In Memoriam Arnulf Baring...Bürger auf die Barrikaden!

Jazznow, Sonntag, 03.03.2019, 21:38 (vor 1879 Tagen)3470 Views
bearbeitet von unbekannt, Sonntag, 03.03.2019, 21:58

Ich habe ihn immer gemocht, den streitbaren und unerschütterlichen, an die eigentliche Form der Demokratie glaubenden, einer der letzten großen Intellektuellen mit der Verbindung an die Unrechtszeiten (er hat Dresden als Zeitzeuge überlebt) ohne moralische Überhöhung. Nachfolgend einige Zitate aus [link=http://]Bürger auf die Barrikaden
vom 19.11.2002

"Fundamentale Weichenstellungen der Republik sind schon seit vielen Jahren himmelschreiend unsozial für die kommenden Generationen, unsere Kinder und Enkel, wegen des immensen Schuldenberges, den wir angehäuft haben."

"Es geht um etwas Selbstverständliches, Banales, nämlich endlich um die Einsicht, dass Deutschland schon lange chronisch krank ist, dass wir seit drei Jahrzehnten über unsere Verhältnisse gelebt haben und daher kräftig sparen, die Ansprüche aller Gruppen und Schichten eine Zeit lang reduzieren müssen."

"Es festigt sich im Lande die Überzeugung, dass unser Parteiensystem, in welcher Farbkombination auch immer, den heutigen Herausforderungen in keiner Weise gewachsen ist und daher von der Krise verschlungen werden wird, wenn es nicht die Kraft zur durchgreifenden Erneuerung findet."

"Wir müssen ernsthaft darüber nachdenken, ob die Verfassung von 1949 mit ihrer vorsichtig ausgeklügelten Machtverteilung nicht jede energische Konsolidierung Deutschlands verhindert."

Ich glaube, daß die Deutschen sich überhaupt mit der Realität schwertun, daß sie sich am liebsten im Reich des Wünschbaren aufhalten. An vielen meiner Landsleute verdrießt mich seit langem, daß sie sich als bessere Menschen fühlen, indem sie – in der Regel folgenlos – edle Absichten verkünden. Wir haben Schwierigkeiten mit unserer eigenen Überlebensfähigkeit, arbeiten aber an Rezepten für die Welt.

Auszüge aus einem Interwiew im Focus vom 24.02.1997 , geführt von Michael Klonovsky (sic!)

Ich halte es für gefährlich, daß Kohl die Bevölkerung bei einem Experiment dieser Art nicht offen über die Risiken aufklärt. Es gibt in allen drei Parteien Politiker, die hinter vorgehaltener Hand sagen: Bei einer Volksabstimmung kämen wir mit dem Euro nie durch. Es fragt sich, was diese Leute für ein Demokratieverständnis haben. Was ist, wenn die Sache schiefgeht – und die Bevölkerung ist vorher nicht in die Haftung einbezogen worden? Eine Währung ist nicht nur Zahlungsmittel, sondern auch eine psychologisch heikle Sache. Wir Deutschen haben ja wenig gemeinsame Symbole; wir könnten möglicherweise auf Hymne, Fahne, Hauptstadt verzichten – aber auf die Mark? Das Verschwinden der D-Mark kann eine tiefe Erschütterung auslösen.

Die Ansicht, Europa werde die Nationalstaaten aufheben, ist nur hier verbreitet, in den anderen Ländern nicht. Europa hat keine Zeitung, die in allen Ländern in der jeweiligen Sprache gelesen würde, es gibt keinen europäischen TV-Kanal und daher auch keine öffentliche europäische Meinung. Wenn Sie Zeitungen in anderen Ländern lesen, bekommen Sie jeweils ein vollkommen anderes Bild der Welt. Die Mentalität der europäischen Völker ist nach wie vor außerordentlich verschieden. Die Stärke dieses Kontinents ist eben die Einheit in der Vielfalt, und wir müssen, statt in visionäre Fernen zu schweifen, zunächst unseren eigenen Laden in Ordnung bringen. Unser Beitrag zur europäischen Konsolidierung besteht in unserer eigenen.

Immer, wenn ich höre, etwas müsse auf europäischer Ebene gelöst werden, weiß ich, es wird ein Alibi benutzt, um nicht selber handeln zu müssen. Natürlich haben viele gehofft, daß uns Europa Schwierigkeiten abnehmen würde, beispielsweise bei der Ausländereinwanderung, aber da das nicht in absehbarer Zeit passieren wird, müssen wir die Dinge eben für uns selber regeln. Deutschland zukunftsfähig zu machen, ist entscheidend – nicht irgendwelche europäischen Träume.

Die deutsche Politik hat jahrzehntelang davon gelebt, daß sie Zuteilungen unter die Leute bringen konnte und Zustimmung zur Demokratie mit der Dankbarkeit für diese Zuteilungen erzielte. Heute ist die Politik so sprachlos, weil sie nicht mehr Zuteilungen, sondern Zumutungen den Menschen plausibel machen muß.

Baring wurde übrigens schon 1983 aus der SPD als langjähriges Mitglied ausgeschlossen...

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Knowledge is a deadly friend
If no one sets the rules
The fate of all mankind I see
Is in the hands of fools
King Crimson; 1969


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