Nun habe ich mich damit ausführlich befasst

helmut-1, Siebenbürgen, Mittwoch, 01.01.2020, 17:35 (vor 1549 Tagen) @ Falkenauge1956 Views

Lieber Falkenauge,
diese Abhandlung ist nicht in der Form, dass man das einfach nur abnicken kann. Zwangsläufig wirds wieder im XXL-Format.

Viele Deiner Beiträge im Kratzer bedürfen, - wie ich bereits angesprochen habe - keiner Ergänzung, weil einfach alles gesagt wurde. Das Thema Freiheit ist ein Thema, über das ich bereits – u.a. auch mit Jugendlichen – nächtelange Diskussionen geführt habe. Freiheit ist eigentlich kein Thema, es ist in Wirklichkeit eine Form der Weltanschauung.

Warum antworte ich so explizit darauf:

Freiheit war eines der bestimmenden Präambeln in meinem Leben, - Freiheit ist für mich kein leeres Wort, sondern auch etwas, wofür man bereit sein muss, sein Leben zu geben. Vielleicht ist das zu hochtrabend ausgedrückt, - aber aufgrund dieser Einstellung habe ich oftmals viele Stunden an den Grenzen am Eisernen Vorhang verbracht und mich unangenehmen Fragen stellen müssen, aber es hat mich niemals gehindert, diejenigen zu unterstützen, insbesondere mit Informationen, die in der Unfreiheit gelebt haben.

Dazu kommt, dass ich mich zu den ganz Wenigen zählen darf, die das Glück hatten, die Freiheit in einer bestimmten Phase fast im 100%-Modus genießen zu können. Ich weiß also, wie sie „schmeckt”.

Ich will nun auf die von Dir genannten einzelnen Punkte eingehen.

Du schreibst:

Die geschilderten Triebfedern lassen keine freie Handlung entstehen

Z.B. in Zusammenhang mit Religion. Gutes Stichwort.

Da stellt sich die Frage, was vorher war, das Huhn oder das Ei.
Warum:
Der Mensch hat den freien Willen, sich dieser Religion zuzuwenden und deren Regeln anzuerkennen. Er kann sie genauso ablehnen. Oder er macht sich seine eigene Religionsauffassung zurecht, wie z.B. ich. Ich bezeichne mich als Christ, und nicht als kath. oder evang., usw. – weil bei uns in der Familie alle Richtungen vertreten sind (kath., evang., orth.)

Diese Freiheit steht jedem zu. Wenn es mir danach ist, dass ich z.B. am kath. Gottesdienst teilnehme und die Kommunion annehme, dann könnte der Pfarrer die Frage stellen, ob ich auch vorher das Sakrament der Beichte in Anspruch genommen habe. Er fragt es nicht. Denn er weiß genau, was ich ihm drauf antworten würde: Ich war letzte Woche im evang. Gottesdienst und hab da an der Pauschalbeichte zu Beginn des Gottesdienstes teilgenommen. Ist einfacher und unkomplizierter, und ich bin „geläutert”.

Ich nenne das nur als individuelles Beispiel. Mittlerweile sind die Kirchenvertreter auf der unteren Ebene sehr wohl in der Lage, diese Art von „Selbstverwirklichung” zu akzeptieren. Die meisten haben auch nichts dagegen, die Leute aus der anderen "Fakultät" an den sakralen liturgischen Vorgängen mit teilhaben zu lassen, - obwohl es von höchster Ebene nicht erlaubt ist.

Öfters sind bei mir die Pfarrer aus der Nachbarschaft, - aber aus allen drei Glaubensrichtungen, bei mir im Wohnzimmer, - um über die Möglichkeiten der realen Ökumene zu diskutieren.

Das ist meine persönliche Freiheit. Von manchen Kirchenoberen wird das aber nicht zugestanden, sondern verwehrt. Da nistet sich dann bei der Religion der Begriff „Unfreiheit” ein.

