münzreformen, die den "Karolingern" zugeschrieben wurden, ist ausdrücklich von solchen "debita" die Rede. Dass dies keine "Geschäfts-Debita" sein konnten, ergibt sich aus den dazu komplett fehlenden Quellen: Eine "Privatwirtschaft", die mit Kredit gearbeitet hätte, ist nirgends zu entdecken. In der einzigen frühmittelalterlichen Quelle, die von "Schuldverschreibungen" spricht (Gregor von Tours, wie schon erwähnt), sind es Schuldverschreibungen von Macht-Inhabern, also Abgaben-Herren.

Die von der Obrigkeit geführten "Schuldbücher", in denen die privaten Schulden quasi wie in einem Schuld-Grundbuch eingetragen werden mussten, um sie überhaupt vollstreckbar zu machen, sind erst aus erheblich späteren Zeiten (ab 13. / 14. Jh. etwa) überliefert.

Die Verbriefung einer Schuld bedurfte immer der Hinterlegung des Nachweises der Schuld an öffentlicher (!) Stelle, vgl. die ausführliche Beschreibung des dazu erforderlichen Procedere im ersten gedruckten Buch, das dies behandelt: Riederer, Spiegel der wahren Rhetorik, 1493, etwa Abschnitt CLIX

"Schuldbrieff form von gelt lyhung darürende / nach hinderlegung".

In diesem Beispiel geht es übrigens um die Geldleihe eines Junkers, also einer regionalen Macht.

Ebenso gibt es im Gefolge des 30jährigen Krieges eine Debatte darüber wie ein "Ausgleich" Statt finden solle (vgl. Eichel, Von Schuld-Sachen, Kapital und Zinsen, 1683), was sich dann bei den voll entwickelten Privatwirtschaften, etwa nach den Vorgängen von 1923 oder 1948 wiederholt (Währungsreform --> Lastenausgleich).

Den Zusammenhang zwischen monetärem Output und allgemeinem. d.h. für die Privaten geltenden Preisniveau und damit die "Quantitätstheorie" hat als erster Francis Walker 1897 entwickelt (Money in its Relations to Trade and Industry). Die Bedeutung von "Money" war bis dahin stets nur aus dem Aspekt seiner "Relation" zu und Bedeutung für die Macht gesehen worden. Dies seit den Spätscholastikern Biel und Auqila ("De potestate (!) monetarum") bis zu den Merkantilisten und Kameralisten ("camera" = fürtliche Schatzkammer).

Beispielhaft der "Fürstenspiegel" des Johann Christoph Cörner von 1733, hier Anhang § 2:

"Worinn besteht die grosse Fürsten-Macht. Vornehmlich 1. im guten Vorrath eines grossen Schatzes, oder vielen Geldes, 2. aber in der Kunst und Gelegenheit seinen Schatz zu vermehren, 3. in einer guten Armee mit ihren Requisitis, 4. in einer festen Alliantz."

Die Gegenbewegung, deren These sich auf die Vermehrung des Reichtums aller stützt, ist noch bei Adam Smith 1776 ambivalent definiert ("Wealth of Nations" und nicht etwas ".. of People") und mündet dann in die Diskussion über "Richesse" (jetzt durchaus private, z.B. die Franzosen ab Say und Cournot), die "Entfesselung der Produktivkräfte" (der privaten) bei Marx und Engels und alles Weitere, was heute als "Wirtschaftstheorie" gelehrt wird.

Die zeitliche Priorität des Geldes oder seiner "Optimierung" als Machtmittel der Herrschaft und nicht etwa als Beförderungsmittel für mehr privaten Wohlstand kann nicht bestritten werden. Die Vorstellung, erst sei so etwas wie eine "private" Wirtschaft entstanden und danach hätte sich ihr die Macht "irgendwie" beigesellt, um sozusagen auch ein paar Krümel vom ohnehin immer größer werdenden Kuchen abzuhaben, ist ein Irrtum.

In der Geschichte stoßen wir regelmäßig auf das Phänomen der Parallelität von Preis- und Zinsbewegungen. Dies ist mit keinerlei "Geldtheorie" zu erklären, da "vermehrtes Geld" dieses nach der Logik eigentlich billiger machen also den Zinssatz senken müsste, der bekanntlich als ein "Preis", sich ergebend aus Angebot und Nachfrage nach "Geld" definiert wird.

An diesem sog. "Gibson-Paradox" hat sich jegliche Theorie bisher die Zähne ausgebissen. Es ließ sich bisher einfach nicht erklären, vgl. u. a. die höchst klugen Studien von Shiller ("irrational exuberance"), Siegel, Harley, Dwyer et. al.

Dabei liegt die Lösung auf der Hand. Bekanntlich steigt nach "monetaristischer" Betrachtung bis heute zuerst die "Geldmenge", danach steigen die Preise, vgl. dazu sehr anschaulich EZB, Juli 2000, S. 47 ff. (mit einleuchtender Grafik). Jede Inflation- das ist auch common sense aller Geld-, Monetarismus-, Geldreform-, Inflationsvorschau-, Goldpreiserwartungs- usw. Thesen - wird "irgendwie" monetär interpretiert. Friedmans "optimum quantity of money" gehört selbstredend hier ins Zentrum.

Aber auch Hajo Riese, der berühmte Berliner Post-Keynesianer verirrt sich mit seiner Inflationserklärung "aus einer Interaktion zwischen Vermögensmarkt und Gütermarkt" (vgl. seine "Theorie der Inflation") in einem undurchdringliche Dickicht, da er voraussetzt, was er erst beweisen muss, nämlich dass es von "Vermögen" zu unterscheidende "Güter" gibt und er im übrigen "Geld" und "Zins" letztlich wieder in der Notenbank entstehen lässt. Das erklärt freilich nicht den Zins als solchen. Hätte er den ZB-Zins als das erklärt, was er tatsächlich ist, nämlich eine Zwangsabgabe, wäre er besser gefahren.

Oder anders: Da Steuern heute nur in ZB-Geld, bzw. Guthaben auf dieses lautend, bezahlbar sind, während sich "die" Privatwirtschaft mit jeder Form von Geld und Zahlungen behelfen könnte (und wie man aktuell in Argentinien sieht, auch behilft, allerdings mit "Ersatzgeld", mit dem keine Steuern gezahlt werden können), ist völlig klar, dass das ZB-Geld benötigt wird, spätestens dann zum Steuertermin, dem Anker jeder Staatswirtschaft.

Man müsste sich nur vorstellen, was geschähe, wenn Steuerzahlungen mit einem 5 %-Zinssatz auf immer vertagt werden dürften, während sich der Staat gleichzeitig mit Hilfe von Anleihen zu 6 % finanziert. Jedermann würde seine zu zahlenden Steuern in Staatsanleihen anlegen und der Staat wäre seinen Bürgern ununterbrochen 1 % Zinsen schuldig.

Daher müssen die Strafzinssätze für nicht rechtzeitig entrichtete Steuern immer höher liegen, als der jeweils am Termin für diesen Termin zu zahlende Zinssatz am Markt, bzw. als "Ersatz" muss die Vollstreckung erfolgen, die es dem Bürger dann verunmöglicht, eine für ihn etwaig positive Zinsdifferenz zu nutzen. Was man nicht mehr hat, kann man auch nicht anlegen.

Dies erklärt auch, warum sich der Staat immer zu günstigeren Sätzen verschulden kann als der Rest der Wirtschaft. Die ultimative Perversion dieses Zustands ist die Finanzierung des Staates bei seiner (!) Notenbank direkt mit Hilfe von "unverzinslichen" Schatzscheinen oder Schatzanweisungen, Reichkassenscheinen o.ä., Urquell jeder Hyperinflation.

Die Lösung des Rätsels der "Parallelität" von Zinssatz- und Preissteigerungen liegt nun darin, dass der Zinssatz mit der Preissteigerung (Inflationsrate) eben nicht parallel sich entwickelt, sondern ihm vorangeht.

Dieses ist auch gut getarnt, da die Notenbank erst dann an der "Zinsschraube" dreht, nachdem sie "Inflationsgefahren" wittert. Dabei wird zunächst vergessen, das die ZB dem Zinssatz des Marktes immer folgt. Die Inflationsgefahr kann noch so groß sein, sinken die Zinssätze am Geldmarkt, kann sie ihren "Leitzins" nicht erhöhen. Denn wer bemüht schon die Notenbank, die 5 % fordert, wenn der Geldmarkt 2 % verlangt?

Der Zusammenhang ist faktisch klar belegt: Die ZB folgt zum Schluss doch immer dem Geldmarkt und nicht umgekehrt. Zwar kann die Notenbank, als "potestas sui generis" machen, was sie will, und tut auch so, als sei sie Herrin des Geschehens, aber sie kann nicht aus ihrer Haut, die eng geschneidert ist, da sie nur über die "Steuerung" des Kurzfrist-Zinssatzes verfügt.

Denn schlussendlich müssen verzinsliche Titel bei ihr hinterlegt werden, von deren Satz sie nur maximal 100 % abschöpfen kann. Nimmt die ZB nur Titel zu 2 % und notieren diese pari, kann sie niemals mehr als 2 % als "Leitzins" verlangen, sonst würden die Titel niemals hinterlegt.

Das Beispiel Japans macht dies völlig klar. Der Staat kann zwar Anleihen zu 1 % in die Banken drücken, aber dann darf der "Satz" zur direkten Refinanzierung dieser Titel bei der BoJ nicht über 1 % steigen, weil die Banken sonst das gesetzliche Zahlungsmittel, das der Staat selbst braucht (sonst würde er keine Anleihen begeben) dem Staat nicht "weitergeben" könnten. Bei einem BoJ-Satz > 1 % würden sie ihre Lage noch verlustreicher gestalten. Und pleite sind sie eh schon.

(Folgt Teil II)