Relationalität – Quantengravitation – Debitimus

Ostfriese, Sonntag, 05.05.2019, 08:57 (vor 1818 Tagen)4551 Views

Hallo ins Forum,

ich will die Gedanken des Satzes, den ich vor dreieinhalb Jahren im Zusammenhang mit @Ashitakas Idee der ZMO spontan formuliert hatte, wieder aufgreifen und über die Konsequenzen der Quantengravitation, wenn es sie denn gibt, etwas schreiben. Er lautete: "Das Zentrum ist entterritorialisiert und entzeitlicht, verbindet 'alles mit allem' – es ist eine Art Gravitationszentrum, um das sich alles dreht."

Die moderne Physik zeigt uns die Möglichkeit, etwas über die Wirklichkeit allgemein auszusagen. Die Quantenmechanik lässt uns drei Aspekte des Wesens der Dinge erkennen. Ich möchte @Todd zustimmen, wenn Rovelli (ital. 2014) et al. hoffen gegenüber der Stringtheorie, "… in der Quantengravitation wichtigere Fortschritte erzielen zu können."

Körnigkeit

Demokrit von Abdera (460 – 371 v. Chr.) hatte intuitiv erkannt, dass es im Kosmos nichts anderes gibt als zahllose Atome – als die denkbar kleinsten Einheiten. Die Atome sind unteilbar und die elementaren Körnchen der Realität, die sich nicht weiter zerteilen lassen und aus denen alles hervorgeht und besteht. Diese Gedanken tauchen in der QM wieder auf. Bevor die QM kam, wurde gesagt, dass sich bei einer physikalischen Messung zwischen zwei Werten unendlich viele Zustände befinden könnten. Die QM zeigt aber, dass dort nur eine endliche Anzahl von Werten liegen kann – damit ist der Information, die in einem System stecken kann, eine Grenze gesetzt. Die Planck-Konstante h legt diese Quantenhaftigkeit fest.

Indeterminismus

Die Welt ist eine Abfolge körniger, diskreter und individueller Quantenereignisse, die Wechselwirkungen zwischen physikalischen Systemen sind. Elektronen oder Photonen folgen keiner Bahn im Raum, sondern erscheinen zu einer Zeit an einem bestimmten Ort, wenn sie mit etwas anderem kollidieren. Es gibt keine Möglichkeit vorherzusagen, wann und wo sie erscheinen. Die QM erzeugt einen grundsätzlichen Indeterminismus der Welt – die Zukunft ist prinzipiell unvorhersehbar. Das hatte Lukrez (≈ 94 – 53 v. Chr.) mit seinen Worten "incerto tempore … incertisque locis" – zu ungewisser Zeit an ungewissem Ort – schon erkannt.

Realität ist Relationalität

Ich denke, dass die Inhalte (Sinus, Ästhetik, Wert, Geld, …) meiner Ausführungen als Teil allgemeinerer Betrachtungen (S. 154) zu interpretieren sind:

"Die QM lehrt uns, die Welt nicht in Begriffen von 'Dingen' zu denken, die in diesem oder jenem Zustand verharren, sondern als 'Prozesse'. Ein Prozess ist der Übergang von einer Wechselwirkung zur nächsten. Die Eigenschaften der 'Dinge' manifestieren sich gleichsam als Körnchen nur im Augenblick der Wechselwirkung, also an den Rändern des Prozesses. Eigenschaften sind sie nur in Bezug auf andere Dinge und können nicht eindeutig, sondern nur als Wahrscheinlichkeiten vorhergesagt werden."

Da die Suche nach einer möglichst genauen Beschreibung der Natur durch möglichst einfache und möglichst wenige Prinzipien die Entwicklung vorantreibt, haben sich in den 1990er-Jahren Ashtekar, Lewandowski, Rovelli und Smolin bemüht, die Allgemeine Relativitätstheorie (= Gravitation ist Geometrie) und die Quantentheorie (= Natur ist zufällig) zusammenzuführen.

Der zentrale Begriff der ART ist die Metrik. Sie ist eine Methode, um Abstände zu messen und die Krümmung der Raumzeit zu bestimmen. Die Metrik ergibt sich aus dem Materie- und Energieinhalt der Raumzeit. Aus ihr ergeben sich Vorher und Nachher (Vergangenheit und Zukunft), also die kausalen Beziehungen in der Theorie.