Das nächste Zitat:

Entweder handle ich aus eigener voller Erkenntnis selbst, oder ich werde, mir nicht voll bewusst, für fremdes Wollen von innen oder von außen instrumentalisiert.

Und genau da scheiden sich die Geister.
Wenn ich mir sage, dass ich die Frau xy unbedingt haben will, ist das dann meine freie Entscheidung oder werde ich da von meinem Sexualtrieb dazu angestiftet, und ich kann eigentlich gar nicht frei entscheiden, weil mir der Kopf vernebelt ist und sich meine Gehirnwindungen unterhalb der Gürtellinie befinden.

Denke, es lohnt sich nicht, darüber nachzudenken, - da könnten wir wieder tagelang drüber philosophieren.

Wieder ein interessantes Zitat:

Einen sittlichen Fortschritt bedeutet es, wenn der Mensch ein sittliches Prinzip deshalb zu seinem Handlungsmotiv macht, weil er den Grund dafür in einem Bedürfnis des sittlichen Lebens erkennt, seine Berechtigung oder Notwendigkeit also einsieht

Da könnte man in provokativer Form wieder etwas anführen:
Wenn der pädophil Veranlagte seinen Trieb „in Freiheit” ausleben will, ist er dann frei? Nun das Gegenteil: Nimmt er dann Tabletten oder verwehrt sich das, weil er weiß, dass das sittlich nicht zulässig ist, - ist er dann unfrei?

Deshalb spreche ich dem heute lebenden Menschen in der Mehrheit das Recht ab, frei zu sein. Aus dem einfachen Grund, weil er seine Individualität in einer Art des Egoismus auslebt, die jedem sozialem Zusammenleben entgegensteht. Das hat nun überhaupt nichts mehr mit dem Begriff „Pädophil” zu tun, sondern erstreckt sich auf alle Lebensbereiche. Die Grundidee der Demokratie nach griechischem Ursprungsideal kann sich in unserer derzeitigen Welt niemals entwickeln. Je mehr jemand frei sein will, umso mehr geht es auf Kosten seines Nächsten in der Gesellschaft, der dadurch die Nachteile zu spüren bekommt.

Klar steht das im Widerspruch zu meinem persönlichen Bewusstsein von Freiheit, zumal ich diese ja auch auskosten durfte. Aber ich bin zu dieser Einsicht gekommen, weil mir nur zu klar ist, dass der Mensch kein demokratisches Bewusstsein in der Form entwickeln kann, dass er über seinen persönlichen Tellerrand drübersehen kann. Da nehme ich auch mich nicht davon aus.

Letzteres ist aber die Grundlage dafür, um ein Höchstmaß an persönlicher Freiheit in einer Gesellschaft leben zu können. Deshalb wird die Gesellschaft immer gewisse Freiheiten einschränken müssen, um andere Freiheiten erhalten zu können. Das wird in einem demokratischen System anders sein als in einem autoritären.

Dazu kommt die notwendige Erkenntis, dass Freiheit und Sicherheit gegensätzliche Komponenten sind, das eine wird immer auf Kosten des anderen gehen.

Irgendwo habe ich auch was von Pflichtbewusstsein gelesen.

Was ist nun frei? Ist die Pflicht unfrei? Nehmen wir mal Tagore und sein berühmtes Zitat:

Ich schlief und träumte, das Leben sei Freude. Ich erwachte und sah, das Leben war Pflicht. Ich handelte und siehe, die Pflicht ward Freude.

Wo fängt die Freiheit bei der Pflicht an und wo hört sie auf? Wer will die Parameter dafür festlegen? Wer fühlt sich frei, weil er freudig seiner Pflicht nachgeht, und wer fühlt sich unfrei, weil ihn die Pflichterfüllung belastet?

Letztlich wirst Du in einem Punkt völlig recht haben, wo die Begriffe auseinanderdriften, nämlich bei „Ideal und Wirklichkeit” – das triffts genau.

