Ein Saldo ist keine Forderung

Silke, Mittwoch, 05.06.2019, 21:47 (vor 1779 Tagen) @ Dieter3234 Views

Lieber Dieter,

ja, mit paranoia habe ich telefoniert.

Vielleicht können hier mehr Foristen davon profitieren.
Ich habe ein Problem mit deiner Gleichsetzung von Salden und Forderungen/Verbindlichkeiten.
Der Forderungsbegriff ist volkswirtschaftlich ein anderer als der betriebswirtschaftliche und der mit diesem verwandte Rechtsbegriff.

Zum besseren gemeinsamen Verständnis hole ich noch mal ein wenig aus:

1. Die Bundesbank ist Teil der europ. Zentralbank, deren Miteigentümer
sie ist (26%).

Ja.

2. Lt. Bundesbankgesetz ist die Deutsche Bundesbank Kaufmann im Sinne des
§1 HGB und ist verpflichtet, einen Jahresabschluß (Bilanz + G+V)
aufzustellen, der dem Handelsrecht unterliegt sowie den Grundsätzen
ordnungsgemäßer Buchführung.

Ich habe nichts von "Kaufmann" nach HGB gelesen.
"Die Deutsche Bundesbank ist eine bundesunmittelbare juristische Person des öffentlichen Rechts."
"...ordnungsgemäßer Buchführung ...für die Wertansätze die Vorschriften des Handelsgesetzbuchs für Kapitalgesellschaften entsprechend anzuwenden."
Immer noch kein Kaufmann...
Jemand der Brot backt nach Brotbackrezept muss noch kein Bäcker sein.
Das ist aber nicht mein Punkt, also weiter.

3. Die Bewertung von Aktive und Passiva hat nach der Vorschriften des
Handelsgesetzbuches für Kapitalgesellschaften zu erfolgen (identisch wie
bei Banken).

"Identisch", ja.
Nach den Vorschriften, ja.

4. Es gibt höchstricherliche Urteile für Forderungen, die weder verzinst
noch einen Tilgungstermin haben, daß diese in einem Zeitraum von ca. 9
Jahren abzusinsen/abzuschreiben sind (Ashitika wird das vermutlich besser
wissen). Insofern sind nach dem Handelsrecht Forderungen der Bundesbank,
die weder verzinst noch eine Fälligkeit haben entspr. abzuschreiben.

Bestimmte Forderungen vielleicht.
Nicht alle Forderungen sind gleich.
Und Summen von Forderungen gleich gar nicht.
Aber weiter...

5. Die Bilanz der Dt. Bundesbank wird einen Gewinn/Verlust ausweisen, der
an den Bundeshaushalt überführt wird und diesen folglich belastet oder
entlastet.
https://www.n-tv.de/wirtschaft/Bundesbank-ueberweist-Milliarden-an-Haushalt-article2087...

Ja.

Die TargetII-Forderungen der dt. Bundesbank sind Forderungen gegenüber
der EZB, deren Miteigentümer die dt. Bundesbank ist.
Die Forderung ist
unverzinslich und hat keinen Termin, ist Bestandteil der Aktiva der Bilanz
der Dt. Bundesbank.

Jede einzelne Forderung und Verbindlichkeit hat sehr wohl Termin und kostenlos gibt es auch nichts im TARGET-System.
"Die Salden werden Jahr um Jahr mit dem Hauptrefinanzierungssatz des EZB-Systems verzinst, akkumuliert und fortgeschrieben." (behauptet die BuBa)
Ein TARGET2-Saldo kann natürlich keinen Termin haben.
Salden sind Summierungen.

In der Bilanz der Dt.Bundesbank 2018 unter Punkt 9 (Forderungen innerhalb
des Euroraums) unter 9.4 = sonstige Forderungen mit 966 Milliarden
ausgewiesen, was in etwa der halben Bilanzsumme entspricht, also der
Hälfte der Aktiva der Dt. Bundesbank.

Eine Summe von einzelnen Forderungen.

Diese Forderung ist wie jeder andere Bilanzposten entspr. den Vorschriften
und höchstrichterlichen Urteilen zu bewerten.

