Vielen Dank für die vielen Gedanken und Quellen, aber...

Silke, Freitag, 03.05.2019, 17:10 (vor 1819 Tagen) @ Weiner3164 Views
bearbeitet von Silke, Freitag, 03.05.2019, 18:06

...Dissens bleibt.

Lieber Weiner,

das ist ja mal ein ergiebiger Diskussionsbeitrag...[[top]]
Da muss ich, und jeder, den es interessiert, die einzelnen Quellen durcharbeiten.

Grundsätzlich versuchst du ja wohl, zwei Thesen zu stützen:
1.Handel gab es schon immer zwischen Privaten. Er wurde wie jedes andere "schon immer" vom ZMS nur vereinnahmt.
2.Silber ist wertvoll (gefragt) geworden weil es wertvoll (gefragt) geworden ist
Dafür lieferst du ja eine schöne Argumentation mit der man gut arbeiten kann.

Der Fachmann für solche Fragen ist Eric L. Cripps (Liverpool). Für die
Periode Uruk III (ab 2100 v.Chr.) findest Du im nachfolgenden Artikel
hoffentlich Aufschluß - ebr bietet auch die Datenbasis (Keilschriftfunde),
aufgrund derer die Rekonstruktion mühevoll zusammengetragen wurde.

Zu Cripps muss ich mich erst kundig machen

Bitte
beachten, dass die Autoren selbst zugeben, wie wacklig ihr Kartenhaus ist.
Umso gefährlicher scheint es mir zu sein, modernes Denken diesen alten
Zeiten überstülpen zu wollen.

Da hast du sehr recht.

Die Relation Silber zu Gerste wurde von
einer zentralen Instanz festgelegt,

Genauer: vom Herrscher, wie Cribb richtig schreibt (z.B. Urukagina im von dir verlinkten PDF oder eben Hammurapi u.a.).

schwankte aber im Lauf Zeit, was auf
parallele Märkte bzw. begrenzte Macht sowie auf variierende
Umwelteinflüsse hindeutet.

Variierende Machtsysteme, wie bei den unterschiedlichen Masseinheiten und Schriftbildern und -arten sowie Götzenbildern auch.
Die der Mächtigeren setzen sich schliesslich durch.
Märkte sind Kinder der Machtsysteme.

Vielleicht auch auf Verantwortungsbewußtsein.

Das wohl eher nicht sondern Wille und Befähigung zum Machterhalt.
Verantwortungsbewusstsein für was? - es ging immer nur ums Überleben, da hatte niemand Zeit und Ressourcen für Verantwortungsbewusstsein (entweder die oder ich).
Debitismus hat nichts mit Moral, mit gut oder böse zu tun sondern nur mit funktionieren oder nicht funktionieren wie eben die ganze Evolution auch.
Was funktioniert hat, von alldem was probiert wurde, wird uns Stück für Stück bekannt.
Was aber alles sonst noch so ausprobiert wurde und nicht funktioniert hatte ging unter.
Der Umgang mit der Macht ist schwierig und riskant - ein Balanceakt zwischen Raub, Zession, Verbrauch und Zugewinn.
Wenn die Mehrzahl deiner Untertanen unlösbar überschuldet ist must du als Herrscher ein clean slate (Steuerschulden wurden erlassen) dazwischen schieben, sonst wirst du einfach gemeuchelt.
Das kann man dann in den Geschichtsbüchern als Verantwortungsbewusstsein und Wohlwollen verkaufen oder als knallharte Notwendigkeit im Debitismus verstehen (neuen debitistischen Durchlauf starten ohne dabei die Macht zu verlieren.
"Um die Gemeinschaften nicht zu zerreißen, führten die Herrscher Erlassjahre ein („clean slates“, in Rom „novae tabulae“, vgl. noch Catilina) ..."[[top]]
Quelle

Eric L. Cripss - The Structure of Prices in the Neo-Sumerian Economy (I):
Barley:Silver Price Ratios

https://cdli.ucla.edu/files/publications/cdlj2017_002.pdf

https://www.academia.edu/8407010/Money_and_Prices_in_the_Ur_III_Economy_of_Umma_-_WZKM_...

Cripss schaue ich mir gerne noch genauer an.

