Der Fall der Kudamm-Raser-Mord

Michael Krause, Montag, 27.02.2017, 19:02 vor 2617 Tagen 6277 Views

bearbeitet von Michael Krause, Dienstag, 28.02.2017, 13:55

Man sollte zwar Strafurteile nicht kommentieren, wenn man der mündliche Verhandlung nicht beigewohnt hat, ich tue das aber trotzdem einmal.

Im vorliegenden Fall geht es im Wesentlichen um die Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit. Andere Rechtsfragen, wie die, wann ein Auto als gemeingefährliches Mittel eingesetzt wird und die nach dem Tatbeitrag des zweiten Rasers sollen an dieser Stelle einmal außen vor gelassen werden. Das überlasse ich den Hilfsjuristen hier im Forum.

Die Abgrenzung ist schwierig und war Gegenstand eines umfangreichen Meinungsstreits. Eventualvorsatz liegt laut Bundesgerichtshof vor, wenn der Täter den Taterfolg als Folge seines Handelns ernsthaft für möglich hält (Wissenselement) und ihn zugleich billigend in Kauf nimmt (Wollenselement). Billigend in Kauf nimmt er den Erfolg, wenn er sich mit diesem abfindet. Dagegen sagt sich der bewusst fahrlässig handelnde, "es wird schon gut gehen". Die Abgrenzung (Wollenselenmet) ist deshalb so schwierig, weil sich diese Vorgänge im Kopf des Täters abspielen und daher von dem Gericht nicht ohne weiteres zu erkennen sind. Zudem gilt die Unschuldsvermutung.

Im vorliegenden Fall ist das Gericht davon ausgegangen, dass jemand, der mit mehr als 160 Stundenkilometer, wenn auch nachts, in der Berliner Innenstadt über rote Ampeln rast, den Tod unbeteiligter Verkehrsteilnehmer billigend in Kauf nimmt. Die von der anwesenden Presse veröffentlichten Zitate des Vorsitzenden Richters waren nicht geeignet, zu erklären, worauf das Gericht diese Annahme stützt. Die veröffentlichten Zitate waren lediglich geeignet, darzulegen, dass es ein hohes Risiko darstellt (Wissenselement), mit derartig hohen Geschwindigkeiten über rote Ampeln zu rasen. Das alleine berechtigt aber noch nicht zur Annahme eines bedingten Vorsatzes.

Ich behaupte einmal, dieses Urteil wird vor dem 5. Strafsenat keinen Bestand haben:

Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den meisten anderen Tötungsdelikten dadurch, dass sich hier das Täterverhalten auch gegen das eigene Leben richtet. Wer rast und den Tod anderer Verkehrsteilnehmer billigend in Kauf nimmt, der nimmt dann als Kehrseite zwingend auch den eigenen Tod billigend (Wollenselement) in Kauf. Suizidale Tendenzen wird man bei den beiden 25 und 28 jährigen Fahrern nach deren Auftreten kaum unterstellen können. Weiterhin macht auch das Gutachten der durch das Gericht hinzugezogen Psychologin dieses deutlich. Beide dachten, das Risiko im Griff zu haben. Sie wollten das eigene Ego stärken. Das aber spricht dagegen, dass beide auch den eigenen Tod billigend in Kauf genommen haben. Diese Erwägung spricht im Übrigen in den meisten ähnlich gelagerten Fällen dagegen von Mord auszugehen, wie es alle Gerichte zuvor gehandhabt haben.

Die Verteidigung hat bereits angekündigt, Revision einzulegen. Der Fall wird also auch den Bundesgerichtshof beschäftigen.

Wie das Gericht in den schriftlichen Urteilsgründen den angenommenen bedingten Vorsatz begründet, wird abzuwarten sein. Allerdings hat man den Eindruck, dass hier das Pendel eindeutig zu stark in die eine Richtung ausgeschlagen ist, nachdem zuvor in vergleichbaren Fällen zu milde geurteilt wurde. So wurde ein Motorradfahrer, der seine gewagten Fahrkünste auch auf youtube hochlud, im Januar diesen Jahres vom Landgericht Bremen wegen fahrlässiger Tötung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, nachdem er mit überhöhter Geschwindigkeit einen Rentner tot gefahren hatte. Fahrlässige Tötung kann immerhin mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden.

Die Presseberichterstattung über den Fall ist wieder einmal erschreckend. Beispiele (ohne Nennung des Presseerzeugnisses):

Das Urteil ist falsch, weil "aus Zufall wird man kein Mörder", die Verteidigung "habe Berufung" angekündigt, einen "direkten Willen zum Töten" habe das Gericht nicht gesehen und deshalb nur bedingten Vorsatz angenommen.

Einspruch Euer Ehren! Bedingter Vorsatz und Mordmerkmale bei Führen eines Kraftfahrzeuges

Literaturhinweis @, Montag, 27.02.2017, 19:59 vor 2617 Tagen @ Michael Krause 5170 Views

bearbeitet von unbekannt, Montag, 27.02.2017, 20:10

Die Abgrenzung ist schwierig und war Gegenstand eines umfangreichen Meinungsstreits. Eventualvorsatz liegt laut Bundesgerichtshof vor, wenn der
Täter den Taterfolg als Folge seines Handelns ernsthaft für möglich hält (Wissenselement) und ihn zugleich billigend in Kauf nimmt (Wollenselement). Billigend in Kauf nimmt er den Erfolg, wenn er sich mit diesem abfindet. Dagegen sagt sich der bewusst fahrlässig handelnde, "es wird schon gut gehen". Die Abgrenzung (Wollenselenmet) ist deshalb so schwierig, weil sich diese Vorgänge im Kopf des Täters abspielen und daher von dem Gericht nicht ohne weiteres zu erkennen sind. Zudem gilt die Unschuldsvermutung.

Ja, aber wer mit einem gefährlichen Werkzeug (siehe BGH, Beschluss vom 25. 4. 2012 – 4 StR 30/12) 'hantiert' mußte immer schon besondere Vorsicht walten lassen (vgl. § 224 StGB).

Im vorliegenden Fall ist das Gericht davon ausgegangen, dass jemand, der mit mehr als 160 Stundenkilometer, wenn auch nachts, in der Berliner Innenstadt über rote Ampeln rast, den Tod unbeteiligter Verkehrsteilnehmer billigend in Kauf nimmt.

Was denn sonst? Alles andere wäre ein verhängnisvoller Fehlschluß, ein Freifahrtschein für Raserei.

Ich behaupte einmal, dieses Urteil wird vor dem 5. Strafsenat keinen Bestand haben:

Nun ja, die tatgerichtlichen Feststellungen müssen nur richtig ausgearbeitet sein, um wenig revisibel zu erscheinen.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den meisten anderen Tötungsdelikten dardurch, dass sich hier das Täterverhalten auch gegen das eigene Leben richtet.

Nicht unbedingt, das kommt ganz auf die Ausrüstung des KFZ an - ein Schalensitz, statt Dreipunkt- evtl. Sechspunktgurt, Überrollbügel und genügend Airbags schützen einen Raser in schwerem Fahrzeug beim Frontalaufprall wesentlich sicherer, als einen Rentner mit altem Auto ohne Seitenairbag bei Seitenaufprall.

Wer rote Ampeln überfährt, muß genau mit diesem Szenario dauernd rechnen.

Von Fussgängern, Mofa- und Fahrradfahrern, Motorradfahrern und Menschen, die am Straßenrand parken und gerade in dem Moment ihre Autotür öffnen und aussteigen, ganz zu schweigen. Das zu bedenken muß man einem Fahrzeugführer eines entsprechend motorisierten KFZ auferlegen und unterstellen dürfen.

Wer rast und den Tod anderer Verkehrsteilnehmer billigend in Kauf nimmt, der nimmt dann als Kehrseite zwingend auch den eigenen Tod billigend (Wollenselement) in Kauf.

Das genau ist der Fehlschluß - wer im 'Panzer' sitzt und einen LKW rammt, geht vom eigenen Tod ebensowenig aus, wie der, der im gut ausgerüsteten Rennauto Fußgänger überfährt oder andere Fahrzeuge, s.o. seitlich rammt. Schließlich spielt ja auch das Verhältnis der Fahrzeuggewichte beim übertragenen Impuls und der auf den Unfall'gegner' übertragenen Energie eine Rolle! Wer eine rote Ampel überfährt, muß damit rechnen, daß Fußgänger gerade 'Grün' haben!!!

