Sinn der Apokalypse für Frühchristen

Taurec ⌂, München, Donnerstag, 04.10.2018, 21:50 (vor 2029 Tagen) @ BerndBorchert3217 Views
bearbeitet von unbekannt, Donnerstag, 04.10.2018, 22:15

Hallo!

Wie kann so eine Sammlung von Alptraum-Fantasien ein Teil der Bibel werden, sogar des Neuen Testaments.

Wie kann ein Christ diesen gefährlichen Hokuspokus, den sich 50 Jahre nach Jesus ein Junkie aus den Fingern gesogen hat, als Teil seines Glaubens ansehen?

Zur Klärung dieser Frage sind meines Erachtens folgende Erkenntnisse Voraussetzung:

Das frühe bzw. ursprüngliche Christentum war eine Schöpfung dessen, was Oswald Spengler in seiner Geschichtsphilosophie als „magische Kultur“ bezeichnete. Sie umfaßte die Völker Arabiens und der Levante etwa seit Christi Geburt und trat etwa zur Zeit des ersten Kreuzzuges in die postkulturelle Phase der Zivilisation über. Die drei monotheistischen „Weltreligionen“ sind alle eine Frucht dieser magischen Kultur und innerlich entsprechend gleichgeartet, wobei der Islam als die letzte Schöpfung, im Zyklus angesiedelt etwa „parallel“ zu der Phase, die im Abendland „Reformation“ genannt wird, die Entwicklung zum Abschluß gebracht und die früheren Erzeugnisse „Judentum“ und „Christentum“ in sich aufgenommen hat. Letztere konnten als Fremdkörper in anderen Kulturkreisen, etwa dem faustischen und dem russischen, überleben, wobei im Falle des Judentums im 20. Jahrhundert eine „Rückkolonialisierung“ stattfand.

Als Sprosse der magischen Kultur ist den ursprünglichen Trägern dieser drei Religionen ein spezifisches Weltgefühl zueigen, das sie grundsätzlich von später christlich überprägten Völkern anderer Kulturkreise unterscheidet. Die Urchristen empfanden ihr Dasein in der Welt anders und hatten ein gänzlich anderes Geschichtsbild als die indogermanischen Völker des christlichen Abendlandes. Insofern gibt es nicht ein Christentum, sondern so viele Christentümer wie es christliche Völker gibt. Lediglich die Schriftgrundlage ist identisch, wird aber durch die je eigene Deutungsbrille interpretiert.

Das Urbild unserer Kultur ist der unendlich ausgedehnte Raum und die unendliche Zeit. Vom individuellen Standpunkt unseres Ichs dehnt sich die Welt räumlich und zeitlich in Fernen, die von einem nicht mehr begreifbaren abstrakten Horizont begrenzt werden, der mehr die Grenze unseres Begriffsvermögens darstellt. Wir stellen aber stets noch die Frage, was hinter dieser Grenze liegt. Dieser Entdeckungsdrang ist die geistige Grundlage der auf wissenschaftlich-technischer Erkenntnis beruhenden modernen globalisierten Welt, die gedanklich in diversen Utopien bereits auf den Weltraum ausgedehnt wird. Das ist rein faustisch.

Dahingegen empfanden die Urchristen der magischen Kultur ihre Welt als das, was Spengler als „höhlenhaft“ bezeichnete. Die damit gemeinte empfundene „Abgeschlossenheit“ der Welt spiegelt sich am plastischsten in den Kirchenbauten wider. Die abendländischen Kirchen vor allem der Hochgotik zeichnen sich durch mehrschiffige, in alle Himmelsrichtungen und insbesondere überhöht nach oben strebende Architektur aus, welche das in die Ferne drängende Weltgefühl symbolisiert. Moscheen, Synagogen, byzantinische und koptische Kirchen sind hingegen gedrungene Kuppelbauten. Das wirkt sich selbst in den europäische Elemente aufweisenden abendländischen Synagogen aus. Die Innenräume streben in keine Richtung, sondern überwölben die Glaubensgemeinschaft, was meines Erachtens den die Welt umspannenden göttlichen Geist symbolisiert.