Cripps sollte nicht verwechselt werden mit Joe Cribb (British Museum), der
eine allgemeinverständliche Kurzdarstellung des frühen Geldes im
Zweistromland geschrieben hat:

https://www.academia.edu/1639711/The_Origins_of_Money_evidence_from_the_ancient_Near_Ea...

Cribb ist Numismatiker von der "Geld ist ein Ding-Fraktion" und beschreibt im Wesentlichen Geldträger aber nicht das Wesen von Geld.
Bei allem Respekt, aber er kann nicht Geld von dessen Träger unterscheiden wie seine bemühten Vorbilder Aristoteles ("Das Geld ist für den Tausch entstanden..."), und Herodot auch nicht.
Wenn man sich an die hier im Forum erarbeitete Definition hält:
"Geld ist ein Passivum und niemals Aktivum"
kommt man IMHO besser zurecht als mit solchen Beschreibungsversuchen von Geldträgern.

"Archaeologists cannot identify the objects they find as money, because money is not a particular distinctive object, but any object to which a particular ideahas been applied."
Idee ist gut...[[zwinker]]

"The most ancient objects which can now be identified as money are from archaeological excavations in the area of Iraq known as Mesopotamia which
straddles the rivers Tigris and Euphrates. From the ruins of the ancient cities of Mesopotamia archaeologists have recovered both written documents describing monetary payments and examples of the objects with which those payments were made. These objects are pieces of silver in the form of rings, ingots and scraps. The documents used to identify them as money are contracts, business accounts and legal codes written cuneiform characters on baked clay tablets or stone monuments."

Sag ich doch, ein "Geld ist ein Ding-Verfechter".
Silberstücke sind nicht das Geld sondern der Geldträger, ob nun gewogen oder geprägt.
Geld ist die Geltung (Bemächtigung), die befähigt (verliehen von der Macht), soundsoviel Abgabeschuldeneinheiten per Übereignung von Geldeinheiten tilgen zu können, so wie heute auch noch.
Geld ist die Macht, Abgabeschulden tilgen zu können – zediert vom Zwingherrn in einem wie auch immer gearteten Machtzessions- und Beurkundungssystem (Shekelstandard, Metall-Mengen und -münzen, Knoten auf den Quipu, Kerbhölzer, Kaiserlich-chinesische Papierscheine und was auch immer).
Geld hat alle möglichen Funktionen wie Zählbarkeit, Wertmess- und –recheneinheit, sogenannte Wertaufbewahrung (die aber nur am Überleben des ganzen Systems hängt) und manche sagen ihm sogar eine „soziale Funktion" nach, es hat aber nur ein Wesen, eine Eigenschaft – Bemächtigung zur Tilgung von Abgabeschulden die von dem zediert wurde, der dem Entmächtigten auch die Abgabeschuld ex Waffengewalt aufgezwungen hat.

Eine aktuelle Zusammenfassung (2018) des gesamten Wissens und der
Diskussion findest Du bei dem Dir vermutlich anderweitig schon bekannten
Michael Hudson:

https://michael-hudson.com/2018/04/palatial-credit-origins-of-money-and-interest/

Hudson geht sehr ins Detail und beschreibt das komplette System, inklusive
Entwicklung der Buchhaltung, Preiskontrolle und des Zinses.

Ja, M. Hudson wurde vom @dottore auch immer wieder bemüht.[[top]]

ZITAT: Early “money” was simply the official price schedule for paying
debts to the large institutions. ZITAT ENDE

Die Beschreibung einer Funktion, nicht des Wesens.
Preislisten haben mit Paritäten zu Abgabeschulden zu tun.

Anführungszeichen sind so im Original - vielleicht ist er sich seiner
Sache nicht so ganz sicher - wie ich bereits einmal hier sagte: es kommt
auf die genaue Definition an ...

Hudson diskutiert auch die theoretischen Blicke auf diese Zeit aus
heutiger Sicht, hauptsächlich fokussiert auf die Barter-Theorie des
Geldes, gegenüber gestellt der offensichtlich auf von ihm favorisierten
(Staats-) Schuldtheorie des Geldes.

Ja, richtig so!
Nicht Barter ist das Thema des Debitismus sondern Schulden.

Sein Artikel ist zitierfähig, quasi
peer-reviewed und dürfte Deiner Auffassung sehr nahe kommen. Also magst Du
in künftigen Diskussionen auf ihn verweisen.