Suizidale Tendenzen wird man bei den beiden 25 und 28 jährigen Fahrern nach deren Auftreten kaum unterstellen können.

Daher ist das dann unerheblich und hoffentlich haben die tatrichterlichen Feststellungen das 'revisionsfest' ausgeräumt.

Weiterhin macht auch das Gutachten der durch das Gericht hinzugezogen Psychologin dieses deutlich. Beide dachten, das Risiko im Griff zu haben.

Ihr eigenes Risiko. Unmöglich kann, wer in einer Großstadt mit 160 km/h über rote Ampeln hinweg unterwegs ist, das auch auf andere beziehen.

Sie wollten das eigene Ego stärken. Das aber spricht dagegen, dass beide auch den eigenen Tod billigend in Kauf genommen haben.

Eben, das, s.o., war sicher nicht so. Aber eben auch unerheblich für das Mordmerkmal "Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln". Ich sage mal: wenn schon bei Überschreiten der Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen daraus eine Beweislastumkehr und erhöhte Schuldzurechnung folgen kann, dann allemal, wenn jemand, sagen wir, mehr als 20% über einer ausgeschilderten Höchstgeschwindigkeit fährt, und das bei 'geschlossener Schranke', sprich: roter Ampel.

Diese Erwägung spricht im Übrigen in den meisten ähnlich gelagerten Fällen dagegen von Mord auszugehen, wie es alle Gerichte zuvor gehandhabt haben.

Denen man Laschheit vorwarf.

Die Verteidigung hat bereits angekündigt, Revision einzulegen. Der Fall wird also auch den Bundesgerichtshof beschäftigen.

Es wäre in der Tat wünschenswert, wenn zum "Musterschema zur gefährlichen Körperverletzung" ein Musterschema Mord hinzukäme und die Frage, wie jemand zu behandeln ist hinsichtlich seiner 'niederen Motive', der rücksichtslos Schwächeren gegenüber im Straßenverkehr sein KFZ als Waffe benutzt, und wie er strafrechtlich einzuordnen ist.

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Ein bisschen mehr anstrengen bei der Argumentation.

Michael Krause, Montag, 27.02.2017, 20:18 vor 2617 Tagen @ Literaturhinweis 4230 Views

bearbeitet von Michael Krause, Dienstag, 28.02.2017, 13:57

Naja, mein Ansatz war, wer im Auto andere töten will, nimmt auch billigend den eigenen Tod in Kauf. Wer den eigenen Tod nicht billigend in Kauf nimmt, nimmt auch den Anderer nicht billigend in Kauf (Wollenselement des Vorsatzes!)

Gegenargument Panzer, Vier-Punkt-Sicherheitsgurt, Fußgänger etc. zieht hier nicht, da nicht gegeben. Ansonsten gilt E= mv2. Das wirkt in beide Richtungen. Ist auch nicht relevant beim Wollenselement.

Überhaupt leidet die Argumentation, dass sie nicht sauber zwischen Wissens- und Wollenselemnt unterscheidet. Dass es gefährlich ist, mit 160 km/h über rote Ampeln zu brettern, ist klar, aber will ich damit auch jemanden töten und im Zweifel auch mich selbst? Wohl kaum. Die wollen Spaß haben und nicht sich selbst und andere töten. Jedenfalls nicht im vorliegenden Fall.
Das Mordmerkamal "gemeingefährliches Mittel" mit dem Vorsatzvorwurf zu vermischen ist verfehlt.

Zu revisionssicheren Urteilen hat Fischer ja schon mal was geschrieben und das in das Reich der Illusionen verwiesen.

Also immer sauber zwischen Wissens- und Wollenselement des Vorsatzes unterscheiden. Dass man weiß, dass etwas gefährlich ist, heißt noch lange nicht dass man auch den Tod eines anderen will (Wollenselement). Aber schaun wir mal. Ich bleibe dabei, das Urteil wird aufgehoben.

Ein bisschen mehr anstrengen bei der Argumentation. - RIIEECHTISCH ...

Literaturhinweis @, Montag, 27.02.2017, 20:22 vor 2617 Tagen @ Michael Krause 4407 Views

bearbeitet von unbekannt, Dienstag, 28.02.2017, 14:00

Naja, mein Ansatz war, wer im Auto andere töten will, nimmt auch billigend den eigenen Tod in Kauf. Wer den eigenen Tod nicht billigend in Kauf nimmt, nimmt auch den Anderer nicht billigend in Kauf (Wollenselement des Vorsatzes!)