So, in ständiger Gottesgegenwart, empfanden die Urchristen (auch Juden und Moslems) nicht nur ihre Umwelt, sondern auch die Weltgeschichte an sich. Sie dehnt sich nicht wie bei uns z. B. vom Urknall bis zur entropischen Auflösung des Universums aus, sondern bemißt abgeschlossen eine begrenzte Zahl Jahrtausende von der Schöpfung der Welt bis zum Endgericht. In dieser höchstverdichteten Form spielt sich die gesamte Weltgeschichte in einem höchst dramatischen Kampf der göttlichen Kräfte gegen den Widersacher ab. Das Ringen um den rechten Glauben bestimmt diese Kultur völlig. Die religiöse Seite des Lebens ist dort im Vergleich zu anderen Kulturen übermäßig dominant. Das ganze Leben schwingt in der Naherwartung des baldigen Höhepunktes dieses Kampfes des Guten gegen das Böse. Dann würde Gott seinen Stellvertreter (den Messias) für die Endschlacht auf Erden entsenden. Die Geister würden entsprechend ihrer Haltung geschieden werden. Auch die Toten entstiegen ihren Gräbern und müßten sich vor dem Endgericht verantworten. Nur die Rechtgläubigen würden mit dem Messias emporsteigen und in Ewigkeit zur Rechten am Throne Gottes residieren. Der unwürdige Rest hingegen würde mit dem Ende der Welt vergehen, denn die Schöpfung ist „höhlenhaft“ abgeschlossen. Nach dem Endkampf würde sie wieder eingestampft werden und in den nichtigen Zustand übergehen der war, bevor Gott sprach: „Es werde Licht!“

Ohne diese geistige Grundlage ergibt die Offenbarung des Johannes keinen Sinn. Ich behaupte sogar, daß sie den europäischen Christen, die diesen Text mit der Bibel lediglich übernahmen, im Kern für alle Zeit völlig unverständlich bleiben muß. Die Offenbarung enthält keine Botschaft für uns, weil sie unserem Weltgefühl, das keine Endzeit kennt, nicht entspricht. Entsprechend schwer tun wir und mit der Erklärung, entsprechend absurd sind die Deutungen. Alles, was mit 666, dem Malzeichen usw. zu tun hat, geht völlig in die Irre, wenn es auf technische Entwicklungen etc. bezogen wird. Natürlich werden auch solche Kräfte, welche die Offenbarung als Fahrplan mißbrauchen, um die Apokalypse auszulösen, durch solche Symbolik ihr Ziel nicht erreichen, da sie als Teil der abendländischen Zivilisation zur eigentlichen Bedeutung ebenfalls keinen Zugang mehr haben.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich aber auch die Aufnahme der Offenbarung in die Bibel. Sie war kein zufälliger wirrer Text ohne Sinn, sondern der Höhepunkt aller religiösen Gefühle. Sie repräsentierte für die Urchristen den Abschluß der Gottesoffenbarungen seit den Büchern Mose. Daher die Worte am Ende des Buches: „Wenn einer ihnen etwas hinzufügt, über den wird Gott all die Plagen bringen, von denen geschrieben ist in diesem Buche. Und wenn einer etwas wegnimmt von den Worten dieses prophetischen Buches, dem wird Gott seinen Anteil wegnehmen am Baum des Lebens und an der Heiligen Stadt, wovon geschrieben ist in diesem Buche.“
Mit der Offenbarung war alles gesagt. Das nahe Endgericht wurde erschöpfend und (nur) für die Rechtgläubigen klar dargelegt. Jedes weitere Wort wäre ebenso falsch wie überflüssig gewesen.

Um die Zeitenwende, als mit Wucht im Nahen Osten ein kulturelles und religiöses Erwachen stattfand, lebte man in der festen Überzeugung, daß das Endgericht nicht nur diffus nahe war, sondern sogar zu Zeit der Lebenden stattfinden würde. So erklärt sich das Jesuswort in Matthäus 16,28: „Wahrlich, ich sage euch: Es sind einige von denen, die hier stehen, die werden den Tod keinesfalls schmecken, bis sie den Sohn des Menschen haben kommen sehen in seinem Reich.“
Die Juden lebten in der Erwartung, daß der Messias demnächst erscheinen werde. Für die Frühchristen (natürlich ebenfalls Juden) war er bereits da. Ihrem Glauben war gemäß, daß Jesus, der „Menschensohn“ wiederkehren werde, was ja auch Element der Offenbarung ist. Die damalige Zeit war vermutlich voll von Messiassen, die in den damaligen Gemeinden eine kaum absonderliche Alltagserscheinung waren. Jesus hat sich, aus welchen Gründen auch immer, durchgesetzt.

Mein Verdacht ist übrigens, dass schon damals - sagen wir beim Konzil von Nicäa - verdeckte Okkultisten diesen Giftpilz Apokalypse heimlich in die Bibel hineingeschleust haben.

Ich vermute beinahe, daß nicht nur die Offenbarung, sondern das eher aufgrund politischer Umstände und Zufälle über die Brücke Spätroms nach Europa getriebene Christentum insgesamt eine Bombe im Fundament des Abendlandes ist, die uns in Form der Krise der Kirchen und des grassierenden Atheismus gerade mit größter Wucht um die Ohren fliegt.
Wenn Jesus tatsächlich persönlich den Endzeitglauben verkündete, sind wesentliche Botschaften des Christentums für unsere Ohren überhaupt nicht bestimmt und sinnlos. Hinzu kommt die Tatsache, daß weitere frühchristliche Inhalte entweder verloren gegangen sind oder von dem Karrieristen Paulus der ursprünglichen Lehre zuwider auf Grundlage einer Phantasievorstellung Jesu erfunden wurden. Die Bibel als menschengemachtes Schriftwerk ist dem kritisch-rationalen Zugriff ausgesetzt und kann bei genauerer textkritischer Betrachtung nicht standhalten. Daß ein solches angebliches Gotteswort, das in dieser Form im Grunde eine Beleidigung für jeden intelligenten Menschen darstellt, zur zentralen Grundlage des Glaubens gemacht wurde, mußte in solchen übermäßig rationalistischen Zeiten die Abwendung einer großen Zahl Menschen von der Religion nach sich ziehen. Indem das Christentum als kultureller Fremdkörper über die ursprüngliche indogermanische Religiosität gelegt wurde, ist uns der freie Zugang zu unserer natürlichen Spiritualität quasi versperrt. Religiosität kann ohne das Christentum nicht gelebt werden. Sie ist aber auch mit dem Christentum aufgrund der angesprochenen Mängel für große Massen der Europäer kein gangbarer Weg mehr. Eine allen Unsinns entledigte, abgespeckte Form des Christentums gereicht womöglich nicht mehr als Eckstein einer Kirche, da sie nur Allgemeinplätze enthält nach dem Motto: „Verhalte die ordentlich, liebe Deinen Nächsten.“
Vor allem fehlte eine nachweisbare göttliche Präsenz, da Jesus lediglich als normaler Mensch dasteht, der sich einen göttlichen Draht lediglich eingebildet haben könnte. Allein dieser Gedanke birgt, einmal gedacht und nicht mehr aus der Welt zu schaffen, enorme Sprengkraft. Der größte und verhängnisvollste Fehler war womöglich, statt der übergeordneten heidnischen Götterfiguren als Ausfluß eines allumfassenden Weltgeistes eine vermeintlich göttliche Person in Fleisch und Blut zum Zentrum zu machen. Solche Glaubenssätze, ohne welche das Christentum wie Nichts zwischen den Fingern zerrinnt, mußten von der Kirche zwingend als häretisch und ketzerisch gebrandmarkt und mit allen Mitteln verfolgt werden. Dem nach natürlicher Freiheit strebenden germanischen Geist mußte dies von Grund auf zuwider sein, womit ein erster Sargnagel in das abendländische Christentum getrieben wurde. Dessen heutige faktische Abschaffung ist die letzte Konsequenz des Aufräumens mit unzureichenden Glaubensgrundlagen. Damit ist aber wohl jegliches Mittel abhanden gekommen, für die Masse eine religiöse Erneuerung und damit eine Renaissance des Abendlandes einzuleiten. Denn jeder Ansatz muß auf das allgemeinzugängliche Christentum zurückgreifen. Alternative Entwürfe, derer es genügend gibt, bleiben stets nur auf kleine Gruppen beschränkt, entfalten keine Breitenwirkung. Ich sehe derzeit keinen Weg aus diesem Dilemma...

So, damit habe ich den Bogen mal wieder längenmäßig überspannt. Im Grunde habe ich diesen Komplex aus Sicht des Themas Schauungen/Prophezeiungen schon mehrmals im Weltenwendeforum beleuchtet. Hier ausgewählte meiner „Gebetsmühlen“ in chronologischer Reihenfolge:

Die Bibel kein Gotteswort
Apokalypse, magisches, antikes und faustisches Weltgefühl
Kulturelle Unvereinbarkeit
Kulturfremde Endzeitmythologie
Verbreitung des Christentums in fremde Kulturkreise
Magisches Denken
Zeichen der Endzeit und magisches Weltempfinden
Antichrist und Entrückung als kulturfremde Motive
Endzeitprophetische Motive und „der letzte Akt eines göttlichen Weltdramas“
Verwirklichung religiöser Vorstellungen und „Unmöglichkeit“ der Endzeit
“Endzeit“ und goldenes Zeitalter

Gruß
Taurec

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„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh’ zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


Weltenwende


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