Mache ich gerne, obwohl ich bezweifle, dass ich jemanden von irgendetwas überzeugen kann.

Fiatgeld wurde in diesen
frühen Zeiten (erstes und zweites Jahrtausend) vom Tempel bzw. Palast
nicht geschöpft. Mutwillige Inflationierungen auch nicht veranstaltet. Das
alles kam erst später ...

Wenn auf der einen Seite Abgaben erzwungen werden (Entmächtigung) und auf der anderen Seite den Menschen durch Akzeptieren des Beibringens von Waren und Diensten ermöglicht wird, sich von diesen Schulden zu befreien (Bemächtigung) haben wir das Wesen von Geld berührt.

Sehr interessant ist, was Hudson über die Entstehung des Zinses schreibt.
Er diskutiert gegen die Produktivitätstheorie (Motto: ich gebe Dir, und Du
gibst mir von Deinem Zugewinn zurück) und hält dagegen fest, dass der
Zins wohl eher als Strafe für verspätete Zahlung bzw. Anlieferung der
Gerste entstanden ist.

Der census ist die Abgabe selbst.
Wird der nicht zum Termin geleistet kommt der Strafzins.
Der diskont entsteht bei der zuerst zinslosen Leihe wenn der Verleiher vorzeitig an das Verliehene heran muss und den Titel gegen Abschlag weiter reicht.
Usura entsteht aus dem Ausnutzen der Not des "haben müssens" der Abgabeschuldnern zum Termin was man "nicht hat" während der Wucherer es hat damit den Zins bis zur Höhe knapp unter der angedrohten Sanktion treiben kann
Foenus gab es damals noch nicht (Investitionszins)

Noch interessanter sind seine Bemerkungen über die
Schuld. Hier stellt er fest, dass die alten Mesopotamier anfangs sehr
verantwortungsbewusst mit Schulden umgegangen waren (die Tradition des
Schuldenerlasses und von daher auch des Jubeljahres stammt von dort,
letztlich via Judentum und Christentum auch das Zinsverbot).

Schuldenerlass nur zum Machterhalt.
Zinsverbot nur gegen die Meinen im Stamm.

Bei den barbarischen westlichen Nachahmern des Geldsystems, besonders bei
den Griechen und Römern, wollte man einen derartigen Schuldenerlass nicht
praktizieren, wodurch ständige Schuldenkrisen entstanden, die man
vorzugsweise durch militärische Expansion zu lösen suchte.

Auch eine Möglichkeit wenn man es kann.
Das ist immer eine Frage der Machtverhältnisse ob man sich z.B. eine Demokratie oder Diktatur leisten kann, ob man Machtzession betreiben kann und damit Prosperität oder ob man nur noch ein sozialistisch-kommunistisches "Auf der Stelle stehen" mit Substanzverbrauch hin bekommt.

Am schlimmsten
wurde das, wenn die Schuldner einflussreiche Private waren (Kapitalisten
eben ...) und für die Schuldeneintreibung und für die Generierung von
Macht den Staatsapparat nutzten: Cäsar schleppte aus Gallien so viel Gold
heran, dass dessen Wert in Rom zusammenbrach ...

Das ist eben der Punkt, der auch heute und hier noch nicht so gut verstanden wird.
Macht ist eine Summe von Potential (Passivum) in einem System (oder zwischen Systemen) mit ZENTRISTISCH VOM SYSTEM AUSGERICHTETEN Systemelementen (Machtsummen im System = Optionen, Möglichkeiten,Potential), verteilt über das ganze Zentralmachtsystem mit all seinen Elementen - aber eben weder gleichmässig noch netzartig sondern eben zentristisch/zentrisch.
Ein Privater, der mehr Macht auf sich ziehen kann, als eine staatliche Einrichtung kann diese auch mal erfolgreich in die Knie zwingen wie Al Capone oder Chodorkowski und die ganzen anderen Oligarchenbanditen in der Geschichte.
Dann bleibt dem Staat nur noch eine Anklage wegen Steuervergehen oder schlicht ein akzeptierendes Knirschen mit den Zähnen wie bei einem heutigen "too big to fail".