Womit man in der ersten Staatsprüfung durchfiele, da der Prüfer sagen würde: "Saachensemal, junger Mann, wenn der Arzt in USA den Mörder mit der Giftspritze hinrichtet - nimmt er dann auch billigend seinen eigenen Tod in Kauf?"

Wahrscheinlich bist Du nicht im Strafrecht tätig?!

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Gegenfrage

Michael Krause, Montag, 27.02.2017, 20:24 vor 2617 Tagen @ Literaturhinweis 4460 Views

bearbeitet von Michael Krause, Dienstag, 28.02.2017, 14:11

Gegenfrage: Techniker mit Universalwissen oder Strafverteidiger? Frag mal Elli, der kennt meinen akademischen Lehrer im Strafrecht[[lach]]

Der Unterschied zwischen einer Giftspritze und einem Auto dürfte sogar einem Techniker bekannt sein.

Falls nicht hier die Erklärung: Drücke ich auf eine Giftspritze, gefährde ich nur den Empfänger, fahre ich mit 160 km/h gegen ein anderes Auto, gefährde ich mich selber und auch denjenigen, der im anderen Auto sitzt. Sollte eigentlich selbsterklärend sein?

Dann müssen also komplette Vollidioten am Steuer gewesen sein.

eddie09 @, Montag, 27.02.2017, 21:11 vor 2617 Tagen @ Michael Krause 4578 Views

bearbeitet von unbekannt, Dienstag, 28.02.2017, 14:12

Gegenfrage: Techniker mit Universalwissen oder Strafverteidiger? Frag mal
Elli, der kennt meinen akademischen Lehrer im Strafrecht[[lach]]

Der Unterschied zwischen einer Giftspritze und einem Auto dürfte sogar
einem Techniker bekannt sein.

Falls nicht hier die Erklärung: Drücke ich auf eine Giftspritze,
gefährde ich nur den Empfänger, fahre ich mit 160 km/h gegen ein anderes
Auto gefährde ich mich selber und auch denjenigen, der im anderen Auto
sitzt. Sollte eigentlich selbsterklärend sein?

Die Fahrer haben keine suizide Neigung, sie haben auch nicht den Tod anderer billigend in Kauf genommen, da sie den eigenen Tod nicht billigend in Kauf nahmen. Wäre das die richtige Argumentation gewesen um diesen Abschaum mit einer Ordnungswidrigkeit wieder davonziehen zu lassen?

Ein akademischer Lehrer ist dem Opfer gerade mal scheißegal.

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Politik ist so beschaffen, dass faule Früchte nur vom Baum fallen, wenn darunter ein Korb steht, der sie auffängt.

Kann mal wohl bejahen

Michael Krause, Montag, 27.02.2017, 21:21 vor 2617 Tagen @ eddie09 4237 Views

bearbeitet von Michael Krause, Dienstag, 28.02.2017, 14:13

Der eine hatte 16, der andere 21 Ordnungswidrigkeiten auf dem Kerbholz, der Haupttäter war zudem wegen fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr und Unfallflucht vorbestraft. Aber in Deutschland gilt der Führerschein als Menschenrecht.

Dass es sich um zwei Vollpfosten handelt, rechtfertigt aber noch nicht die Anwendung des Mordparagraphen. Fahrlässige Tötung ist keine Ordnungswidrigkeit. Die Ausschöpfung des Strafrahmens (5 Jahre) hätten m.E. gereicht.

Selbsterklärende Gegenantwort

Literaturhinweis @, Montag, 27.02.2017, 22:38 vor 2617 Tagen @ Michael Krause 4600 Views

bearbeitet von unbekannt, Dienstag, 28.02.2017, 18:41

Gegenfrage: Techniker mit Universalwissen oder Strafverteidiger? Frag mal Elli, der kennt meinen akademischen Lehrer im Strafrecht[[lach]]

Wissenschaft wird mit Argumenten, nicht von Autoritäten entschieden. Juristen kranken im Allgemeinen gerade daran, daher die Gutachterschlachten vor Gerichten, daß sie sich technisch meist nicht auskennen. (Patentanwälte, die i.d.R. Ingenieure sind, kranken daran, daß sie nicht Juristen sind - als ich mal eine Patentsache habe prüfen lassen, habe ich mir dafür wohlweislich einen Patentanwalt gesucht, der sowohl Diplom-Ingenieur war, wie auch die zweite juristische Staatsprüfung hatte - zu allem Überfluß war er auch noch doppelt promoviert; dennoch habe ich ihn einem ziemlichen Rigorosum unterzogen.)

