Diese Diskussion ist notwendig und längst überfällig - Danke Herr Gropp

Plancius, Montag, 17.06.2019, 08:28 (vor 1768 Tagen) @ DT2950 Views

Ich wohne im ländlichen Mecklenburg-Vorpommern und fordere schon seit Jahren einen Plan der Landesregierung zur Neuordnung des ländlichen Raumes unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Strukturwandels seit der Wende.

Fährt man durch Mecklenburg, stellt man fest, dass das Land sehr stark zersiedelt ist. Es gibt eine Menge an Klein- und Kleinstdörfern. Viele Dörfer haben keine historische Tradition, sondern sind erst mit den Programmen zur Aufsiedlung des Landes im 19.Jahrhundert und im Dritten Reich entstanden. Im Dritten Reich hat man abseits bestehender Ortschaften noch Ansammlungen von 10 bis 20 Bauernhäusern geschaffen, die man "Ausbau" oder "Siedlung" nennt. Die damalige Siedlungsplanung ging von der landwirtschaftlichen Prägung und den damaligen landwirtschaftlichen Produktionsmethoden aus. Bis in die Mitte des 20.Jahrhunderts war das Pferd die entscheidende Kraftquelle für Feldbearbeitung und Transport. Zur großflächigen landwirtschaftlichen Erschließung des Raumes musste man die Bauern also nahe an den Feldern ansiedeln.

Heute sieht die Situation ganz anders aus. Die Landwirtschaft wird weitestgehend von quasi industriellen landwirtschaftlichen Großbetrieben betrieben und die ehemaligen Bauernhäuser üben nur noch eine reine Wohnfunktion aus. Selbst die Nebenerwerbslandwirtschaft ist seit der Wende fast völlig zum Erliegen gekommen. Aber die Bewohner in den Klein- und Kleinstdörfern möchten an der modernen Lebensweise genauso partizipieren wie die Bewohner der größeren Siedlungen. Dazu gehören nun mal, ein Bad mit Dusche, Waschmaschine, Internet, Mobilfunk, Straßenbeleuchtung, Schule, Arzt, Einkaufsmöglichkeiten usw.

Insbesondere für schulpflichtige Kinder gibt es beim Weg zur Schule wegen der langen Anfahrtswege unerträgliche Situationen. Meine Frau wohnte z.B. in der 90er Jahren noch in einem meckelnburgischen Dorf. Ihre Tochter war z.B. 1 1/4 Stunden zur 7 km entfernten Schule unterwegs, ehe die ganzen Gehöfte abgeklappert waren, die heute gar keinen wirtschaftlichen Sinn mehr ergeben.

Nach der Wende wurde auch im ländlichen Mecklenburg viel investiert, als das Füllhorn des "Gemeinschaftswerk Aufbau Ost" über der Ex-DDR ausgeschüttet wurde.

- Straßen wurden saniert
- Wasserleitungen und Kanalisation wurden gebaut
- Klärwerke wurden errichtet
- Telefon- und Gasleitungen wurden verlegt

Heute mit stark abnehmender Bevölkerungszahl sind die Kommunen jedoch nicht mehr in der Lage, die ganzen Wasser- und Abwassernetze mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand zu erhalten. Alle Bürger haben daher unter ständig steigenden Wasser- und Abwasserpreisen zu leiden, die hohen Fixkosten der Netze bleiben schließlich erhalten und müssen auf die weniger Einwohner umgelegt werden. Weiterhin ist der Ausbau der Telekommunikation, des Highspeed-Internets und des Mobilfunks praktisch zum Erliegen gekommen. Welche private Firma investiert schon in einen sich leerenden Raum?

In unserem Landkreis (ärmster Landkreis Deutschlands) kommt zur Zeit im Durchschnitt auf 3 Sterbefälle eine Geburt. Deshalb hat sich die Einwohnerzahl vieler Städte und Dörfer seit der Wende um 1/3 bis auf die Hälfte halbiert. Z.B. ist die Einwohnerzahl von Malchin in den letzten 15 Jahren von 11.000 auf jetzt 7.500 zurückgegangen.

Trotz der sinkenden Bevölkerungszahl wird auch in M-V im ländlichen Raum rege gebaut. Topseller ist der Scanhaus - Bungalow für ca. 140.000 EUR auf Bodenplatte. Die niedrigen Zinsen locken auch den mecklenburgischen Mindest- und Niedriglöhner ins Wohneigentum. Viele Bungalows werden jetzt auf den Grundstücken der Eltern oder Großeltern in den Kleinstdörfern gebaut, weil zusätzliche Grundstückskosten von ca. 25-35 EUR/qm in der nächstgelegenen Stadt den finanziellen Rahmen sprengen würden. Viele Familien hier haben keinen einzigen Euro Eigenkapital. Da die Banken ein Grundstück, was man nicht käuflich erwerben muss, aber als Eigenkapital ansehen, wird die Finanzierung eines Scanhauses auch bei zwei Geringverdienern ohne Eigenkapital bewilligt.

Ich habe 20 Jahre im Rheinland gewohnt und konnte mir trotz eines sicher 3fachen Gehalts wie hier kein Haus leisten. Es ist einfach auch unsolidarisch, dass über den Länderfinanzausgleich der gutverdienende schwäbische Daimler-Arbeiter dem mecklenburgischen Niedriglöhner hilft, seinen Traum vom Haus zu verwirklichen, während er selbst nur eine Kleinwohnung zur Miete bewohnen kann.

Eine zweite Klientel, die noch in den Dörfern baut, sind Kinder oder Enkel, die nach Rostock abgewandert sind und sich die dorten Hauspreise nicht mehr leisten können und dann 60 km zur Arbeit pendeln.

Über den Daumen gepeilt verfallen 3 Häuser, wenn ein Haus neu gebaut oder eines saniert wird.
Insgesamt kann man sagen, dass die derzeitige Siedlungsstruktur in M-V der heutigen Lebensweise und demografischen Situation in keiner Weise mehr entspricht. Die Aufrechterhaltung der Infrastruktur ist mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand nicht mehr zu gewährleisten. Anstatt zielgerichtet zu investieren, wird in der Fläche sowohl in der Stadt als auch auf dem Dorf nur noch Flickschusterei betrieben. Letztendlich verlieren dabei alle.

Sinnvoller wäre es daher, einen Plan vorzulegen, in welche Dörfer nicht mehr investiert wird und dort dann auch einen Baustopp zu verhängen. Alles dem Selbstlauf zu überlassen ist eines einst hochentwickelten und blühenden Industrielandes wie Deutschland schlicht unwürdig.

Gruß Plancius

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"Natürlicher Verstand kann fast jeden Grad an Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand." ARTHUR SCHOPENHAUER


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