Silber selbst war für die hier zur Diskussion stehende Region
Mesopotamien ein Importartikel. Selbstverständlich war der Handel, d.h.
der Einkauf des Silbers stark zentralisiert,

Das ist der Punkt.

jedoch zeigt eben dies, dass
außerhalb der Zentralmacht-Staatsgrenzen, oft hunderte Kilometer entfernt
(wohin nie Kriegszüge oder Söldner hätten geführt werden können) die
Handelstheorie des Geldes offenbar parallel und lange vorher auch ganz gut
funktionierte ...

Das ist die Argumentation auf tönernen Füßen.
Noch einmal zum überlegen:
1. Wie sollen einzelne Kaufleute Handel in nennenswertem Umfang vorfinanzieren (Waren einkaufen, nach Hintertupfingen schaffen ohne beraubt zu werden, die Sachen dort verkaufen - an wen, gegen was?, mit dem Profit heil nach Hause kommen, und wovon haben sie in dieser ganzen langen Zeit gelebt, da sie nicht gejagt, gesammelt, gesät und geerntet haben.)?
2. Woher wussten sie, wer wo was braucht und freiwillig was "wertvolles" dafür hergeben kann wenn noch kein Geld kursierte, dass Söldner rangeschleppt hatten weil bereits Tribute erhoben wurden?
3. Und die wichtigste Frage: Wer sollen diese Händler überhaupt gewesen sein? Es gab keine Freien, die ein Handelssystem aufbauen konnten. Alle waren im ZMS eingebunden vom Bauer bis zum Buchhalter, vom Handwerker bis zum Händler.

Btw, die spätere Hanse war ein spezielles Zentralmachtsystem wie der Vatikan und die Mafia auch. Du musst mit Waffengewalt zwingen und verteidigen können, um so etwas am laufen halten zu können.
Ein Könner deines Faches musst du natürlich zusätzlich auch noch sein.
Ein dumpfer Schläger bringt es nicht weit.

Die Herstellung von Silber hat weniger mit dem von Dir erwähnten Kupfer
tun sondern mit dem Blei, gemäß dem Verfahren der Kupellation - so
wenigstens im Nahen Osten. Einige zum Teil wesentlich ältere Funde in
Europa (Balkan) zeigen, dass es andere (im Augenblick noch unbekannte )
Verfahren gab - und das Licht (des Erfindergeistes) nicht immer automatisch
aus dem Orient kam ...

Ja, auch.
Da wurde viel versucht. Einiges ist uns bekannt, einiges nicht.
Silber gab es natürlich auch gediegen. Die Frage ist halt, wo und wie man das Zeug tonnenweise her bekommt um Tribut leisten zu können.

Über die frühe Metallurgie des Silbers orientiert Barbara Helwing:

https://www.academia.edu/21883474/Die_Anf%C3%A4nge_der_Silbermetallurgie_in_Eurasien

https://www.academia.edu/10586602/_2014_Silver_in_the_early_state_societies_of_Greater_...

Feine Quellen.

Im letzteren Artikel findet sich die sehr treffende Formulierung, dass die
"früh-dynastischen Stadtstaaten den Gebrauch des Silbers zentral
organisierten und es zu einem Zahlungsmittel umfunktionierten"
(Fettmarkierung von mir).

Da sind wir wieder bei den ganzen Begriffen, die kreuz und quer verwendet werden.
Ein Zahlungsmittel (Aktivum) ist kein Geld (Passivum).
Und Geld wird nicht umfunktioniert sondern dekretiert - "ab jetzt ist es Geld, es gilt (zur Tilgung von Abgabeschulden)".

Am ehesten in dieser Artikel findest Du eine Antwort auf Deine
Frage
"warum gerade Silber?". Es ist einfach so, dass dieses Metall zum
Ende des vierten Jahrtausends neu und immer häufiger in den allgemeinen
Handel kam und einen sehr hohen Prestigewert hatte.

Es wurde wertvoll, weil es wertvoll war und häufiger wurde?
Das ist wieder ein Zirkelschluss.
Wertvoll wurde es, weil es zu Geld dekretiert wurde.
Alles was als Abgabe dekretiert wurde (auch schon Naturalien und Dienste) erhielt dadurch seinen Wert, seine Bewertung, seine Parität zu anderen Werten.
Das parallel laufende Wertsystem war nur das der Urschulden. Wenn ich verhungere oder verdurste kann ich keine Abgabenschulden mehr tilgen.
Deshalb haben Lebensmittel immer irgendeinen Wert, weil sie eben Mittel zum Leben sind.