Es ist keine einzelne Forderung sondern eine Summe von ständig fällig werdenden und neu entstehenden Forderungen wie bei den Geldsummen, die fälschlicherweise als Geldmengen bezeichnet werden - ein gewaltiger Strom von Einheiten, die in Einzelsummen zusammengehören, welche saldierbar sind in bilanzierte Summen.
"pro Tag im Durchschnitt rund 340.000 Zahlungen im Wert von rund 1,7 Billionen Euro"
Das sind riesige Ströme, von denen du bilanziell ein Foto zum Stichtag machen kannst: Mio Forderungen mit derundder Größenordnung, Laufzeit und denundden Bedingungen.
"Am Ende des Geschäftstages werden alle innertäglichen bilateralen Verbindlichkeiten und Forderungen automatisch in einem multilateralen Verrechnungsverfahren zusammengeführt und auf die EZB übertragen = Novation, so dass nur noch eine einzige Verbindlichkeit oder Forderung der nationalen Zentralbank gegenüber der EZB besteht."
Diese ist aber nur eine Bilanzierungshilfe zur immer weiteren Saldierung wie auch die Summe der einzelnen Geldsummen von z.B. jeder einzelnen geldpolitischen Operation die gesamte Geldsumme in einer VoWi ergibt, bei der du aber nur jede einzelne Operation rechtlich angreifen kannst.
Was die EZB so treiben darf ist ja hier geregelt.
Da steht nichts von Akzeptanz höchstrichterlicher Urteile bezüglich summierter Forderungen.
Falls jemand ein Urteil kennt wäre die Art der Forderung interessant.

Die Target-Verbindlichkeiten Italiens oder Spaniens sind unverz.
Verbindlichkeiten ohne Termin der entspr. nationalen Zentralbanken
gegenüber der EZB.

Es ist eine Summe von Verbindlichkeiten.
"TARGET-Verbindlichkeiten dürfen nur von Zentralbanken des Eurosystems aufgebaut werden" und "Die Salden werden Jahr um Jahr mit dem Hauptrefinanzierungssatz des EZB-Systems verzinst, akkumuliert und fortgeschrieben."

Ich hoffe, bis hierhin sind wir uns einig.

Bis auf die "eine Summe von Forderungen = rechtlich eine Forderung"-Story und die sehr wohl vorhandene Terminierung und Verzinsung der Einzelforderungen - ja.

Was passiert, wenn Italien aus dem Euro aussteigt? Die Verbindlichkeit
gegenüber der EZB besteht weiterhin, ob sie erfüllt wird und wann steht
im Goodwill Italiens.

Die Haftung für die Forderungen der BuBa liegt bei der EZB und damit beim EU-System und nicht bei Italiens ZB.
Geht sie Pleite wird verwertet.
Steigt sie aus muss sie vertragliche Regeln einhalten.

Inwieweit die EZB jetzt die Forderung abschreibt, bzw. in welchem Maße
kann ich nicht beurteilen.

Dazu ist sie überhaupt nicht befugt.
Um Gesetze so zu ändern muss sie über die Leiche der BuBa.

Die dt. Bundesbank wäre dann mit ihrem Anteil
von 26% am Verlust beteiligt, wobei die Target II- Forderung gegen die EZB
in unverminderter Höhe weiter existieren würde.

Ja.

Für diese Forderung haften die verbliebenen nat. Zentralbanken mit ihren
Anteilen (Dt. 26%).

Wenn eine ZB geht ändern sich die Anteile, aber im Prinzip ja.
Was soll den das für ein fürchterliches Risiko sein, das Prof. Sinn da an die Wand malt (seinen Vortrag damals fand ich ja sehr gut).
Risiko ist doch aber so ziemlich an jeder Ecke im System.
Aber real zu erwartendes und zeitlich absehbares Risiko sehe ich bei T2 nicht.

Es stellt sich die politische Frage, ob die anderen
Nationalbanken (Staaten) ihre Haftung für die 74% der dt. Forderung
übernehmen werden?

Ist doch vertraglich klar geregelt - sie müssen.

