Ich bin da nah bei Ihnen

Diogenes Lampe, Freitag, 14.09.2018, 21:48 (vor 2048 Tagen) @ nereus5790 Views
bearbeitet von unbekannt, Freitag, 14.09.2018, 21:57

Hallo nereus,


Wie immer man seine Fähigkeiten bewertet, er hat mitunter eine Art, die
mich zumindest besorgt macht.

Mich auch. Ich habe das mit Narzissmus beschrieben, um mich nicht klarer ausdrücken zu müssen. Hybris wäre dann das fortgeschrittene Stadium von dem, was ich jetzt noch Selbstbeweihräucherung nennen will.

Leute wie Curio sind mir lieber, und wie ich finde, auch reifer und so letztlich in ihren Reden effektiver, weil sie ihre Person nicht ins Zentrum ihrer Reden stellen, sondern den Inhalt. Aber auf der Straße, auf großen Plätzen vor großen Menschenmassen ist Jahrmarkt gefragt, und dafür ist Höcke sicher der bessere Marktschreier für die AfD. Und die braucht es eben auch, wenn man Volkspartei sein will.

Ich habe ihn zweimal live gesehen und die lauter werdende Stimme und die
fast singenden, lang gezogenen Worte wurden mir ein wenig unheimlich,
obwohl die Umstehenden das eher als aufmunternd (oder gar aufpeitschend)
empfanden.
Ich verließ die Veranstaltungen mit einem merkwürdigen Gefühl.
Er hatte nichts Falsches gesagt, aber wie er es gesagt hat, hat mir nicht
gefallen

Mir wäre es da wie Ihnen gegangen. Wenn ich schon dieses „Höcke! Höcke! Höcke!“ brüllen höre, dann bleiben auch mir nur noch merkwürdige Gefühle. Denn:

Die Quantität Lärm, die Jeder unbeschwert vertragen kann, steht wirklich in umgekehrtem Verhältnis zu seinen Geisteskräften und kann als das ungefähre Maß derselben betrachtet werden. Schopenhauer

Ich höre mir auch nur noch selten Reden von ihm an, weil sie mich inzwischen wirklich inhaltlich langweilen. Das sind nur endlose Variationen zum selben Thema und sollen eben nur Stimmung machen.

Erlösung oder Erlöser sind gute Stichworte.
Ich weiß nicht, ob er in seiner Ausdrucksweise eher Mitte des 19.
Jahrhunderts zu verorten ist, wo Burschenschaften leidenschaftlich ums
Vaterland rangen, wir dort aber über keine Audio-Mitschnitte verfügen,
oder er mehr ins 20. Jahrhundert paßt, wo auch Massen bewegt werden
konnten.

Wie auch immer. Was mich aber noch stutziger macht, ist die Sentimentalität, die ich oft hinter seinem künstlichen Tonfall wahrnehme. Wenn er über "sein Volk" spricht, hat das oft was von Projektion. Die projeziert schließlich auf die Leute das eigene Selbstwertgefühl. Das ist dann nicht einmal mehr ein Jahrmarkt der Eitelkeiten sondern ein Festival des Selbstmitleids.

Und er hat leider auch kein Gefühl dafür, dass er damit seine Zuhörer klein macht. Wenn sich einer vor mich hinstellt und was von „mein Volk“ erzählt, dann ist das eigentlich impertinent. Ich bin nicht „sein Volk“! Er ist schließlich kein König.


Hier wäre meine Frage, ob diese Leidenschaften auch wirklich eingefangen
werden sollen?

Jeder Machtpolitiker sollte immer beides können. Je nach Erfordernis. Das hat ja Chemnitz gezeigt. Das ist eine zentrale Machttechnik, um Massen zu führen und gleichzeitig sicher vor ihnen zu sein.

Er wäre nicht der erste Agitator, der ggf. auf der Payroll anderer
Kräfte steht, deren Strategie es war, die Leute aufeinander zu jagen.

Das glaube ich in seinem Fall nicht, obwohl die Gefahr besteht, dass er das dennoch ungewollt auslösen könnte. Ich denke, seine Funktion in der AfD war von Anfang an, durch gezielte aber vor allem genau berechnete Provokationen die Partei als nationale Partei auf eine immer breitere Volksbasis zu stellen. Z.B., indem er im öffentlichen Raum den politischen Gegner durch das Aufbrechen der Political correctness aus der Reserve lockt und so den gesellschaftlichen Diskurs nicht nur erweitert, sondern mitbestimmt. Das ist ihm auch als wichtigste Reizfigur der Linken sehr gut gelungen.

