Andere Länder, andere Sitten.

nereus, Montag, 18.02.2019, 10:00 (vor 1866 Tagen)6188 Views

Bei Vera Lengsfeld gibt es einen erschütternden Bericht einer Schwedin (Helena Edlund), die in Afghanistan stationiert war.
Sie berichtet von Dingen von den wir nichts wissen und vermutlich auch nicht wissen wollen.

Ich arbeitete als Koordinationsoffizierin in der FS20, stationiert in Masar-e Scharif in der Balkh-Provinz. Einige Jahre zuvor war ich Bataillonspastorin im Kosovo, aber das war eine ganz andere Sache gewesen.
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Ein Großteil des Dienstes bestand in der Projektleitung, angefangen von der Reinigung der Bewässerungskanäle mittels kleiner Brücken, über das Anstreichen von Moscheen, bis hin zum Bestellen von Uniformen für die weiblichen Polizisten. Der Dienst ermöglichte mir einen einzigartigen Einblick in die afghanische Kultur und Gesellschaft. Aber bescherte auch viele Erfahrungen, die ich gern vermieden hätte.
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Was mich aber am stärksten verändert hat und vermutlich am folgenschwersten für meinen Beruf als Pastorin war, war die Begegnung mit einem völlig anderen Menschenbild.
Ich war mit der schwedischen Überzeugung mariniert, dass alle Menschen im Grunde gleich sind. Dass wir uns, unabhängig von Kultur und Rasse, in der Einstellung gleichen, nur das Beste für den Nächsten zu wollen, uns für unsere Kinder aufopfern und einen grundlegend gleichen moralischen Kompass haben.
Ich hatte mich geirrt.

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Ich musste erleben, wie Eltern ihre Kinder nicht der Mühe wert erachteten, fünf Kilometer ins nächste Krankenhaus zu fahren, denn es würden ja „sowieso neue Kinder“ kommen.
Ich habe Krankenhäuser besucht, wo Säuglinge und Kleinkinder wegen Rauschgiftmissbrauchs behandelt wurden, weil Mütter Opiumrauch in ihre Münder geblasen hatten, damit sie endlich aufhören sollten zu schreien.
Ich musste mir anhören, wie Kinder vergewaltigt und Frauen misshandelt wurden, ohne eingreifen zu können. Ich habe gesehen, wie Kinder mit kochend heißem Wasser als Erziehungsmaßnahme überbrüht wurden und Kleinkinder schwarz gefrorene Füße hatten, weil sie in frostiger Kälte ohne angemessene Kleidung von ihren 4- oder 5-jährigen Geschwistern durch die Gegend getragen wurden, weil die Mutter das Haus nicht verlassen durfte. Ich habe auch unterentwickelte kleine Mädchen gesehen, die vielleicht 10 Jahre alt waren, zwangsverheiratet, vergewaltigt und misshandelt bis zur Unkenntlichkeit. Ich habe Frauen getroffen, die zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt wurden, weil sie von Zuhause geflohen waren.
Ich habe mit Lehrern gesprochen, die mir stolz „ihre Jungs“ präsentierten – kleine Jungen, die sexuell ausgebeutet wurden – und habe die Statistik gelesen, die aussagt, dass die Mehrzahl aller Jungen in Nord-Afghanistan Opfer sexuellen Missbrauchs wurden.
Das sogenannte Bacha Bazi-Phänomen (Bacha=Knabe, Bazi=Spiel) ist weit verbreitet. Da die Trennung der Geschlechter annähernd lückenlos und es unmöglich ist, eine Freundin zu haben (für viele arme Männer ist es auch unmöglich, sich eine Frau zu kaufen), so benutzt man ganz einfach Jungs für seine sexuellen Bedürfnisse. Ein bekanntes Sprichwort lautet: „Women are for children, boys are for pleasure.“
Junge Männer haben Sex miteinander. Homosexualität wird freilich mit dem Tod bestraft, aber Sex mit einem Freund oder Kumpel wird nicht als Homosexualität gewertet, wenn beide nicht ineinander verliebt sind.
Ich habe erwachsene afghanische Männer getroffen, die nicht wussten, wie ein Kind gezeugt wird und die sehr zornig wurden, als man ihnen erklärte, dass eine vaginale Vereinigung mit einer Frau nötig ist, um Söhne zu zeugen. „Mit einer Frau? Aber die sind doch schmutzig!“, drückte sich ein Mann aus.
Ein anderer Mann beklagte sich darüber, dass aus seiner Ehe keine Kinder hervorgingen. In einem Gespräch stellte sich heraus, dass seine Frau 11 Jahre alt war und er sie nur anal vergewaltigte.
Ich bin Dorfältesten begegnet, die eher zusahen, wie ihre Kinder verhungerten, als ihre Anbaugewohnheiten zum Beispiel durch Fruchtfolge zu verändern. „Meine Vorfahren haben auf diesem Acker seit Jahrhunderten Weizen geerntet! Darum muss ich ebenfalls hier Weizen anbauen!“
Ganze Dörfer sind lieber verhungert, als z.B. mit der Ansiedlung auf die andere Seite des Hügels umzuziehen, wo es Weideland und Wasser gab. Es dauerte nicht lang, bis ich die Antworten kannte: „Das Dorf hat schon immer hier gelegen, es muss also hier bleiben!“

Quelle: https://vera-lengsfeld.de/2019/02/16/bericht-aus-afghanistan-teil-i/#more-4075

Eigentlich unfassbar, aber offensichtlich Realität.

Alle Frauen, mit denen ich sprach, waren Gefangene infolge häuslicher Gewalt. Das übliche Verbrechen, was diese Frauen begangen hatten war, dass sie von Zuhause geflohen waren. Im Prinzip ausschließlich nach jahrelangen schweren Misshandlungen oder vor einer Zwangsheirat. Die obligatorische Strafe für dieses Verbrechen waren zehn Jahre Gefängnis. Einige Frauen hatten ihre Männer umgebracht. Sie berichten dieses mit einem gewissen Stolz in der Stimme – sie hatten sich gewehrt, hatten sich selbst und ihre Kinder geschützt. Sie bereuten nichts, sie waren stolz und stark und ihre Augen berichteten von Erlebnissen, die ich mir nie vorstellen konnte.

Andere Länder, andere Sitten.

mfG
nereus


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