Was passiert wenn die BRD aus dem Eurosystem aussteigt? Die Forderung der
dt. Bundesbank gegenüber der EZB würde weiterhin bestehen.

Die müssen beglichen werden. Da finden sich Wege, wenn es soweit ist.
Aber BRD steigt niemals allein aus der EU aus.
Allein wenn wir diese Drohung denken werden die EU-Partner schon unruhig.
"Das ist Deutschlands "Exit-Karte" - Merkel-Tasche = Dolch des Herrschenden".
Dem @pigbonds traue ich den Sachverstand zu, den solche Texte ausstrahlen.

Aufgrund der
zu erwartenden Abwertung des Euro gegenüber der DM hätten wir einen
sofortigen Abschreibungsbedarf auf die in Euro fällige Target2- Forderung
gegenüber der EZB, vermutlich in einer Größenordnung von 400 MIlliarden,
die sofort die Bundesbankbilanz belasten würde und somit auch den
Bundeshaushalt, der das Loch nur durch Neuverschuldung stopfen kann.

In gleicher Grössenordnung kämen aber wiederum positive Aspekte (z.B. riesiger Kapitalzufluss) dazu.
Aber solche Diskussionen sind doch müssig.
Die EU kann nicht ohne BRD und die EZB nicht ohne BuBa, also sind die Forderungen nicht schröcklicher als andere.
Es wird sowieso die totale Union werden.

Ob die restlichen Euro-Länder willens sind die dt. Target-Forderung
jemals zu begleichen ist ungewiß.

Der Wille ist nicht ausschlaggebend, nur das Können zählt und BRD und BuBa haben bewiesen, dass sie können.
Die ganzen Postings wie "EU ist Versaille-II und D ist Besatzerwillkürgepeinigt" verstehe ich nicht richtig ausser ein bisschen für die ehemalige Ost-Zone.
Wenn man schon bilanzieren will, muss man doch alle relevanten Positionen mit in die Bilanz herein nehmen und da stehen für Deutschland neben den vielen beklagten Sachverhalte haufenweise richtig heftige Vorteile gegenüber den anderen Staaten.

Es ist eine politische Frage,
schließlich haften die Bürger der Euro-Länder.

Im Letzten haften natürlich ausschliesslich die Bürger (die sich nicht ausreichend dagegen wehren können - mit Geld bist du regelmässig wehrhafter als ohne) in Zentralmachtsystemen und die Nachschuldner in Raum und Zeit.
Ich behaupte ja wirklich nicht, das alles hier eitel Sonnenschein ist, aber wer steht den weltweit wirklich besser da als BRD und ihre Bürger in Summa (die aber auch dafür in summa sehr hart schuften müssen, einer mehr, der andere weniger)? - so hatte es der @dottore einmal sinngemäss formuliert.

Die Deutschen machten (ob die Bevölkerung nun wollte oder nicht) nach einem verlorenen Weltkrieg eine starke Bundesrepublik, ein jetzt starkes geeinigtes Deutschland, eine zusammenwachsende EU, die Bewältigung einer riesigen Flüchtlingskrise ohne Bürgerkriege, sie sind Exportmeister und ernst zu nehmende Verhandlungspartner und die Deutschen werden noch ganz andere Sachen machen, weil sie es einfach können werden und immer wieder leben und ihre Kompetenz im Vergleich zu anderen auch erhalten - die Welt schaut mit Bewunderung auf Deutschland und ihre BuBa auch wenn hier immer wieder unsachlich unterstellt wird, dass dort lauter nicht kluge Menschen agieren, die doch nur dieses oder jenes mal richtig machen müssten, dass alles viel, viel besser werden würde.

Da die BRD nicht unbedingt in der Beliebtheit ganz oben steht, dürfte der
politische Willen hierzu schwach ausgeprägt sein, zumal es keinerlei Zwang
gibt. (Forderung ohne Termin und ohne Zins)

S.o. - BRD wird weltweit geschätzt, aber viele Gruppierungen weltweit versuchen halt auch anzugreifen und abzugreifen. Das können Deutsche aber auch.