Vergessen wir nicht, dass sich Lucke und Henkel aber auch Petry und ihr Pretzell immer wieder dem Merkelmainstream im "Kampf gegen rechts" anbiederten. Stichwort Presseball.

Da hat er tapfer gegengehalten. Die AfD wäre heute sicher nicht so breit aufgestellt ohne ihren "Rechtsaußen". Weder eine Alice Weidel noch ein Jörg Meuthen hätten diese Partei groß machen können. Nicht, weil sie dazu intellektuell nicht fähig sind, sondern weil es ihnen am erforderlichen Charisma mangelt. Das sind eben „nur“ kluge Köpfe, die aber auch enorm wichtig für die Partei sind, weil sie letztlich die Verbindung in jene höheren Machtetagen pflegen, welche die AfD gerade zu dem macht, was sie jetzt ist: Merkels Untergang und demnächst Regierungspartei. Weidel und Meuthen und auch Gauland sind bildlich gesprochen quasi die ehrenwerten Senatoren und Höcke übernimmt die Rolle des Volkstribunen, ist also verbal für die weniger Feingeistigen zuständig.

Ich möchte ihm nichts unterstellen, aber wenn man sich über 2 Jahrzehnte
mit Geopolitik beschäftigt hat, sieht man sehr viele Fliegen an der Wand.

Geht mir so ähnlich. Und ich bin weit davon entfernt, Herrn Höckes Panegyriker zu werden.


Ich sage es mal so.
Ich kenne Herrn Höcke nicht persönlich.
Aber ich habe mindestens zweimal in meinem Leben in der DDR die Erfahrung
gemacht, das ausgerechnet die Leute, denen ich sehr vertraut habe, sich
später als Stasi-Spitzel entpuppten und das hat mich tief getroffen, auch
wenn ich selbst keine größeren Nachteile durch sie erleiden mußte.
Seitdem vertraue ich Niemandem mehr (hinsichtlich Politik oder Geschäft),
weil dieser gesellschaftliche Maskenball nie abgesagt wurde – bis heute
nicht und vermutlich gehört das auch dazu.

Vertrauen beruht auf Erfahrung oder ist ein Vorschuß. Ich vertraue keinem Politiker. Auch nicht Herrn Höcke. Nur Menschen, die ich persönlich sehr gut kenne und die mir dazu Anlaß geben.

Ich kann in Bezug auf Politiker letztlich aber nur auf das Vertrauen meiner eigenen Urteilskraft setzen, wenn ich, wie Sie, solche Leute mit meinem Erfahrungsschatz beobachte. Aber darum geht es letztlich: Wie schätzen wir gebrannten Kinder ihn aufgrund der Früchte seiner Werke ein, die wir von ihm zu erwarten haben. Denn die treffen uns ja womöglich unmittelbar. Wie treffen bei ihm Anspruch und Wirklichkeit aufeinander? Wie geht er damit um?


Möglicherweise haben sie recht und ich irre mich, weil ich unter einer
etwas hartnäckigen Paranoia leide.

Das ist dann aber eine sehr gesunde Paranoia. <img src=" />


Das ist auch so ein Punkt!
Bachmann ist für mich ebenso ein spezieller Fall obwohl er durchaus
einiges bewegen kann.
Doch ich erinnere an den Zwist zwischen ihm und Tatjana Festerling.
Ob hier nur zwei Alphatiere aufeinander prallten oder es hier andere
Hintergründe gibt, kann ich nicht sagen, aber sind zumindest Dinge, die
man zur Kenntnis nehmen sollte.

Dass Bachmann V-Mann ist, davon bin ich aufgrund seiner skurrilen Vergangenheit immer ausgegangen. Zur Gewissheit wurde es mir, als er nach dem Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt als erster Informationen über den Täter in die Öffentlichkeit streute. Noch vor den Sicherheitsbehörden. Aber auch das Herausdrängen der Tatjana Festerling hatte da schon so ein Geschmäckle. Vor allem aber der Name Pegida selbst. Für eine Volksbewegung zuviel Religion für meinen Geschmack.

mfg DL


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