Kant ist mainstream, Hamann ist gelb

Oblomow, Samstag, 17.08.2019, 12:51 (vor 1711 Tagen) @ Mephistopheles2560 Views

Ich habe nur so viel verstanden - wobei ich natürlich nicht ausschließe,
dass ich nicht alles verstanden habe oder das, von dem ich meine, dass ich
es verstanden hätte, falsch verstanden habe: Die Vernunft ist unser
einziger Maßstab, mit dem wir unterscheiden können, ob etwas wahr ist
oder falsch. Was aber ist der Maßstab der Vernunft? Wie kann entschieden
werden, was Vernunft ist? (Für den Gläubigen ist alles Seiende göttlich
bzw. von Gott erschaffen und somit ein Beweis für die Existenz und den
Willen und die Allmacht Gottes)

Eine wirklich originelle und wichtige Frage, wenn ich, s.o., sie richtig
erfasst habe.
Ich behelfe mir damit, dass ich nicht mehr frage, ist es gut oder böse,
sondern: Ist es edel oder niedrig? [[freude]]
Die Vernunft wäre demnach aber nicht fix, sondern wandelbar (kein
Fixstern, sondern ein Planet, der uns in seine Schwerefeld einbezieht).

Das ist ja schon mal eine Frage. Entscheidender, wobei ich mich sicher irre, ist jedoch die Sprachkritik, hier Nietzsche und Wittgenstein vorwegnehmend. Hamann dazu:

"Der dritte, höchste und gleichsam empirische Purismus betrifft also noch die Sprache, das einzige, erste und letzte Organon und Kriterium der Vernunft, ohne ein anderes Kreditiv als Überlieferung und Usum [Gewohnheit, wp]. Es geht aber einem auch beinah mit diesem Idol, wie jenem Alten mit dem Ideal der Vernunft. Je länger man nachdenkt, desto tiefer und inniger man verstummt und alle Lust zu reden verliert. "Weh den Tyrannen, wenn sich Gott um sie bekümmern wird! Wozu fragen sie also nach Ihm? Mene, mene, tekel den Sophisten! ihre Scheidemünze wird zu leicht gefunden und ihre Wechselbank zerbrochen werden!

Rezeptivität der Sprache und Spontaneität der Begriffe! - Aus dieser doppelten Quelle der Zweideutigkeit schöpft die reine Vernunft alle Elemente ihrer Rechthaberei, Zweifelsucht und Kunstrichterschaft, erzeugt durch eine ebenso willkürliche Analysis als Synthesis des dreimal alten Sauerteigs neue Phänomene und Meteore des wandelbaren Horizonts, schafft Zeichen und Wunder mit dem Allhervorbringer und Zerstörer, dem merkurischen Zauberstabe ihres Mundes oder dem gespaltenen Gänsekiel zwischen den drei syllogistischen Schreibefingern ihrer herkulischen Faust - -

Schon dem Namen Metaphysik hängt dieser Erbschaden und Aussatz der Zweideutigkeit an, der dadurch nicht gehoben, noch weniger verklärt werden mag, daß man bis zu seinem Geburtsort, der in der zufälligen Synthese eines griechischen Vorworts liegt, zurückgeht. Gesetzt aber auch, daß es in der tranzendentalen Topik auf den empirischen Unterschied hinten und über noch weniger ankäme, als bei einem a priori und a posteriori auf ein hysteron proteron, [das Spätere ist das Frühere, wp] so breitet sich doch das Muttermal des Namens von der Stirn bis in die Eingeweide der ganzen Wissenschaft aus und ihre Terminologie verhält sich zu jeder anderen Kunst-, Weid-, Berg- und Schulsprache, wie das Quecksilber zu den übrigen Metallen."

Goethe, dieser seltsam undeutsche Urdeutsche mit spezieller Kenntnis des Mephistophelischen schätzte Hamann arg, Kant ödete ihn an. Die Sprache, darum geht es. In "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne", den man gut als Begleittext zu Hamann lesen kann, geht es auch nur um eins, eine Vernunftkritik aus dem Geiste der Sprachkritik. Womit wir wieder bei @Ashitakas Spruch sind, der am Ende jeder seiner Beiträge steht usw, etc pp

Herzlich und ein schönes Wochenende
Oblomow


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