Die dt. Politik ist aufgrund möglicher Gefahren insofern absolut
gefangen, tatsächlich in der jetzigen Form alternativlos.


Mensch, Dieter, die deutsche Politik und die deutschen Institutionen sind doch nicht inkompetenter als die der anderen Länder. Sie sind schlecht für die Menschen, aber nicht schlechter als andere.

Meine Grundgedanken kreisen daher um Perspektiven, die Alternativen
ermöglichen, Handlungsspielräume.

Das System Debitismus mit all seinen global und lokal agierenden Zentralmachtsystemen funktioniert noch und BRD ist darin ein starker Player.
Wenn es nicht mehr funktioniert, dann ist eh alles egal und jeder Gedanke über uneintreibbare Forderungen müssig.

Und erst jetzt kommt ins Spiel, wie kann man die Target2-Forderungen (1/2
der Aktiva der Dt. Bundesbank) in etwas wandeln, was weniger Risiko
beinhaltet, bzw. größeren politischen Spielraum ermöglicht.
Dabei ist es unerheblich ob man die Target2-Salden in Gold, Wertpapiere
oder Fremdwährung oder Sachen wandelt, Hauptsache sie werden risikoloser
gewandelt.


Den Gedanken verstehe ich, da auch schon jahrelang durchgegrübelt.
Er macht aber bei einer systemischen Betrachtung der global fusionierenden Zentralmachtsysteme (Staatenbünde) keinen Sinn.
Wenn das System nicht mehr funktioniert brauchen wir alles nicht mehr, was uns heute noch wertvoll erscheint, weder beliebige Forderung beliebiger Qualität noch Gold usw.
Dann ist es auch egal, ob die BuBa im EZB-System Forderungen hält oder Goldforderungen gegen sonst wen oder Gold im Bunker.
Wir bekommen sowieso eine Europäische Union mit massiv abgebauten Bürgerrechten, übelster Kontrolle und Gängelung durch Bürokratur und Mentalfaschismus (wie im Nazireich), dass auch so ein Forum wie dieses auf die eine oder andere Art enden wird.
Bei der DDR und bei Gaddafi war das Goldeigentum auch schliesslich egal und das wird es bei jedem Prepper sein, der nicht wenigstens auch mit einer AK-47 oder P-90 umgehen und die dazugehörige Gefolgschaft rekrutieren (vorfinanzieren) kann oder sich gemeinsam mit anderen Könnern in die Taiga oder ähnliche Bereiche schlägt.
Das sind doch alles Survival-Hirngespinste.

Du siehst, mein Ansatz ist ein vollkommen anderer als Deiner. Es stellt
sich folglich die Frage, ob nach dem Bundesbankgesetz und den
Vereinbarungen mit der EZB die Deutsche Bundesbank berechtigt ist, eine
derartige Verwertung der Target2-Forderung vorzunehmen.

Das ist sie in keiner Weise.
Das schrieb aber @Ashitaka auch irgendwo, dass es dafür sehr umfangreicher Gesetzesänderungen bedürfen würde mit weit reichenden und ungünstigen Folgen.
Die Gesetze in den Nationalstaaten, Bundesländern und Staatenbünden werden doch aber inzwischen sowieso vollumfänglich von international aufgestellten grossen Anwaltskanzleien und Berater- und Lobbynetzwerken wie die "Big Four" und all die anderen mit allen beteiligten Seiten abgestimmt und durchgedrückt, ohne das demokratische Strukturen noch irgendetwas dagegen tun können und wollen.

Es geht darum, die Haftungsrisiken, die der dt. Steuerzahler in riesigem
Umfang hat, auf andere zu übertragen.

Die derzeitigen Risiken der dt. Steuerzahler halte ich im Vergleich zu allen Alternativen für angemessen und überschaubar, auch wenn ich sie vor 10 Jahren schlicht nicht geglaubt hätte.
Auf wen willst du sie übertragen?
Die Träger müssen
1. sich nicht dagegen wehren können und
2. die Haftung dann auch leisten können
Die gibt es nicht.

Liebe Grüße
Silke


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