Die Quantentheorie dagegen untersucht die Wechselwirkung von Objekten, die wiederum von deren Abstand, also von der Raumzeitmetrik abhängig ist. Letztere wird als klassisch, d. h. nichtquantisiert, und nichtdynamisch angenommen.

Anders formuliert: während die gekrümmte Raumzeit der ART eine regelmäßige, beliebig kleine teilbare Struktur ist, in der Masse und Energie interagieren, beschreibt die QM die physikalische Phänomene mit unteilbaren Elementarteilchen und diskreten Quantenzuständen, zwischen denen abrupte Übergänge (sogenannte Quantensprünge) stattfinden.

Rovelli meint diesen Widerspruch (1996: "Quantum mechanics is a theory about the physical description of physical systems relative to other systems, and this is a complete description of the world.") mit einer speziellen Interpretation (Schleifenquantengravitation) der Quantengravitation überwinden zu können.

Gemäß Rovelli verschwindet mit der Theorie der Quantengravitation der Raum als ein amorpher Behälter für die Dinge aus der Physik – in gewisser Weise ist der Raum inexistent geworden. Die Dinge (Quanten) liegen nicht im Raum, sondern im Umfeld der anderen Dinge. So wie die Vorstellung vom Raum als Kontinuum entfällt, der Dinge beinhaltet, so verschwindet auch die eine kontinuierlich vergehende Zeit, in deren Verlauf die Phänomene stattfinden. Die Gravitationsquanten entwickeln sich nicht in der Zeit, vielmehr entsteht die Zeit als Folge ihrer Wechselwirkung – die Zeit (mit der Variablen t) verschwindet jetzt schon aus den Gleichungen der modernen Physik. Wie der Raum muss auch die Zeit aus dem gequantelten Gravitationsfeld entstehen. Schon Newton erkannte in seinem Hauptwerk, dass wir die 'wahre' Zeit nicht messen können, aber mit der Annahme, dass es sie gibt, leistungsfähige Naturwissenschaft betreiben können. Die Existenz der Variablen 'Zeit' ist eine Annahme, kein Ergebnis einer Beobachtung. Die 'Zeit' ist ein mentales Konstrukt – eine Simulation. Sie unterliegt der Granularität, dem Indeterminismus und der Relationalität, welche die gesamte Wirklichkeit kennzeichnet.

Einstein zeigte, dass die Zeit als etwas Lokales gedacht werden muss: jedes vom Gravitationsfeld umgebenes Objekt des Universums hat seinen eigenen Zeitverlauf. Wenn wir mit Rovelli die Quantennatur des Gravitationsfeldes annehmen, lassen sich Ereignisse nicht mehr zeitlich anordnen.

Es gibt nicht mehr den Raum, der die Welt 'enthält', und nicht mehr die Zeit, 'an der entlang' die Ereignisse stattfinden.

Wenn die Quantengravitation verifiziert werden sollte ("Diese Explosionen Schwarzer Löcher zu beobachten, wäre eine spektakuläre Bestätigung der Theorie"), gilt verstärkt das Fazit aus der 'Stanford Encyclopedia of Philosophy' über die Relationalität:

"This way of thinking the world has certainly heavy philosophical implications. The claim of the relational interpretations is that it is nature itself that is forcing us to this way of thinking. If we want to understand nature, our task is not to frame nature into our philosophical prejudices, but rather to learn how to adjust our philosophical prejudices to what we learn from nature."

Die Illusion, dass wir in einem Raum-Zeit-Kontinuum leben, ist dem unscharfen Blick auf die elementaren Prozesse der Raum- und Zeitquanten geschuldet – es gibt nicht mehr die Zeit, 'an der entlang' die Ereignisse stattfinden.

Wenn der Kerzenchart EUR/CHF das eine Ereignis und die Entscheidung der Schweizer Nationalbank das andere Ereignis und unabhängig voneinander sind, weil die Zeit nicht mehr existiert, 'an der entlang' die Ereignisse stattfinden, antworte ich im Sinne der obigen Darlegungen auf @Ashitakas Frage: "… hat die Schweizer Nationalbank durch ihre Entscheidungen in den Jahren 2011 und 2015 unsere heutige Gegenwart wirklich beeinflusst?" nur mit 'nein'.

Kann der Debitismus mit dem Anspruch zeitloser Gültigkeit als eine "reine Beschreibung dessen, was passiert, wenn Schulden im System sind", auch zeitlos formuliert werden – zum Beispiel im Hinblick auf Termin und so?

Gruß â€“ Ostfriese


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung