Von Hinterindien und von Hintertanen (auch für @Centao)

Weiner, Montag, 25.03.2019, 09:10 (vor 1853 Tagen) @ Weiner4097 Views

Guten Morgen!

Da ich mich hier so lange über unsere "Vorgeschichte" ausgelassen habe, fällt mir ein, dass ich vor einiger Zeit eine Antwort an Centao zwar vorbereitet, aber noch nicht abgeschickt hatte. Es ging in irgendeinem zurückliegenden Thread um die Industal-Kultur, die offensichtlich etwas anders strukturiert war als die sonst bekannten Zentralmachtsysteme.

(Ein neuerer populärer Artikel zum Einstieg in das Thema unter dem Aspekt der Schrift findet sich von Andrew Robinson in 'Spektrum der Wissenschaft' 9/2016: Rätselhafter Induscode).

Auch in Indien kocht man natürlich mit Wasser, sprich: ohne ein gewisses Ausmaß an hierarchischer Ordnung geht es auch in Genossenschaften nicht - sonst ist der gute Tag vertan mit Diskussionen, und für die eigentliche Arbeit bleibt keine Zeit ...

Bei den aggressiven Überlagerungen, die zur Bildung eines Staates und ggfs. zur Entstehung eines Hochkulturzyklus führen, müssen gewisse quantitative und qualitative Verhältnisse zwischen der später herrschenden Schicht und den Unterworfenen gegeben sein. Was das erstere betrifft, so schätzt man z.B. für die Franken (Sugambrer mit dem späteren Königsgeschlecht der Merowinger), dass sie etwa eins zu zehn gegenüber den Gallorömern links des Niederrheins zählten. Viertausend Jahre zuvor, bei der Gründung des mesopotamischen und ägyptischen Zyklus dürften die Verhältnisse ähnlich gelegen haben. Die aggressive Einwanderung - solches Geschehen erstreckt sich immer über mehrere Jahrhunderte: die ersten Merowinger waren Söldner in den römischen Legionen - geschah für Nahost, Ägypten, auch Mittelost (Persien/Elam), aus westlich und nördlich angrenzenden Regionen mit indogermanischem Bevölkerungsüberschuss. Die Hauptmasse der Einwanderer wurde im vorderen Orient dann sesshaft und gründete Staaten, aber etliche Gruppen zogen, überwiegend auf dem Seeweg, bis nach Indien. Wir befinden uns zeitlich zwischen 4000 und 3000 v.Chr. *)

In Indien war die Zahl der Ankömmlinge zu gering für die Unterwerfung der einheimischen Bevölkerung, es dürfte etwa das Verhältnis wie zwischen Indianern und Wikingern in Nordamerika gewesen sein. In Indien jedoch waren die klimatischen Voraussetzungen wesentlich besser als in Nordamerika und Grünland, die Ankömmlinge blieben in Indien und übernahmen den Handel mit Mittelost und Ägypten, via Dilmun, heute Golfregion, und es entwickelte sich auf dieser Basis eine Kooperation, die zu einer Verschmelzung mit den Einheimischen führte, aber nicht primär ein Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnis war. Das ist meine aktuelle Auffassung zur Enstehung der Industal-Kultur: sie war handelsdominiert.

Es gibt vergleichbare Fälle in der späteren Geschichte, die sehr interessant sind. Ich denke etwa an die Phönizier, bei denen eigene Staatsstrukturen sich ähnlich entwickelten. Die frühen Phönizier (im Kern entstammten ihre Führungseliten ebenfalls indogermanischen Seevölkern **)) hatten zwar Stützpunkte im Philisterland, sprich Phalästina, aber sie waren primär auf See, ihr Geschäft war Transport und Handel. Erst spät versuchten sie sich als Territorialmacht (Karthago), und das war dann auch schon ihr Ende. Es gibt tatsächlich immer wieder in der Geschichte, vorzüglich im Bereich Zwischenhandel, gewisse staatliche Strukturen, die parallel zu territorialen Zentralmachtstaaten existieren. Man darf insgesamt für den vorgeschichtlichen und protostaatlichen Bereich den (Tausch-) Handel, noch ohne Geldsystem, als organisierendes, strukturierendes soziales Element nicht vernachlässigen. Auch Kulthandlungen (Religionen) können entsprechende Katalysatoren sein, man denke für die Neuzeit etwa an die religiös motivierten Auswanderungen nach Nordamerika, für die früheste Zeit an Göbeliki Tepe. Mit zunehmender Populationsdichte wird natürlich alles eingeschmolzen in Zentralmacht-Staatssysteme der aggressiven Art.

Ein weiteres Beispiel findet sich wiederum in Indien, jetzt aber in der neueren Geschichte, kaum 1000 Jahre zurückliegend, ein Beispiel also für eine erst parallele dann Staaten übergreifende 'internationale' Macht- und Herrschaftsstruktur. Sie hat sich entwickelt aus Händlergilden, man könnte sie der Hanse vergleichen oder den Normannen, den Templern, vielleicht auch einigen der späteren europäischen 'Kompagnien' (Ostindienkompagnien ...) - es ist immer eine ähnliche 'supranationale' Erscheinung. Die 'Abgabe', von der diese Machtstruktur lebt, ist die Handelsspanne. All diese Händlerverbindungen kooperierten und diplomatierten mit den verschiedensten Territorial-Staaten, aber sie waren nicht von ihnen abhängig. Sie hatten eine eigene staatliche Struktur (intern und nach außen), die vom Ursprung her kooperativ und genossenschaftlich war (Orden!). Sobald diese Gruppen sich territorial zu sehr fixierten, gingen sie ein (weil immer schwächer als eine Zentralmacht). Ihre Zeit war ebenfalls zu Ende, als die Zentralstaaten eigene Transport- und Handelsstrukturen aufbauten (Flotte, Handelsfinanzierung etc.).

Heute haben wir die Situation, dass gewisse kapitale Kreise sich juristisch der Macht der Territorialstaaten entziehen und die Territorialstaaten selbst politisch und wirtschaftlich manipulieren können (weil ihre Kapitalbasis und ihre Netzwerke oft größer sind als die eines Territorialstaates). Die Geschäftsbasis dieser neueren übernationalen Machtstrukturen war ursprünglich ebenfalls das den Handel und Transport immer begleitende Geldsystem. Beispiele wären die Templer oder die Medici. Es hat nun den Anschein, dass auch sie von den Zentralmachtstaaten überrollt wurden, nachdem diese das Geldsystem an sich gezogen hatten. Tatsächlich aber konnten einige dieser Strukturen überleben bzw. sich neu gründen. Und sie haben eine Dimension und Art von Herrschaftsstruktur entwickelt, die menschheitsgeschichtlich neuartig ist, aber keimhaft in den international operierenden Händlergilden der Vergangenheit angelegt war. So ist es gekommen, dass gewisse Kapitalkonzentrationen heute machtmässig über den Staaten stehen und letztere als Subsysteme komplett kontrollieren.

Ich bringe nachfolgend eine Inschrift der Ayyavoles aus Südindien, die den Machtstolz der dortigen Händlergenossenschaften und die Anfänge einer zwar regional beschränkten, der Art nach aber 'globalen' Herrschaft sehr klar zeigt. Zeitlich stammt der Text aus dem 11. Jahrhundert, als Venedig noch eine Lokalmacht war, die Medicis noch gar nicht geboren und die Gene der Rothschilds noch gar nicht aufgewickelt.

