Für den Liebhaber französischer Kultur hier ein wenig französische Geschichte

Weiner, Mittwoch, 27.02.2019, 22:28 (vor 1878 Tagen) @ Tempranillo4552 Views

Hallo Tempranillo,

ab und zu folge ich einem Deiner LINKs zu Videos klassischer Musik - für ein paar Minuten Ablenkung und wehmütiger Erinnerung an eigene Musikpraxis, die aber 40 bis 50 Jahre zurück- und seither brachliegt. Mit dem folgenden Beitrag möchte ich mich bei Dir bedanken.

Deine Bemerkungen

Schon im ersten demokratischen Parlament von 1789 war das zu 90% aus Bauern,
Arbeitern und Handwerkern vertretene Volk so gut wie überhaupt nicht
vertreten.

Es mag sein, wie es will, mir ging es darum, daß bereits das erste
demokratische Parlament keine Volksvertretung gewesen ist.

bedürfen nämlich der Ergänzung und Klarstellung, auch insofern dabei etwas sehr Wichtiges in Erinnerung gebracht werden kann. Ich zitiere dazu aus der Wikipedia:

"Als der französische König am 24. Januar 1789 seine Untertanen zur Wahl ihrer Abgeordneten für die Generalstände aufrief, forderte er sie gleichzeitig auf, diesen Abgeordneten Anweisungen zu geben, welche Probleme sie lösen sollten. Die Abgeordneten hatten also ein imperatives Mandat." (Markierung von mir)

Die geforderten Anweisungen wurden auf Dorfversammlungen im ganzen Land geäußert, diskutiert und in Hefte geschrieben. Rund 60.000 dieser Hefte sind erhalten geblieben:

https://de.wikipedia.org/wiki/Cahiers_de_Dol%C3%A9ances

Über das imperative Mandat, bei dem der Vertreter an den Willen des ihn Beauftragenden gebunden ist, kann man viel und gut diskutieren. Gemäß dem GG ist es hier und heute nicht möglich, denn bei uns ist der Volksvertreter an sein Gewissen gebunden (das hat man wirklich klug gemacht ...!), wobei die Interpretation dahin geht, dass allein die Partei bestimmt, was für ihn 'gewiß' sein soll ...

Es gibt also durchaus Spielräume und Wege um den Volkswillen auszudrücken und "nach oben" sowie in allgemeinverbindliche Regeln hinein zu transformieren, aber diese Möglichkeiten werden nicht genutzt. Die Cahiers sind ein frühes Beispiel dafür, wie man es richtig machen könnte.

Wikipedia fährt allerdings fort: "Für den Verlauf der Französischen Revolution spielten die Cahiers de Doléances keine große Rolle mehr."

Aber warum? Das ist eines der großen Rätsel, das die "Geschichtswissenschaft" bislang nicht lüften konnte. Dazu müsste sie geheime Gesellschaften und Verbindungen recherchieren, die in Finanzkreise und ins englischsprachige Ausland reichen würden. Das wäre aber politisch nicht korrekt ...

Formal sah es dann so aus, dass der "Dritte Stand", eben die Vertreter des Volkes mit den 60.000 Heften in den Hand, sich nicht mit dem ersten und mit dem zweiten Stand (Klerus und Adel) verfahrensmäßig einigen konnte.

Eine der Differenzen bestand darin, dass der Dritte Stand ein größeres Stimmengewicht beanspruchte, da er ja 98% der Bevölkerung repräsentiere, d.h. eben die von Dir, Tempranillo, genannten Bauern und Arbeiter (im Sinne von Industriearbeitern gab es letztere damals allerdings noch nicht, es waren allenfalls Handwerker). Und wie gesagt: die 60.000 Hefte lagen ja auf den Tischen ...

Weil die Differenzen zwischen den Ständen jedoch nicht überbrückbar waren, erklärte der separat im Ballhaussaal (Tennis ...) versammelte Dritte Stand am Vormittag des 17. Juni 1789 sich zur Nationalversammlung, der die Mehrheit der Nation vertrete - was immer das nun genau heißen sollte ...

Nachzulesen hier:

https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=nyp.33433071354884;view=1up;seq=113

Ab dem 17. Juni 1789 also laufen die gegenwärtig immer noch wirksamen Zyklen für die französisch republikanisch nationale Geschichte, und zwar bis Anfang der 2030er Jahre, wenn sie ihren letzten Atemzug ziehen wird. Ihren Todesstoß, wie damals wieder von innen kommend, wird sie in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 hinnehmen müssen. Von ihm wird sie sich nicht mehr erholen können. Die gegenwärtigen Gelbwesten sind gegen diese kommenden Konvulsionen nur ein laues Lüftchen.

Weiß Weiner

PS: Mir gefällt der Begriff DEMOKRATIE nicht. Und das keineswegs, weil es sie gegenwärtig nicht gibt, sondern weil es sie überhaupt nie geben sollte. Kratie = Herrschaft im zwischenmenschlichen Verkehr sollte die Ausnahme innerhalb einer Gemeinschaft und damit auch in einem Staate und zwischen den Staaten sein. Verständigung, Kooperation und Konsens wären m.E. vorzuziehen. Herrschaft ist natürlich viel bequemer, möglicherweise für beide beteiligten Seiten ...


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