Oswalds rhapsodische Gesänge

Tempranillo, Dienstag, 06.08.2019, 17:02 (vor 1697 Tagen) @ Taurec3454 Views

Hallo,

Deine Erklärung hat allerdings einen wesentlichen Mangel, den Du in
Deiner kausalen Verengung auf die Entstehung der heutigen Zustände
übersiehst.
Spengler hat nicht nur ein Modell für die Entwicklung des Abendlandes,
sondern sämtlicher Kulturen formuliert.

Von Anfang bis Ende trivial, aber sehr gut beschrieben.

Spengler liefert für all diese Aufstiege und Niedergänge ein
einheitliches Erklärungsmuster, gegenüber dem die kausalen
Verstrickungen, die zum Niedergange einzelner Völker und Reiche führten,
zweitrangig wirken, gleichwohl diese Zusammenhänge (das wäre im Einzelnen
zu prüfen) richtig sein mögen. Die Planer und Vollzieher des
Weltumsturzes sind in diesem Sinne nichts weiter als Instrumente des
"Weltgeistes", der durch sie wirkt, den sie aber (vermutlich) nicht
erahnen, weil sie in luziferischem Machbarkeitswahn vermeinen, die Welt
tatsächlich nach eigenen Gutdünken umgestalten zu können. In
Wirklichkeit betätigen sie sich als Abrißunternehmer, als
Aasfresser, die mit ihrem Nährkörper untergehen werden. Aus den
Hinterlassenschaften zersetzter kultureller Bindungen, eingeebneten
Hierarchien, punktuell bewahrten Traditionen und Ideen als Keimzellen kann
erst organisch etwas neues erwachsen.

Eine von Spenglers anspruchsvollen Prophezeiungen, von denen wir nicht sagen können, werden sie eintreffen oder sind sie nicht wie die Schauungen Alois Irlmaiers letztlich unbrauchbar?

Vieles, was mir an Spengler-Zitaten serviert wird, paßt besser in eine Ballade oder Wagners Nibelungenring als eine historische Studie mit ernsthaftem Anspruch.

Mir kommt vieles vor wie Oswalds rhapsodische Gesänge. Poetisch eindrucksvoll, aber von sehr geringem praktischen Nutzen.

Die Vorgänge sind analog zur
belebten Natur, wo Aasfresser und Bakterien durch Zersetzung der Leichen
des alten den Humus für neues Leben bilden. Es ist ein ewiger Kreislauf,
durch den sich die Natur evolutionär fortentwickelt. Der Mensch als Teil
der Natur bildet durch den Zyklus der Hochkulturen keine Ausnahme.
Daß solche Analogien zwischen Natur und Geschichte möglich sind, deutet
darauf hin, daß eine metaphysische Wahrheit erkannt wurde, daß Spengler
trotz der Makel, die er im Detail haben mag, etwas grundsätzlich richtig
gesehen hat, ohne dessen Kenntnis einem ein wesentlicher Baustein zur
allgemeinen Welterkenntnis fehlt.

Spenglers mit bösartigen begrifflichen Fälschungen (faustisch, Deutschland sozialistisch) unterzogene Analogien scheinen mir banal wie die BILD-Zeitung.

Die Kenntnis der kausalen Zusammenhänge ist durchaus wichtig, vor allem
für jene, die selbst politisch tätig werden wollen und damit in Richtung
der durch die übergeordnete Gesetzmäßigkeit abgesteckten Leitplanken der
Geschichte wirken würden.
Wesentliche Schlußfolgerungen (oder Axiome für weiteres), die sich durch
Kenntnis Spenglers ergeben oder abgeleitet werden können:

1. Das Abendland, wie wir es aus den Geschichtsbüchern kennen, ist
verloren. Es wird nicht wiederkehren. Bestrebungen einer pauschalen
Restauration sind romantisch und fehlgeleitet.

Das fürchte ich auch. Doch warum dem so ist, versucht Spengler damit zu beantworten, indem er ein Riesenfaß roter Heringe aufmacht und vor uns auskippt, obwohl Jahrzente vor dem *Untergang des Abendlandes* gigantische Studien veröffentlicht wurden, denen die Ursachen zu entnehmen gewesen wären. Auch Friedrich Wichtls etwa zeitgleich zu Spenglers Opus Magnum veröffentlichtes Buch trägt wesentlich mehr zum besseren Verständnis der Wirklichkeit bei als Oswalds metaphysisches Raunen, das lediglich in drei Absätzen andeutet, wem genau wir Europas Misere zu verdanken haben.

2. Die derzeit von den "Hintertanen" umgesetzten Pläne werden zu
ihrem Verschwinden und zum Zusammenbruch der Zivilisation, wie wir sie
kennen, führen. Das ist der metaphysische Sinn ihrer Existenz, aber nicht
zwingend das Ziel ihrer Pläne. (Inwiefern den Obersten klar ist, was sie
tun, ist ein Streitpunkt.)

Wagners Ring in Spengler'scher Fassung. Kann man akzeptieren oder auch nicht.

3. Aus den vorangegangenen Punkten (und noch weiteren von mir hier
gewiß übersehenen Implikationen der spengler'schen "Morphologie der
Weltgeschichte") wären die Leitplanken der künftigen Entwicklung
abzuleiten und was uns historisch überhaupt noch möglich ist.

Was genau historisch möglich oder wenigstens geboten wäre, kommt bei Spengler nicht vor, worüber Hochfinanz, Großkapital, Angloamerika, Demokraten, Regierende, Großkapital und Theodor W. Adorno zu recht glücklich sein durften und dürfen.

Darauf sind die eigenen Pläne auszurichten und die Anstrengungen zu
verwenden. Impotenz als Folge vermag ich aus Spenglers Philosophie nicht zu
erkennen, eher ein Puzzleteil der Lagebestimmung.

Die Impotenz ergibt sich, bleiben wir in dem von Spengler gesetzten Rahmen, indem man weder weiß, wer für die Katastrophe verantwortlich ist, welches ihre wichtigsten Marksteine waren (1789, 1800, 1914, 1919), noch wen man sich vorknöpfen müßte, um die Dinge zum Besseren zu wenden.

Tempranillo

--
*Die Demokratie bildet die spanische Wand, hinter der sie ihre Ausbeutungsmethode verbergen, und in ihr finden sie das beste Verteidigungsmittel gegen eine etwaige Empörung des Volkes*, (Francis Delaisi).


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