Jeder sieht eben das, was er sehen will. ;-)

nereus, Samstag, 30.03.2019, 11:12 (vor 1846 Tagen) @ Tempranillo4237 Views

Hallo Tempranillo!

Ich kann der Oliver Janich-Analyse nur bedingt folgen und halte sie letzten Endes für überzogen.

Köter-Rasse und Schäferhunde liegen engen beieinander und symbolisieren einen Konflikt.
Wenn die schwarze Domina am Ende die Männer am Halsband führt, könnte man hier auch eine von den Deutschen bevorzugte Unterwürfigkeit hinein interpretieren.
Das wäre eine völlig andere Deutung, die mir (ehrlich gesagt) besser gefällt.

Die für mich sinnvollste Analyse, die auch der Rammstein-Historie (Bedienung eines möglichst großen Spannungsbogens) am ehesten gerecht würde, habe ich hier gefunden und stelle sie einmal zur Diskussion.

Für mich thematisiert das Video den deutschen Identitätskonflikt, bzw. den Umgang und die Identifikation der Deutschen heute mit ihrer nationalen Geschichte:
"Man kann dich lieben und will dich hassen."

Es ist weder eine objektive Reflexion, noch subjektive Bewertung der deutschen Geschichte. Es porträtiert die Ambivalenz des deutschen Nationalbewusstseins, das einerseits das heutige deutsche Geschichtsbild aufgreift, das sich insbesondere über die negativen Aspekte, des NS und u.a. der DDR definiert, und kommentiert andererseits den innergesellschaftlichen Konflikt um den Umgang mit dieser Geschichte, indem es die Trennung zwischen beiden aufhebt und diesen modernen Identitätskonflikt in die historischen Szenerien projiziert, die er zum Gegenstand hat.

Das beinhaltet z.B. den Triumph der KZ-Häftlinge über den NS, im Sinne der Überwindung nationalistischer Selbstverklärung zugunsten einer selbstkritischen Erinnerungskultur, oder den Kannibalismus der Mönche, die den modernen Zeitgeist repräsentieren, die diese Erinnerungskultur zu einer Art neuer Religion in Form einer übertriebenen nationalen Selbstverleugnung überspitzen und daher sinnbildlich "Germania" als Repräsentantin Deutschlands auffressen ("Wir sind ihr").

Im Kontext dieser Deutung ist der Schulterschluss von Mönchen und SA-Männer interessant, die gemeinsam Germania auf einem Scheiterhaufen verbrennen und damit repräsentieren, wie beide Extreme - nationale Selbstüberhöhung und Selbstverleugnung - im Grunde zum Niedergang dessen führen, was eine deutsche Nationalidentität eigentlich ausmachen könnte.
Was das ist wird offen gelassen.
Jedoch würde ich meinen, dass der Umstand, dass Germania hier durch eine Schwarze personifiziert wird, nicht reine Provokation oder Alibi gegenüber nationalistischen Vorwürfen gegenüber der Band ist, sondern wiederum die Spaltung der ethnisch/völkisch basierten Nationalidentität Deutschlands der Vergangenheit, die im 19. Jhd. die Nationalallegorie "Germania" geprägt hat und stark in nationalen Mythen, insb. der von Hermann dem Cherusker verwurzelt war, und des modernen deutschen Selbstverständnisses als multiethnisches Einwanderungsland, das mit dieser Tradition bricht und sich patriotische Gefühle gänzlich vorenthält ("Deine Liebe ist Fluch und Segen. Meine Liebe kann ich dir nicht geben").
Das alles wird verklammert mit der Abwandlung der kontrovers gehandelten ersten Strophe des Deutschlandliedes: "Deutschland, Deutschland über allen".

Deutschland steht demnach auch über diesem Konflikt um die Deutung seiner Geschichte, bzw. wird diesem dadurch attestiert, ein spezifisch deutsches Phänomen zu sein.
Das erklärt auch die Szene von Germania im Sarg im Weltraum.
Das Raumschiffmotiv und die Astronauten repräsentieren eher die moderne deutsche Gesellschaft, wie sie aus einer übergeordneten Perspektive, retrospektiv die Geschichte nachverfolgt und sich mit ihr auseinandersetzt.
Sie führen am Ende eine Art "Seebestattung" Germanias im Weltraum aus und tragen damit sinnbildlich ihre Identifikation mit dieser Geschichte "zu Grabe".

Es gibt ein unbestimmtes Bedürfnis zur Auseinandersetzung und der Lösung dieses Identitätskonfliktes. "Ich will dich lieben und verdammen", sind damit zwei Seiten der selben Medaille und repräsentieren den Wunsch nach Identifikation, in Konflikt mit einer aufgeklärten Erinnerungskultur.
Aus diesem Spannungsfeld synthetisiert sich das ambivalente Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte, das damit heute zum zentralen Kennzeichen ihrer nationalen Identität gerät.

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=04PA1TRLqeU

Hier wird also nicht der Fokus auf Links oder Rechts gelegt, sondern die Therapie-Bedürftigkeit der deutschen Seele in Bild und Ton gesetzt.
Interessanterweise spielt die schwarze Königin in allen historischen Epochen eine Rolle und der abgetrennte Kopf könnte auch als Symbol für das ewig unklare Selbstverständnis der Deutschen zu sich selbst gesehen werden.

mfG
nereus


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