MfG, Weiner

"Sie sind berühmt in aller Welt, geschmückt mit zahlreichen guten Eigenschaften, Beschützer des Gesetzes der heldenhaften Händler, im Besitz von 32 Niederlassungen, 18 Hafenstädten (pa'ana), 64 Ashrams, alle verteilt über die vier Himmelsrichtungen. Sie wurden geboren, um durch viele Länder zu wandern, haben die Erde als ihren Rucksack, den Betelbeutel als Geheimtasche, den Horizont als ihr Licht, ein scharfes Schwert als Essbesteck. Sie besuchen die Caras, Colas, Pandyas, Maleyas, Maghada, die Kosalas (Bihar), Saurashtra und die Kambodschas (Nordwestindien), Gauda (Begalen), Parasa (Persien) und Nepal auf Wegen, die zu Land und Wasser in die Regionen der sechs Kontinente eindringen, mit erstklassigen Elefanten, gut gezüchteten Pferden, wohlgezimmerten Schiffen, schwer beladen mit Saphiren, Mondsteinen, Perlen, Rubinen, Diamanten, Lapislazuli, Topaz, Karfunkeln, Korallen, Smaragden, Kardamom, Gewürznelken, Sandelholz, Kampfer, Moschus, Safran und anderem Pafüm und Gewürz. Sie verkaufen in Großkontingenten oder lassen die Ware mit Tragegestellen über der Schulter vertreiben. Sie vermeiden Verlust durch Steuerabgaben, füllen der Herrscher Schatzkammern mit Gold und Juwelen und ihre Rüstkammern mit Waffen, von dem Rest beschenken sie täglich Pandits und Munis (Tempelpriester), haben selbst weiße Schirme als Baldachine (Symbol des Königs), den mächtigen Ozean als Festungsgraben, den Götterkönig Indra (blitzeschleudernd) als Leibwächter, Varuna (Gott des Wasser) als Standartenträger, Kubera (Gott des Reichtums) als ihren Schatzmeister, die neun Planeten als Gürtel, Sonne und Mond als ihre Handschuhe, die 33 Götter als ihre Zuschauern - sie, die 500 Herren der glückverheißenden Ayyavole-Kaufmannsgilde. Die besten unter ihnen, von unbeflecktem Ruhm, greifen wie der Elefant und töten, stehen fest wie die Kuh und töten, speien Gift wie die Schlange und töten, springen wie der Löwe und töten. Sie sind weise wie Brihaspati (ein Gott), erfolgreich in Auswege ersinnen wie (Vishnu-) Narayana; über den vorbeigegangenen Tod machen sie Scherze, dem ankommenden Tod treten sie entgegen; den krallenden Tiger verschrecken sie, Lehm stecken sie in Brand, aus Sand machen sie Seile, sie fangen den Blitz und zeigen ihn her, Sonne und Mond ziehen sie auf die Erde herab; sie diskutieren über das dritte Auge und über die vier Arme Ishvaras (Shiva), über das laute Gelächter Brahmas und über den Wahn der Bhagavati (eine Göttin). Falls ein Sack durch den Inhalt, den sie aus den vier Himmelsrichtungen zusammentrugen, platzt - oder wenn ein mit Getreide beladener Esel davonläuft, oder wenn ein Wagen ausgeraubt, ein Goldbarren gestohlen oder eine Steuer umgangen wurde, beim Geschrei von Plünderern, bei einer Rechtsversammlung im Zusammenhang mit Gebräuchen, wenn ein Handelsvertrag abgeschlossen wurde - in all diesen Fällen, machen sie keine Fehler, sondern tragen das Haupt des Diebes als Troddel, binden des Feindes Hand als ein warnendes Zeichen an einen Pfahl; Glücksspiele erlauben sie nicht, erarbeitet ist all ihr Vermögen. Grüßet also mit gefalteten und an die Stirn gehobenen Händen die 500 Herren (Svami) der Ayyavole, die im Besitz aller Ehrentitel sind, öffnet Euren Sack und bietet ihnen Speisegaben an, oh ihr Händler (setti), stiftet den 500 Herren der Ayyavole eine Trommel in einer Schale - und wünschte ihnen weiter viel Glück."

(zitiert nach Kulke/Rothermund, Geschichte Indiens, 2018)

~~~~~~~~~~~~~~~+

*) am weitesten auf dem Seewag nach Osten haben sich jene vorgewagt, aus denen dann später die Polynesier hervorgegangen sind.

Nach S.W. Serjeantson sind die Antigene HLA B13, B18 and B27 häufig unter Melanesiern, aber fehlen bei Polynesiern. Letztere haben signifikant häufiger A11 in Verbindung mit Bw48. A11 ist kaukasisch, mit B40 assoziiert wurde es im Industal (Harappa!) gefunden.

The Colonization of the Pacific – A Genetic Trail, edited by Adrian Hill and S.W. Serjeantson, 1989

**) https://www.independent.co.uk/news/science/archaeology/dna-sequencing-of-ancient-phoeni...


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung