Formlose und formelle Gewalt

nemo, Mittwoch, 05.09.2018, 02:15 (vor 2032 Tagen) @ Silke2286 Views
bearbeitet von nemo, Mittwoch, 05.09.2018, 03:06

Hallo Silke,

wir haben uns vollkommen von einer moralischen Sichtweise unserer Handlungen entfernt. Der besiegte Feind war unterlegen und eine moralische Sichtweise hätte zur Folge, den unterlegenen Gegner nach seiner Niederlage in Ruhe zu lassen. So wie man einen Menschen, der kampfunfähig am Boden liegt, nicht noch mit Füßen tritt.

Nur ein gewissenloser Herrschaftsanspruch, der mit Gewalt durchgesetzt wird, erschafft Abhängigkeit, Sklaverei und Unterdrückung.

Das ist wichtig zu verstehen, weil das ist formelle Gewalt.

Formlose Gewalt ist der Zwang hinein in ein Deutungssystem. So wie das Christentum überall auf der Welt, Menschen in ihr Deutungssystem gezwungen hat. Das Deutungssystem beginnt mit der richtigen Sprache und der korrekten Verwendung von Begriffen, die dem Deutungssystem entsprechen.

In diesem Sinne kann ein Schamane aus dem Regenwald über den Geist des Menschen sprechen und damit Gott sehr nahe sein. Aber leider spricht er die falsche Sprache – eben nicht im Deutungssystem der Christen – und muss deswegen sterben.

Was tun nun die Eingeborenen aus dem Regenwald? Sie schwören in Todesangst, den Gott der Christen anzubeten, obwohl sie überhaupt nicht verstehen, was dieser Gott ist und wofür er steht. Das ist formlose Gewalt.

Dieses Prinzip kann man auch auf den Kapitalismus bzw.. Debitismus anwenden. Aus verschiedenen Quellen wird ersichtlich, dass der Zwang zum Wirtschaften mit dem Zwang zum Christentum einher ging. Die Kirche war eben nicht nur ein Glaubenssystem, sondern auch von vorne herein ein Wirtschaftsmodell, das Abgaben verlangte und Vorschriften machte. Auch der Kommunismus war ein System, das auf formloser Gewalt beruhte. Durch permanente Einschüchterung, Propaganda und Erziehung wurde den Menschen ein Glaubenssystem aufgezwungen. Jeder der gegen dieses System aufbegehrte war ein Feind des Kollektivs. Dadurch entstand ein innerer Zwang, sich dem Kollektiv anzupassen. Das geschieht heute wieder. Ganz ohne äußerliche Gewaltanwendung fügen sich die Menschen in ein System, weil sie andernfalls vom System ausgestoßen werden und auf sich selbst gestellt sind.

Sobald die formlose Gewalt nicht mehr akzeptiert wird, egal ob in politischer oder religiöser Hinsicht, beginnt die formelle Gewalt zwischen Herrschaft und Unterdrückten.

Gruß
nemo


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