Was ist Wahrheit?

nereus, Freitag, 13.09.2019, 08:44 (vor 1658 Tagen) @ Falkenauge2875 Views

Hallo Falkenauge!

Du schreibst: Man muss richtiger sagen: Jede Religion erhebt natürlicherweise den Anspruch, wahr und gültig zu sein. Das bedeutet aber nicht von vornherein Intoleranz gegenüber dem religiösen Streben anderer Religionen. Es schließt eine geistige Auseinandersetzung, in der unter gegenseitiger Achtung um die rechte Erkenntnis gerungen wird, nicht aus.

Der Islam hatte die Buchreligionen (Judentum/Christentum) weitestgehend akzeptiert, auch wenn er von nachträglichen Verfälschungen dieser vorangegangen göttlichen Botschaften ausging.

Das Unheil entsteht dann, wenn eine Religion die Angehörigen der anderen Religionen mit Gewalt und Todesdrohung zu ihrem Heil zwingen will, wie es im Islam in besonderer Weise mit seinem zugleich weltlichen Herrschaftsanspruch veranlagt ist.

Da gebe ich Dir recht, aber es ist Fakt, daß die Buchreligionen unter islamischer Herrschaft in ihrer Existenz nicht gefährdet waren und nach Zahlung einer Steuer jeder „glauben“ konnte, was er wollte.
Eine Radikalisierung erfolgte erst Anfang des 20. Jahrhunderts, weil zahlreiche Kolonialisierungen für reichlich Frust sorgten und spätestens nach Errichtung des Staates Israel und aller damit nachfolgend verbundenen Kriege dieser Frust in offene Feindschaft umschlug.
In diesem Zusammenhang wurden dann leider auch Christen als Agenten der Eroberer betrachtet und verfolgt.
Und, was immer gerne vergessen wird.
Wer stand eigentlich am Anfange einer Muslimbruderschaft, einer Al-Kaida und einem IS?
War diese Radikalisierung nicht auch politisch erwünscht oder wurde sogar aktiv unterstützt, um geostrategische Interessen durchzusetzen?
Darf man das einer Religion vorwerfen oder sollte man hier viel eher die Akteure mehr in den Fokus nehmen?
Müssen sich gläubige Christen vorwerfen lassen, daß sich katholische und vor allem evangelische Kleriker inzwischen zu politisch-korrekten Sprachrohren umfunktionieren lassen?

Der Gewaltvorwurf ist auch gegenüber dem historischen Judentum berechtigt. Das gilt aber nicht für das ursprüngliche Christentum (von dem die christlichen Kirchen zu unterscheiden sind).

Daher habe ich ja auch nur das AT und den Talmud erwähnt.

Ich habe mich seit einigen Jahren mit dem Islam gründlich befasst, auch den Koran gelesen und mich mit seiner islamischen Auslegungsmethode vertraut gemacht.

Bist Du religiös?
Kannst Du mit Ideen einer geistigen Herrschaft über das materielle Sein etwas anfangen?
Das Lesen ist natürlich eine wichtige Voraussetzung, aber vielleicht stimmst Du mir zu, daß man religiöse Texte auch „empfinden“ muß.
Ja, und Auslegungen gibt es im Islam in etwa so viele wie im Christentum oder Judentum.

So habe ich z.B. in Bezug auf den Unterschied Islam und Christentum dort geschrieben: Sicher, auch Christen üben Gewalt aus, und in der Geschichte ist im Namen des Christentums viel Leid, Not und Tod verbreitet worden. Doch im Unterschied zum Islam ist im ursprünglichen Christentum die Gewalt nicht veranlagt, und ihre Anwendung bedeutet einen Abfall von der Lehre und dem Vorbild Christi.

Da muß ich leider schon dazwischen springen.
Die Gewalt ist auch im Islam nicht so zwingend veranlagt, wie das immer dargestellt wird.
Wir dürfen eine spätere Radikalisierung dieses Glaubens durch Okkupation und Intrige – wie zuvor begründet – nicht mit einer grundsätzlichen immanenten Gewalt verwechseln.
Die Araber waren über Jahrhunderte für ihre Toleranz und Gastfreundschaft berühmt.
Einer Gewalt wird nur dann das Wort geredet wenn die eigene Religion nicht mehr ausgeübt werden darf.
Was mir allerdings ebenso übel aufstößt, wie Dir, ist, daß die Abwendung von diesem Glauben so extreme Konsequenzen hat/haben soll.
Ich kann auch mit dem reinen Prophetentum von Jesus nichts anfangen, erkenne aber die gewaltige Bilderflut im Kopf, die der Koran von Gott erzeugt, als maßgeblich an.

Der französische Philosoph Blaise Pascal (1623 – 1662) schrieb dazu: „Mohammed hat eine Herrschaft begründet, indem er mordete, Christus, indem er sich morden ließ. Mohammed hat Mittel und Wege gewählt, um nach menschlicher Auffassung zu siegen, Christus, um nach menschlicher Auffassung zu unterliegen.“

Dagegen läßt sich wenig sagen.
Allerdings war Mohammed ein Mensch, der nur Botschaften empfangen haben will, während Jesus der Botschafter selbst gewesen war.

Vermutlich war Goethe dem „großen Missverständnis“ am ehesten auf der Spur.
Als Anhänger Spinozas, der dem Menschen nur Willensakte im großen Meer des göttlichen Willens zubilligte, erkannte er in der Offenbarung des Einen, die Problematik der christlichen Trinität, die nur schwer verstanden wird/werden kann.
Ich vergleiche das immer mit dem Bilderverbot und den Meisterwerken des Mittelalters, wo man Gott als Person abbildet.
So schön wie diese gemalte Kunst auch immer aussehen mag, sie öffnet das gefahrvolle Tor zum Unverständnis, in der am Ende der alte Mann im weißen Hemd steht, der in den Wolken wohnen soll, auf uns herab blickt und nichts tut, wenn wir ihn dringend brauchen.

mfG
nereus


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