Dein abschließendes Zitat:

Nur wenn sich bei einer genügend großen Zahl von Menschen die Sehnsucht nach innerer Freiheit Bahn bricht und die Freiheit immer mehr als die Blüte des Menschseins erlebt wird, wachsen die nötigen voranschreitenden Vorbilder heran, denen immer mehr nachfolgen, so dass die Ketten der Despotie weniger Machtpsychopathen abgestreift werden können, die auf dem Wege sind, die Menschheit weiter in die Selbstzerstörung zu treiben.

Sagen wir mal so: Die innere Freiheit ist die geistige Freiheit. Und Du meinst, dass soll uns dann auch zur physischen Freiheit führen, gewissermaßen zur Freiheit in der Gesellschaft?

Vieles, was ich davor angeführt habe, widerspricht dieser These. Gute Beispiele dafür findet man auch im medizinischen Bereich. Obwohl ich das nicht in Bausch und Bogen unterstütze, sehe ich die Freiheit der Religion im Zusammenhang mit medizinischen Entscheidungen bei den Zeugen Jehovas bei der Ablehnung einer Bluttransfusion gegeben. Ja, für den Entscheidungsträger ist es seine Form der Freiheit. Für deren unmündiges Kind, das darauf angewiesen wäre, - was ist es dann? Auch Freiheit?

Kurz vor den Feiertagen hatte ich eine infektiöse Lungenentzündung. Es ist meine Freiheit, das selbst (als Nichtmediziner) zu konstatieren und meine persönliche Behandlung auf natürlicher Basis vorzunehmen, - ohne Antibiotika. Klar hab ich das innerhalb weniger Tage mit meiner spezifischen Rosskur wegbekommen. Nur die physische Kraft fehlt noch, die muss noch zurückkommen.

Was macht derjenige, der zum Hausarzt geht und einen Korb voll Medikamente verschrieben bekommt, - beginnend mit Breitbandantibiotikum? Ist dieser Mensch überhaupt noch frei? Er unterliegt ja dem Zwang, dass er lebensgefährlich erkranken könne, wenn er die Vorgaben des Mediziners nicht erfüllt. Es liegt dann im Ermessen des Hausarztes, ihn ins Krankenhaus einzuweisen. Will er das nicht oder das Krankenhaus vorzeitig verlassen, muss er bestimmte Erklärungen unterschreiben. Freiwillig?

Sagen wir mal so, - zum Ideal der Freiheit gehört auch noch ein ganz anderer Faktor, den Du gar nicht angesprochen hast, - nämlich das Wissen. Manche bezeichnen es als Bildung. Es ist eine der Grundvoraussetzungen, zu erkennen, wo überhaupt das Ausleben der persönlichen Freiheit noch möglich ist.

Abschließend meine persönliche Auslegung des Begriffs Freiheit:

Freiheit bedeutet für mich in erster Linie Unabhängigkeit. Genau da kann man klar erkennen, wie weit es mit unserer Freiheit bestellt ist. Jeder ist auf irgendwas angewiesen, - und kann nicht völlig unabhängig sein. Man muss es eben abwägen, und kann es in Prozentzahlen erfassen.

Beim abhängig Beschäftigten ists z.B. der Arbeitgeber, aber auch bei Rockefeller ists der Sekretär, auf den der Mann angewiesen ist. Weitgehende Unabhängigkeit ist üblicherweise mit großem finanziellen Wohlstand verbunden, aber auch dieser kann es nicht zu 100 % ermöglichen.

Dabei ist schon wichtig, dass wir die Attribute der Freiheit resp. der Unabhängigkeit unterscheiden. Es kann immer nur von einer relativen Freiheit/Unabhängigkeit die Rede sein, an die ein einzelner Mensch – je nach seiner Situation – herankommen kann. Wobei der Eremit in seiner Waldhütte manchmal freier ist als der millionenschwere Konzernchef.

Klar gibts auch die absolute Freiheit/Unabhängigkeit, aber die unterliegt einem Dilemma: Man bekommt sie erst, wenn man die berühmten zwei Meter tiefer liegt und sich die Würmer das Fresslätzchen umgebunden haben.....


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