Werte finden oder schaffen? Sowohl als auch!

Weiner, Mittwoch, 04.09.2019, 09:15 (vor 1695 Tagen) @ Oblomow2578 Views

Guten Morgen Oblomow!

Werte sind ein sehr weites Feld voll Rauch und Nebel. Sie reichen in den Bereich der Ästhetik, der Ökonomie, ja sogar der Technik hinein (Optimierungsstreben gilt als positiv, steht aber manchmal in Konflikt mit wirtschaftlichen Interessen oder anderen 'Idealen' wie der Schlankheit einer Technologie). In diesem Thread reden wir vom Bereich menschlichen Verhaltens. Mir war hier ein Buch von Dietmar Hübner hilfreich:

Einführung in die philosophische Ethik (V&R/utb/2.Aufl.)

Für Hübner gibt es erstens die Moralen(!), d.h. Normensysteme für das menschliche Verhalten, die Gültigkeit beanspruchen. Und daneben bzw. darüber gibt es für ihn die Ethik als Lehre bzw. Wissenschaft davon, welche Moralen (=Verhaltensnormensysteme) es gibt, welche Begründungen sich für sie angeben lassen und welcher Logik ihre Begriffe, Aussagen und eben Argumentationen folgen. In dieser Auffassung von Ethik ist letztere ein System der Prüfung und Bewertung einer Moral: Was kann gut sein - und warum?

Manchmal werden Normensysteme auch ganz ohne Begründung aufgestellt und irgendwie (siehe Schweigespirale oder vorauseilenden Gehorsam) durch allgemeinen Konsens (political correctness ...) entwickelt, im schlimmsten Fall mit Macht durchgesetzt. Dann geht die helle Moral, als gute Sitte aufgefasst, sehr schnell über in den (oft dunklen) Bereich des Rechts.

Auf diesem Hintergrund will ich durchaus bei meiner Aussage bleiben, dass ein Wert, d.h. eine wertgeschätzte Verhaltensnorm erst (geistig) gefunden werden muss: es ist eine Art intuitiver Akt, der in und für eine bestimmte geschichtliche Situation eine Verhaltensnorm als 'richtig und wichtig und wertvoll' erkennt und anderen Menschen vorschlägt. Man muss doch erst mal auf den Gedanken kommen, dass wir Menschen dem Klima was Gutes tun könnten!!!

Nicht das beste Beispiel wäre vielleicht auch Solon, der als Gesetzgeber für Athen in kritischer Zeit neue (politische) Verhaltensregeln formuliert, ebenfalls ein geistiger Findungsakt, dem dann die dann Zustimmung der Athener folgen muss.

Bei der letzteren Satzhälfte wäre ich - und wiederhole meine Auffassung erneut - beim dem Teil, den Du vielleicht meinst mit "Werte erschaffen". Ich hatte diesen Prozess beschrieben als zuerst "selbst praktizieren" und hernach "um Gleichgesinnte werben". Dann wird der neue Wert allmählich zu etwas, das Menschen zu einer Gemeinschaft verbindet. Er wird soziale Realität und ist dadurch "erschaffen". Vielleicht können wir auf diese Weise zu einem Kompromiss in der Werte-Diskussion kommen.

Wie bereits gesagt sind wir hier im Bereich des Sozialen. Werte kann man sich aber auch selbst auferlegen (siehe den einsiedlerischen Mönch). Und Werte können auch metaphysische Zonen berühren.

Dazu ein weiteres Beispiel: bevor Moses seine Wanderarbeiter, die als Wirtschaftsflüchtlinge einst ins reiche Ägypten gekommen waren, wieder in die Freiheit der Wüste führen kann, muss er sie erst dazu bringen, den tosenden Berg-Gott wertzuschätzen, der ausgerechnet ihn, den stotternden Hirten in Midian, mit diesem merkwürdigen Unterfangen beauftragt hat. Und dieser Gott wiederum, auch nicht uneigennützig, verlangt außerdem, dass die Migrantes sich an bestimmte Regeln halten sollen (kein Schweinefleisch essen, immer die Hände waschen, Vorhaut abschneiden). Dann erst, und nur dann würde der Tosende sich um die Migrantes nämlich - wie ein Vater und wunderbar - kümmern. Das war ein langer Prozess, bis Mose schließlich einen ziemlich eigenartigen "Bundesschluß mit Wertekodex" zwischen den Migrantes und jenem eigenartigen Wind- und Wüstengott ausgehandelt und akzeptabel gemacht hatte, dessen Namen man nicht aussprechen darf und der vielleicht auch gar keinen hat ...

Hieran mag man sehen, dass Werte immer geschichtlich gebunden sind, jedoch gibt es sehr wahrscheinlich ein Set von elementaren und universalen Regeln, die dabei helfen können, dass sowohl einzelne Individuen wie auch Menschengemeinschaften die in ihnen liegenden Möglichkeiten zu allen Zeiten bestmöglich und ausgewogen entfalten können. "Bestmöglich" und "ausgewogen" sind aber schon wieder eine "Bewertungen" ...

Ich habe übrigens heute zu einem anderen Beitrag von Dir noch etwas geschrieben.

http://www.dasgelbeforum.net/forum_entry.php?id=496270

Wünsche Dir und allen Mitleserinnen einen schönen Tag!

Weiner


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