Es wurde bei
öffentlichen Bauten, bei Geschenkgaben, bei den Bräuten als Mitgift,
privat als wertvoller Schmuck (leicht zu verarbeiten) genutzt

Der Wert kommt nicht aus dem Gebrauch sondern aus dem "haben müssen".
Selbst beim Kessel von Gundestrup war es ein "haben müssen", das den Wert festlegte (allerdings dort eben vor den Göttern). Und weil das wahrscheinlich nicht wie erhofft gelaufen ist mit dem "Bund mit den Göttern" landete er halt im Moor als ultimatives Opfer.

und hatte
einen ansprechenden Glanz.

Der Wiedererkennungswert von Silber ist in der Tat ein wichtiges Argument wegen dem typischen (schönen) Glanz den dann allerdings auch bald eine Patina verdeckt, wenn der Butler nicht regelmässig das Silbergeschirr poliert.
Ob das entscheidend zur Einführung als Geldträger führte ist schwer zu glauben?
Das Thema Knappheit von EM ist ja auch breit im Forum bearbeitet worden.
Knapp ist alles nur zum Termin.

Es wurde ihm einfach Wert, Prestige und ein
hoher Rang zugesprochen - und das entwickelte sich zu einer kulturellen
Tradition in der Region (Geschenk und Tausch sind übrigens benachbart
...).

Das ist halt so eine sehr gewagte "war halt einfach so"- These, die ich aber auch nicht entkräften oder bestätigen kann, weil ich es ja selbst nicht besser weiss.
Silber hatte alle Eigenschaften, die man damals für einen guten Geldträger brauchte.

Als dann im Laufe des dritten Jahrtausends das Zentralmachtsystem
durchgesetzt wurde und die Akkader direkten Zugriff auf die Bergbauregion
und Metallurgie bekamen bzw. sich holten (!), lag es für sie nahe oder war
eben ihre Absicht, dieses beliebte Silber nun als Zahlungsmittel zu
dekretieren.

Noch einmal. Silber war nicht beliebt weil es beliebt war.
Da war es schon als Abgabemittel und Sold eingeführt und deshalb "beliebt" - "haben müssen".

Die Wertschätzung und die Metallurige und (meinetwegen) geldähnliche
Verwendung des Silbers ist demnach älter als das Zentralmachtsystem.

Das lässt sich aus den vorgetragenen Argumenten IMHO nicht schlussfolgern.

Und
so ist es auch mit allen anderen Kulturtechniken im Umkreis des Geldsystems
- etwa auch mit dem Token, den Verträgen (Rollsiegel), dem Messen und
Wiegen und so weiter und so fort. Das Zentralmachtsystem bündelt diese
Techniken und Kulturtradition nur und hebt sie auf ein neues
organisatorisches Niveau.

Anders herum.
Die ZMS brachten diese ganzen Phänomene hervor, weil sie nötig wurden.
Das ist wie mit der Evolution.
Da entsteht ständig so eine breite Auswahl an Optionen - „Survival of the Fittest“ ist aber stets das Thema zu genau dem entscheidenden Termin.
Braucht ein explosiv expandierendes Zentralmachtsystem dieses oder jenes so wird es just dann auch da sein wie die ganzen "Evolutionary Firsts" schon immer bewiesen haben.
Erdöl wurde erst dann wertvoll als es vom System als Sklavenersatz zum ausweiten von Verschuldungs- Handlungs- und Rechtsräumen gebraucht wurde.

Es gibt durchaus auch Zentralmachtsysteme ohne Geld in Deinem Sinne, man
denke etwa an die prämonetären Maya oder an die Inka.

Abgabenschuldenbelastung (Entmächtigung) + spätere Schuldentilgungsmöglichkeit (Bemächtigung) zum Termin, also Zeit verschaffen = Geldsystem.
Geldträger = Quipu
Geldeinheiten = bestimmte Knotenarten/Materialarten

Alternative zu Tribut (extern) und Steuer (intern) war nur die Entmächtigung beim Raub der aber keine Bemächtigung als Quelle neuer Macht für den Machthalter zur Seite gestellt wurde.
Einmal beraubt und erschlagen und die Quelle ist versiegt.
Tribut fordern und besteuern hält sie am laufen.

