Magisches Denken

Phoenix5, Freitag, 22.03.2019, 12:22 (vor 1833 Tagen) @ Oblomow1193 Views
bearbeitet von unbekannt, Freitag, 22.03.2019, 13:12

"Wer ist schuld an Psychokitsch und Modediagnosen? Ganz wesentlich
Psychoanalyse, postmoderne Philosophie und Gender Mainstreaming. Die
Psychoanalyse entlehnt viel aus der griechischen Mythologie und noch viel
mehr aus autobiografischen Erlebnissen ihres Erfinders Sigmund Freud. Was
Freud neurotisch verarbeitete, müsste auch bei allen seinen Mitmenschen so
ablaufen – so seine Lehre. Die analytische Theorie ist ein Nebenfluss des
magischen Denkens."


1. Ja, die analytische Theorie ist ein Nebenfluss des magischen Denkens - der Art von Denken, der ich den gleichen Platz einräume wie der Wissenschaft.

2. Die Modelle der Psychoanalyse, ja im Prinzip des gesamten Psychologie, sind Emergenz-Phänomene des komplexen Systems "Gehirn". Wenn heute z.B. ein Kind in einer gewalttätigen häuslichen Atmosphäre aufwächst, so hat das später Auswirkungen in Form von Kompensationsmechanismen. Diese Dinge (Warum bin ich, wie ich bin) kann ein so geschädigter Mensch im Laufe seines Lebens auch selbst begreifen - ganz ohne Therapie und dennoch müsste die Wissenschaft dazu sagen: Das bildest du dir ein, denn es gibt keine wissenschaftlich harten Beweise dafür, dass du aufgrund deiner gewalttätigen Erfahrung geworden bist, wie du bist (Epigenetik lasse ich mal außen vor). All das spielt sich a) auf einer emotionalen Ebene ab und b) im Kopf eines Menschen und ist somit der Wissenschaft schwer zugänglich. Letztere kann bloß die Modelle in Studien überprüfen (z.B. gibt es einen statistischen Zusammenhang zwischen Gewalt in der Kindheit und Depressionen?), aber die Modelle selbst sind "ein Nebenfluss des magischen Denkens".

Ein privates Beispiel aus einem ganz anderen Bereich: Wir haben vor 3 Jahren einen Hund aus dem Tierheim aufgenommen, der sehr aggressiv war. Durch ein entsprechendes Setting (Vertrauen und Sicherheit schaffen, aber auch Autorität zeigen) baute der Hund sehr langsam seine Aggressivität gegenüber anderen Menschen (v.a. Männer) und anderen Hunden ab, während er gleichzeitig dadurch vorsichtiger und ängstlicher wurde und die Führung uns abgab. Hier zeigte sich schön, dass die Aggressivität Folge von Angst war und der Abbau dieser die Angst übrig ließ, der wir uns nun weiter widmen. Es ist wie in einem Schalenmodell: Zuerst Traumata, dann Angst, dann Aggressivität als Kompensationsmechanismus. Man muss die Schalen der Zwiebel nach und nach durchgehen, um zum Kern zu kommen. Das ist magisches Denken, das als Modell wissenschaftlich nicht beweisbar, sondern nur untermauerbar ist (durch Statistiken, die das Modell stärken). Oder anders formuliert: Wenn ein 90-jähriger Mensch stirbt, dann kann die Wissenschaft herausfinden, dass er z.B. an einem Herzinfarkt gestorben ist. Das magische Denken aber sieht schlichtweg das "panta rhei": Werden und Vergehen komplexer Systeme.

3. Warum lassen sich in vielen Religionen, Sagen, Märchen, etc. ähnliche Grundstrukturen finden. Woher kommen diese? Woher kommen all die Paradiesmythen? Sind das eventuell externalisierte Erfahrungen von jedem von uns? Die Ur-Sicherheit an der Mutterbrust und im Umfeld der Mutter, wo alles vorhanden war und man sich um nichts kümmern musste? All das kann wissenschaftlich nicht als Modell erfasst werden, sondern eben nur durch magisches Denken. Die Wissenschaft kann nicht beweisen, dass ein Gehirn aus dieser Erfahrung des Überflusses und der Geborgenheit Paradiesmythen im kollektiven Bewusstsein bastelt.

4. Danish zitiert: "Was Freud neurotisch verarbeitete, müsste auch bei allen seinen Mitmenschen so ablaufen – so seine Lehre." Er bezeichnet also Freud als "neurotisch", benutzt also Begriffe aus der Psychologie und Psychoanalyse, um diese madig zu machen. Verstehst du was ich meine? Wir alle sind auf diese Begriffe angewiesen, auch wenn ihr Inhalt ein Nebenfluss magischen Denkens ist, denn wissenschaftlich kann die Neurose nicht erfasst werden. Sie ist ein Modell, das emergente Phänomene, d.h. Muster, die sich aus dem komplexen, kognitiven Chaos bilden, einzurahmen versucht.

5. Mir ist bewusst, dass die gender-Apostel sich oft auf die Psychoanalyse berufen (Freud hat im Gegensatz zu ihnen nie die Evolutionstheorie geleugnet, denn diese Leugnung ist dem gender-Relativismus inhärent), aber diese hat wenigstens Modelle, während die gender-Leute bloß "dekonstruieren", d.h. sie zerstören Modelle und sagen: "Zerstören ist unser Modell", ohne dabei ihr Zerstörungsmodell selbst zu dekonstruieren, ergo zu zerstören.

6. Das Modell in der Psychoanalyse oder Psychologie ist wie die Formel in der Wissenschaft. Die Formel kann Gesetzmäßigkeiten unserer Welt ausdrücken - man weiß aber nicht, wo sie selbst herkommt bzw. selbst wenn sie sich irgendwo ableiten lässt, weiß man weiter nicht, woher die ursprüngliche Formel kommt ad infinitum. Auch die Wissenschaft arbeitet also mit Modellen, die sie durch Experimente untermauert und untersucht die Anknüpfungspunkte von einem Formel-Modell (z.B. Quantenmechanik) zum anderen Formel-Modell (z.B. Relativitätstheorie). Warum die Dingen aber so und nicht anders sind, kann sie nicht erklären bzw. flüchtet sich am Ende ins "anthropische Prinzip": Die Dinge sind eben so, wie sie sind, denn wären sie anders, dann wären wir nicht hier, um uns über diese Dinge den Kopf zu zerbrechen. Was, wenn sich am Ende herausstellt, dass selbst der Determinismus bloß ein emergentes Phänomen einer weit komplexeren Sub-Ebene ist (vielleicht der Quantenmechanik)? Und wenn sich dann herausstellt, dass auch die statistische Wahrscheinlichkeit der Quantenmechanik bloß ein emergentes Phänomen einer weiteren Schicht darunter ist? Dann müsste die Wissenschaft am Ende zugeben, dass ihre Modelle die Realität niemals abbilden werden können.

Beste Grüße
Phoenix5


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