Krankheit -> Langeweile -> Psychopathologie

Weiner, Dienstag, 06.11.2018, 21:26 (vor 1989 Tagen) @ Oblomow3362 Views

Hallo Oblomow!

Ist Langeweile (genauer ennui) und Krankheit Freiheit?

Eigentlich schon. Kommt natürlich drauf an, wie man 'Freiheit' auffasst - und wie man sie in den Kontext von Langeweile einführt.

Du unterstellst hier (vermutlich; war aber gar nicht das Thema ...), dass sich psychopathisches Verhalten aus Langweile heraus entwickeln kann. Das ist durchaus richtig. Bereits ein Tier, gut versorgt, aber in Gefangenschaft gehalten, wird schnell grätig und abartig. Seine Langeweile ist hier aber durch einen Zwang entstanden. Bei Anderen (Menschen ...) entsteht sie durch Freiheit (von Verpflichtungen und Sorgen) und Überfluß.

Jetzt könnten wir weit ausholen, und von Pascal über Kirkegaard bis Beckett die Langweile diskutieren, die es inzwischen ja durchaus zu einem Gegenstand der Philosophie und Literatur gebracht hat. Wenn Du mich ganz direkt fragst, würde ich aber lebenspraktisch antworten, dass Langeweile zunächst eine körperliche Krankheit ist *) und bei längerer Präsenz zu einer psychisch-mentalen Krankheit sich entwickeln kann (früher hätte man 'Geisteskrankheit' gesagt).

Dieser letztere Zustand ist dann sehr gefährlich, da liegt Pascal richtig.**) Wenn der Kranke (dessen wahre Krankheit von der Umwelt meist kaum bemerkt wird) dann über weitere 'Freiheiten' verfügt (etwa materielle Mittel, Schutz vor Strafverfolgung u.ä.), dann können (müssen nicht ...) ganz entsetzliche Dinge sich daraus entwickeln.

Mit Grübel-Grübel-Grüssen, Weiner

(Wie schnell und weit man doch vom Ausgangsthema, dem "Geldlichen", auf sonderbare Abwege kommt!)

*) hierzu ein Literatur-Hinweis, den manche als ziemlich schräg auffassen würden, jedoch weiß ich, von was ich rede: Ernst Ferdinand Rückert, Systematische Darstellung aller bis jetzt gekannten homöopathischen Arzneimittel, Leipzig 1835, Zweiter Band, Seite 701 (viele weitere Mittel sind seither dazugekommen).

**) "Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden - ohne Leidenschaften, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Aufgabe. Er wird dann sein Nichts fühlen, seine Verlassenheit, sein Ungenügen, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele die Langweile aufsteigen - die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verdruss, die Verzweiflung." (Pensées II, 131)

Anmerkung hierzu noch: Der Zustand vollkommener Ruhe bzw. physisch-psychisch-mentaler Stille ist ein wichtiger Ausgangszustand für die spirituelle Entwicklung, das Basiscamp sozusagen (siehe, nur als ein Beispiel unter vielen, den Hesychasmus, von ἡσυχία = Ruhe). Er setzt aber wiederum voraus - und das ist deshalb wichtigster Teil der Vorschule -, dass man mit den dann auftauchenden Gefährdungen und Versuchungen tatsächlich umgehen kann und ihnen nicht erliegt. Im fortgeschrittenen Stadium gehört dazu ferner, dass man von gewissen außerordentliche Fähigkeiten, die durch diesen Zustand entstehen können, keinen (eigennützigen) Gebrauch macht.


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