Andererseits ziehe ich vor mehreren BGH-Senaten den Hut, die ich habe sowohl in technischen wie in biologischen Fragestellungen manche Gutachter an den Rand dessen bringen sehen, ihre Habilitation zurückzugeben.

Der Unterschied zwischen einer Giftspritze und einem Auto dürfte sogar einem Techniker bekannt sein.

Jede Analogie hinkt. Es ging (mir) um das Merkmal des 'gefährlichen Werkzeugs'. Erstmal. Sodann:

Falls nicht hier die Erklärung: Drücke ich auf eine Giftspritze, gefährde ich nur den Empfänger, fahre ich mit 160 km/h gegen ein anderes Auto gefährde ich mich selber und auch denjenigen, der im anderen Auto sitzt. Sollte eigentlich selbsterklärend sein?

Ja. Aber das ist dennoch unerheblich. Dir ging es darum, daß diese beiden jungen testosterongesteuerten Rambo-Helden sich ihrer Sache so sicher gefühlt hätten, daß sie sich unverwundbar vorkamen. Und daher hätten sie nicht glauben können/müssen, daß sie auch andere verwunden/töten könnten, bloß, weil sie sich nicht in Todesgefahr sahen. Das halte ich für ein geradezu klassisches non sequitur.

Denn genau das ist bei solchen Menschen nicht der Fall. Von der eigenen Unverwundbarkeit gehen viele aus, z.B. der junge Maler- und Verputzergeselle, der auf einem Gerüst stehend allen Ernstes meinte, da er schon mehrmals Stromschläge aus einer Steckdose 'unbeschadet' überstanden hatte, er könne an die unweit des Gerüsts verlaufende Freileitung fassen (was im Übrigen auch unzulässig war - dort muß entweder Sicherheitsabstand eingehalten oder die Leitung muß vor Aufstellen des Gerüsts an der Stelle isoliert werden, vom Betreiber).

Nun griff er beherzt an einen der Leiter - und es geschah nichts. Seine staunenden Zuschauer begannen nun auch daran zu glauben, da könne einer über Wasser laufen; er hatte aber bloß zufälig den 'Nulleiter' erwischt.

Noch übermütiger geworden, faßte er einen zweiten Leiter an, nunmehr natürlich eine stromführende Phase, und danach war von ihm nicht mehr viel übrig.

Ähnlich siegessicher, gewendet auf ihr automobilistisches Können, mögen auch diese beiden Rabauken gewesen sein, jedenfalls interpretiere ich dieses psychologische Gutachten, das in der Presse auszugsweise zitiert war, so.

Aber das erstreckt sich doch nicht, jedenfalls nicht, ohne darüber Beweis zu erheben, auf den dolus eventualis (vgl. im angelsächsischen Recht "... which is present when the perpetrator objectively foresees the possibility of his act causing death and persists regardless of the consequences, suffices to find someone guilty of murder.")

Daß hier im deutschen Strafrecht evtl. Neuland betreten wurde, kann man so sehen - die klare Positionierung hat auch mich überrascht. Aber wenn man sich die Rechtsprechung des BGH zur Nötigung ('vergeistigter Gewaltbegriff') ansieht, die irgendwann im Gefolge der studentischen Sit-ins vor Straßenbahnen eine Nötigung aufgrund eines psychischen Mechanismus im Straßenbahnfahrer annahm und damit selbst über Konstrukte hinausging, die im Dritten Reich gang und gäbe waren, so stelle ich fest, daß die Interpretation von psychisch zu bestimmenden Tatvorsätzen und -wirkungen oftmals die aktuelle Rechtsprechung beeinflußt. Ich könnte mir gut vorstellen, auch wenn hier eine Klarstellung des Gesetzgebers wünschenswert wäre, daß die Richter der in Zukunft absehbaren Lynchjustiz beim nächsten Raser-Mord vorbeugen möchten. Ähnlich sah es aus, als sich in den sechziger Jahren Morde an Taxifahrern häuften (was zur vorübergehenden Einführung der Trennscheibe führte) und dann binnen kurzem es zu lynchmobmäßigen Ausschreitungen von Taxi-Kollegen kam (auch bei 'normalen' Diebstählen und Rauben).