Bei letzteren
haben wir ein 'königlich-militärisch' zentralisiertes Lagersystem in
Verbindung mit einer ausgefeilten Logistik (eigentlich gehört auch ein
Arbeitsdienstsystem und ein Landmanagementsystem noch dazu). Aber wir haben
kein Geld. Und Silber und Gold waren sowieso nur für den König und Adel
reserviert. Hier waren sie so wertgeschätzt, dass man sie überhaupt nicht
in die Hände des gemeinen Volkes gab.

https://web.stanford.edu/group/virus/delta/2000/Storage.htm

Dieses Lagersystem entspricht durchaus der Situation in Mesopotamien,
bevor dort die Krieger und Könige kamen, denn dort wurde das Lager-
und Landmanagementsystem im Nahen Osten von Anfang an vom Tempel
organisiert.

Das sind ja alles richtig beschriebene Phänomene.
Es fehlen nur die richtigen Schlüsse zum Wesentlichen im System Geld=Macht.

Diese Entwicklung des Zentralmachtsystems hat bezogen auf den Vorderen
Orient etwa 2000 Jahre gedauert (ca. 5000 bis 3000 v.Chr.), und die Analyse
dieser Zeitspanne ist (für mich wenigstens) viel interessanter als die
Epoche jener 5000 Jahre, die seither nachfolgten und in der wir immer noch
leben. Denn letztere 5000 Jahre brachten nur Variation, Intensivierung und
Differenzierung - aber nichts wesentlich Neues mehr. Wenn man aber den
jetzigen Zustand ändern will, sollte man die davor liegenden Ursprünge
sich ein wenig ansehen.

Ok. Jedem das seine.[[zwinker]]

Ganz nebenbei: will man heute was in Richtung mehr 'Gemeinschaft' ändern,
dann kommt das meist sehr schräg daher - kannte jemand hier den Artur
Mahraun?

https://de.wikipedia.org/wiki/Artur_Mahraun

(Ich hab sein jungdeutsches Manifest als pdf, weiß aber nicht, ob es
schon gemeinfrei ist)

Im Grunde ist das Zentralmachtsystem nichts anderes als eine 'technische
Erfindung', allerdings eben im sozialen Bereich und deshalb eingebunden in
die Gesetzmäßigkeiten ebendort (die wiederum durch einen biologischen,
systemtheoretischen und physikalischen Rahmen vorgeprägt sind).

Da gehen die Meinungen hier auseinander.
Ich plädiere auf "historische Notwendigkeit zum Überleben in wirklich schlechten Zeiten die wir nun nicht wieder loswerden können".
Die Informationsdichte in einem ZMS kann von keiner anderen Spezies abgebildet werden.

In meiner Auffassung bildet sich ein Zentralmachtsystem überall und immer
dort, wo eine pro Fläche kritische Anzahl von Menschen (die in einer
Region sesshaft leben) überschritten wird.

Nein.
Das führt zu segmentärer Abspaltung neuer Segmente (Unterstämme).
Zentralmachtsysteme sind Kinder der Ohnmacht.
Gemeinschaften, die sich zwischen "in Hilflosigkeit stürzen und Sterben" oder "Umkreisen eines zentralen Lautes" entscheiden müssen und sich dabei in Gesellschaften verwandeln oder verschwinden.

Debitismus ist nichts anderes als zu überleben, wo es eigentlich nicht geht wie beim Holzbrückenrätsel.
Nichts anderes tun wir:
Wir jonglieren die Gewichte in der Luft, damit wir mit der Brücke nicht zusammenbrechen.
Das Problem ist nur: die von uns zu jonglierenden Gewichte werden im Zeitablauf immer mehr (Schulden wachsen zu, wie auch Entropie im Zeitablauf ansteigt).

Die Etablierung eines
Zentralmachtsystems setzt immer eine Überschussproduktion innerhalb dieser
Region oder bezogen auf diese Region (d.h. dorthin verbrachten Raub!)
voraus.

Nein.
Sie erzwingt sie erst.

Der Sprung auf die höhere Organisationsebene erfolgt, wiewohl
gewalttätig, über Verwandtschafts- und Seilschaftsbeziehungen und ist
stets mit religiöse Konventionen verbunden.

Nicht Ursache und Folge verdrehen.

