Die Musik hat längst aufgehört, zu spielen.

Julius Corrino, Sur l'escalier des aveugles, Freitag, 02.02.2024, 13:18 (vor 86 Tagen) @ BerndBorchert1267 Views

Es geht in der Tat um H.G. Maaßen - und zwar eher als Repräsentant eines bestimmten Typus als seine konkrete Person. Wir leben jetzt in einer Epoche, in der krisenbedingt der alte soziale und politische Grundkonsens aus der Zeit des erwähnten Großen Fressens nach dem Zweiten Dreißigjährigen Krieg aufgekündigt wurde. Masseneinwanderung und ein massiver, hausgemachter Wohlstandsverlust als die beiden Haupttreiber dieses anhaltenden Prozesses haben dafür gesorgt, daß sich die Gesellschaft in zwei feindliche Pole gespalten hat. Der eine ist die permanente, von oben befohlene linksliberale Revolution wider Mensch und Welt und der andere die das Primat der materiellen Realität behauptende Reaktion, so handzahm sich diese aktuell auch gebärdet.

Fahnenträger des ersteren wollen per Verwaltungsanordnung Naturgesetze wie z.B. die Energieerhaltung oder diverse biologische Grundtatsachen des Menschseins im Dienste eines weltentrückten, selbstmörderischen Idealismus außer Kraft setzen. Die des zweiteren sind diejenigen, die die zerstörerischen Folgen dieses Treibens im alltäglichen Leben unmittelbar am eigenen Leib zu spüren bekommen und daher ihrem Selbsterhaltungstrieb in den Widerstand gegen erstere folgen.

Ohne den einsetzenden Massenwohlstand der 1950er hätte das erste Lager gar nicht erst Oberwasser bekommen, um die in den Liberalismus eingebauten Grundannahmen (autonomes Invidiuum, unveräußerliche Rechte und dergleichen) zu ihrem logischen Endergebnis zu bringen. So weit, so banal.

Leute wie Maaßen versuchen sich nun an dem wahnwitzigen Projekt, in dem entvölkerten weltanschaulichen Niemandsland zwischen den beiden Feindlagern ein eigenes aufzuspannen. Die Revolutionäre verachten ihn, weil er sich nicht zur vollständigen Linientreue durchringen konnte und haben ihn zum Klassenfeind erklärt. Die Reaktionäre sind ob seiner naiven Ortsbestimmung der Gegenwart belustigt und nehmen ihn nicht für voll. Im Zeitalter der vollzogenen epistemischen Scheidung zwischen Dauerrevolutionären und Reaktionären sind Mäßigung, Ausgleich und Kompromiß tot.

Die "vernunftbasierte bürgerliche Mitte" ist schlußendlich kein Modell, das krisen- oder sonstwie tragfähig ist. Sie existiert überhaupt nur in einer extremen Ausnahmesituation: Nämlich dann, wenn vorübergehend überhaupt keine existentiellen Fragen mehr gestellt werden - Sie setzt die ewige Friedensdividende (dereinst mit brutaler Waffengewalt und zum Preis von dutzendmillionen Toten und vollständiger metaphysischer Selbstaufgabe erkämpft) stillschweigend voraus und lebt somit von Grundlagen, die sie selbst nicht schaffen oder erhalten kann. Das erklärt auch, warum sie gegenüber genuin politischen Kräften (also denjenigen, die ihr Dasein auf ausdrücklicher Freund-Feind-Markierung gründen) stets so wehrlos bleiben mußte.

Der erwähnte Oberstudienrats sollte nur exemplarisch als Vertreter und Produkt der untergegangenen Wohlstands-BRD stehen, für den die Einschläge zumindest für den Moment noch fern und leise ausfallen.

Und ja, Bundesbehördenleiter, auch ehemalige, sind in der heutigen Zeit per definitionem Teil des juste milieu und wollen es qua Sozialisation auch sein. Die Dinge waren ja auch 2016 längst nicht mehr erträglich.

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Ainsi continue la nuit dans ma tête multiple... elle est complètement dechirée... ma tête.
- Luc Ferrari


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