Siehe auch:

- Burhoff: Bedingter Vorsatz – bewusste Fahrlässigkeit? Die Abgrenzung ist nicht so ganz einfach

- community.beck.de: "Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet."

Genau darum geht es hier und offenbar hat das erkennende Gericht aus dem 'Inbegriff der Hauptverhandlung' genau diesen Schluß gezogen, d.h. auch, daß sie sich mit der möglichen Tatfolge innerlich abgefunden hatten.

Siehe auch weiters zur Abgrenzung von bewußter Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz.

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Und eine Frage an den Hilfsjuristen:

Muß das da nicht statt 'Unschuldsvermutung' besser 'in dubio pro reo' heißen?

Im Urteil bei der Würdigung des Vorsatzes und Motivs gilt ja nun nicht mehr die Unschuldsvermutung, sondern nur noch, daß man dem Angeklagten nicht zur Last legen darf, was man ihm nicht zweifelsfrei nachweisen kann.

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Meine Meinung

Kaladhor @, Münsterland, Dienstag, 28.02.2017, 00:38 vor 2616 Tagen @ Michael Krause 4253 Views

Im vorliegenden Fall ist das Gericht davon ausgegangen, dass jemand, der
mit mehr als 160 Stundenkilometer, wenn auch nachts, in der Berliner
Innenstadt über rote Ampeln rast, den Tod unbeteiligter Verkehrsteilnehmer
billigend in Kauf nimmt.

Doch, genau das ist es aber! Wer mit solchen Geschwindigkeiten innerhalb einer Ortschaft unterwegs ist, der nimmt es nicht nur billigend in Kauf, andere zu schädigen. Nein, so jemandem ist es schlicht und ergreifend vollkommen gleichgültig, ob andere durch das eigene Verhalten zu Schaden kommen.

Ich behaupte einmal, dieses Urteil wird vor dem 5. Strafsenat keinen
Bestand haben:

Hoffentlich nicht!

Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den meisten anderen
Tötungsdelikten dardurch, dass sich hier das Täterverhalten auch gegen
das eigene Leben richtet. Wer rast und den Tod anderer Verkehrsteilnehmer
billigend in Kauf nimmt, der nimmt dann als Kehrseite zwingend auch den
eigenen Tod billigend (Wollenselement) in Kauf. Suizidale Tendenzen wird
man bei den beiden 25 und 28 jährigen Fahrern nach deren Auftreten kaum
unterstellen können. Weiterhin macht auch das Gutachten der durch das
Gericht hinzugezogen Psychologin dieses deutlich. Beide dachten, das Risiko
im Griff zu haben. Sie wollten das eigene Ego stärken.

Wenn man durch Raserei sein Ego stärken will, soll man bitte die nächstgelegene Rennstrecke aufsuchen und das dort klären, aber ganz sicherlich nicht in einer Stadt! Auf der Rennstrecke gibt es keinen Gegenverkehr, keinen querenden Verkehr, keine Fußgänger (ja, auch nachts können noch Fußgänger unterwegs sein) und vor allem breite Auslaufflächen....alles Dinge, die es in einer Stadt nicht gibt. Ich habe es ehrlich gesagt nie verstanden, warum solche Delikte nur als Ordnungswidrigkeiten behandelt werden. Wer mit stark überhöhter Geschwindigkeit durch Stadtstraßen rast, gestaltet sein Fahrzeug in eine Waffe um. Und genau so muss dann auch bestraft werden.

Das aber spricht dagegen, dass beide auch den eigenen Tod billigend in Kauf
genommen haben. Diese Erwägung spricht im Übrigen in den meisten ähnlich
gelagerten Fällen dagegen von Mord auszugehen, wie es alle Gerichte zuvor
gehandhabt haben.

Das sind doch einfach nur idiotische Spitzfindigkeiten.

Grüße,
Kaladhor

--
Ich bin nicht links, ich bin nicht rechts, ich kann noch selber denken!

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