Gerade im Vorderen Orient lässt sich dies sehr schön zeigen: bevor der
Palast kam, war 2000 Jahre schon der Tempel mitsamt seinen Vorratshäusern
da.

Zentralmachsysteme kommen in verschiedenster Ausprägung daher.
Ihr Wesen bleibt aber stets gleich.
Sie konkurrieren und kooperieren und gehen in Fission und Fusion, bis am Ende des Tages nur noch ein globales ZMS übrig bleibt.

Aber genau wie das Silber wurde auch der Tempel umfunktioniert. In
einer der Städte des Zweistromlandes (hab vergessen welche ...) gab es
lange noch folgendes Ritual jährlich zum Neujahrsfest: dem König wurde
das Szepter abgenommen, er wurde geohrfeigt und musste neu seinen Schwur
auf Tempel und Land leisten. Erst dann wurde ihm der Stab zurückgegeben.

Das sind alles so Phänomene, die zur Ausbildung eines ZMS dazu gehören.
Storytelling, Insignien der Macht, Wunder, Versprechen, Hoffnungen, Rituale usw. usf..
Die Herrscher werden letztlich für echte Götter gehalten.
Den Göttern wird Allwissenheit und ein allsehendes Auge und sogar das lesen können von Gedanken unterstellt.

Für alle, die diese Themen interessieren, habe ich ganz unten ein paar
weitere Literaturhinweise. Es gab hier einmal eine kurze Diskussion über
Alternativen zum bzw. 'sanftere' Formen von Zentralmachtsystem (ich hatte
auf die Indus-Tal-Kulturen hingewiesen).

Ja, das war schon spannend.
Als realistische Alternative (aber nicht als Lösungs- oder Verbesserungsvorschlag, denn den gibt es IMHO nicht in summa sondern immer nur für Einzelne, wie es ihn zur Evolution auch nicht gibt) zur jetzigen Misere sehe ich nur eine globale Soft-Diktatur und/oder ein Versinken in der Baudrillard'schen Simulation (Hoffnung und Vertrauen in eine Zukunft müssen eben unbedingt irgendwie erhalten werden, damit die Systemelemente mehr oder weniger freiwillig mitmachen - wie ist letztlich so egal wie das Bauen einer Pyramide).

Wer sich für diese Thematik
interessiert, möge sich bitte auch mit den frühen Hethitern (ein nach
Anatolien eingefallener germanischer Stamm) beschäftigen, wofür
vielleicht dieser Artikel als Einstieg dienen mag:

Die Hethiter wurden erst als ZMS eine Weltmacht (Überlagerung der autochtonen Bevölkerung).
Das Land Hatti wurde nicht friedlich übernommen und weltberühmt u.a. dann durch den ersten Friedensvertrag der Welt (mit Ägypten).

https://www.wissenschaft.de/allgemein/hethiter-die-vergessene-weltmacht/

Liebe Grüße
Silke

PS. Deine Quellen schaue ich mir alle an.
Unser grundsätzlicher Dissens in der Sache bleibt.
Meine Wertschätzung für deine Beiträge und die Art der Darbietung bleibt aber auch.

Ich kann mir zum Schluß eine Bemerkung zur Kupellation (Silbergewinnung)
nicht versagen, weil @Fox-News neulich das Thema Objektivität und
richtige Erkenntnis der Realität angeschnitten hat. Bei der Kupellation
wird die unterschiedliche Sauerstoffaffinität von Blei und anderen
Metallen ausgenützt, um diese vom Silber abzutrennen (Genaueres siehe
Wikipedia). In der Alten Welt hatte man dabei einen Blasebalg, aber der war
in Südamerika nicht bekannt - und doch konnte man dort ebenfalls Silber
sehr rein extrahieren. Hierzu hat man spezielle Öfen gebaut, in die der
Wind hineinblasen konnte und die an entsprechend windreichen Orten (Region
Porco, Bergspitzen etc.) aufgestellt waren - was einen enorme Logistik beim
Materialtransport erforderte. Dies zeigt, dass sich der Mensch der
objektiven Realität empirisch durchaus annähern kann - und nach Erfindung
der Wissenschaften nun auch in der Theorie, d.h. mit vollem Verständnis
des Hintergrundes.

Es bleibt alles eine Frage der Deutungshoheit.
Wir sehen, was wir sehen können und nicht das, was ist.


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