Noch einer, - betreff Auswandern (eine sehr persönliche Sichtweise)

helmut-1, Siebenbürgen, Sonntag, 26.08.2018, 20:56 (vor 2041 Tagen)6852 Views
bearbeitet von unbekannt, Sonntag, 26.08.2018, 21:00

Hab das zwar schon in einem anderen Forum geschrieben, diesen Artikel, aber ich weiß, dass auch hier einige Leser/Kommentatoren dabei sind, die auch ausgewandert sind. Schadet deshalb nichts, das auch hier zu bringen.

Auufhänger war der Artikel von Frau Herman, deren Ansichten ich schon irgendwie schätze, und deren Äußerungen mich zum Nachdenken gebracht haben.

https://www.eva-herman.net/auswandern-verrat-an-der-heimat/

Denke, man sollte diesen Artikel erst lesen, um meine Ansichten zu verstehen. Denn danach habe ich meine Meinung dazu verfasst:

Auswandern – Verrat an der Heimat?

Eine gute Frage. Das zu analysieren, da muss man schon tiefer ansetzen. Es stellt sich erstmal die Frage, was man unter dem Begriff Heimat versteht, - da gibt es unterschiedliche Interpretationen darüber.

Ich persönlich definiere den Begriff Heimat folgendermaßen:
Fälschlicherweise setzen viele den Begriff „Heimat“ gleich mit dem Begriff „Zuhause“. Das ist falsch. Zuhause kann ich an vielen Orten der Welt sein, kann mich dort mit Freunden und Bekannten wohlfühlen, ich kann Gefallen an der Gegend finden, und noch so manches mehr. Heimat aber hat man nur eine.

Heimat erwirbt man in der Regel nur durch einen eindeutigen Vorgang, nämlich durch die Geburt. In seltenen Fällen kann man die Heimat auch durch Heirat erwerben, aber das ist schon die Ausnahme.

Wie erwirbt man aber eine andere, eine neue Heimat, wenn man sich mit der alten Heimat nicht mehr identifiziert oder sie verloren hat? Früher gabs die Möglichkeit durch Feuer und Schwert, also durch Eroberungen. Das ist Gottseidank vorbei. An diese Stelle ist aber etwas anderes getreten: Das persönliche Engagement. Ich kann mir diese neue Heimat dadurch erwerben, indem ich mich für dieses Land/seine Menschen/seine Kultur/seine Interessen in einer Intensität engagiere, bis mich dieses Land als einen Teil seiner selbst anerkennt.

Sowas kann viele Jahre dauern, auch Jahrzehnte. Letztlich aber führt es zur entscheidenden Frage, die ich immer wieder vielen Leuten gestellt habe, die aus anderen Ländern nach Österreich oder Deutschland gekommen sind. Oftmals habe ich gefragt, wie es ihnen so gefällt, - und die Antwort war meistens ähnlich: Ja, es ist schön, wir haben alles, was wir brauchen, alles ist so sauber, die Leute sind nett, usw.

Aber dann kommt meine spontane Frage, die diese Einwanderer oft unvorbereitet trifft: „Willst Du auch hier begraben werden?“ . Da zögern viele mit der Antwort, - viele weichen dann aus, oder wissen keine Antwort darauf. Für mich ist das aber ein eindeutiger Indikator. Dort, wo ich auch begraben werden will, habe ich meine Heimat. Entweder meine angestammte, oder eine neue Heimat, mit der ich mich identifizieren kann.

Man bekommt keine „neue Heimat“, indem man jemanden die dazugehörige Staatsbürgerschaft überstülpt. Dadurch wird sich niemand mit dieser neuen Heimat identifizieren, - das beste aktuellste Beispiel war der Fall Özil.

Was viele außer acht lassen, ist die Problematik des Verlustes der Heimat. Nur derjenige, der seiner Heimat den Rücken gekehrt hat, kennt den Spruch: Die Heimat ist mir fremd geworden, aber die Fremde ist mir nicht zur Heimat geworden. Dabei hat kurioserweise derjenige, der seine Heimat verlassen musste (z.B. Krieg, Vertreibung, etc.) noch eine bessere Ausgangssituation als derjenige, der sie freiwillig verlassen hat.

Der Vertriebene kann und wird immer sagen, - ich wäre ja heute noch in meiner Heimat, wenn man nicht vertrieben hätte. Derjenige, der die Heimat aus eigenem Antrieb verlassen hat, kann immer nur sich selbst die Schuld dafür geben. Viele zerbrechen auch an dieser Schuld. Aus naheliegenden Gründen und aufgrund meiner damaligen Kontakte zu Vertriebenen in Deutschland kenne ich viele Einzelschicksale der Deutschstämmigen aus Siebenbürgen. Die Selbstmordrate dieser Leute, die nach Deutschland ausgewandert sind, ist und bleibt ein Tabuthema, über das man nicht spricht......

Nun aber zur Gegenüberstellung des Titels „Auswandern – Verrat an der Heimat?“. Natürlich kann ich das nur aus meiner persönlichen Sicht bewerten; aber es ist als Betroffener sehr schwer, hier über den berühmten Tellerrand drüber zu sehen.

Ich bin eigentlich zweimal ausgewandert. Als gebürtiger Wiener verbrachte ich die ersten zwei Jahrzehnte meines Lebens in meiner Vaterstadt, absolvierte den Militärdienst und erkundete „die Welt“. Genauer gesagt, überwiegend Skandinavien. Dann blieb ich in Deutschland hängen, machte in Stuttgart-Hohenheim in meinem Beruf meinen Abschluss und lernte in dieser Zeit meine erste Frau kennen. Heirat und zwei Kinder folgten danach. Aus verschiedenen Gründen, auf die ich hier nicht eingehen will, trennten wir uns, nachdem die Kinder groß waren und Abitur sowie Lehre abgeschlossen hatten.

Später lernte ich meine jetzige Frau kennen, eine Rumänin, auf einem Besuch in Siebenbürgen. Nach dem Fall des Kommunismus zog sie zu mir nach Deutschland, wo unser Jüngster geboren wurde. Danach stellten wir uns die Frage, was wir in Zukunft weiter realisieren wollten. Sie als Rumänin genauso wie ich als Österreicher in der Fremde, sollten wir bleiben oder weggehen, - aufgrund eines Rates eines mir bekannten Volksschuldirektors in Deutschland fiel die Wahl auf Siebenbürgen.

Der Direktor meinte, - wenn ich was Optimales für unser Kind erreichen will, dann sollte ich mir eine deutsche Auslandsschule suchen. Die Strukturen waren in der Heimatstadt meiner Frau noch vorhanden, und so wurde das in die Tat umgesetzt. Die Erwartungen, besonders was unseren gemeinsamen Sohn betrifft, sind übrigens zur Gänze aufgegangen. Soviel zum Werdegang.

Die Frage steht im Raum, wie man sich als jemand, der die Heimat hinter sich gelassen hat, fühlt. Als ich von Wien weggegangen bin, faszinierte mich die in Deutschland übliche Praxis, jemanden nur nach der Leistung zu beurteilen und diese auch so zu vergüten. Es spielte keine Rolle, ob man groß oder klein, dick oder dünn war, auch die in Österreich damals noch übliche Mentialität des „Herrn Hofrates“ kannte man in der neuen Umgebung nicht.

Dazu waren die 70er Jahre die legendäre Aufbruchsstimmung in Europa, man verdiente sein Geld mit beiden Händen, - oftmals mehr, als man ausgeben konnte. Klar fuhr man am Anfang noch zum gewohnten Frisör nach Wien, um die Haare zu schneiden, - aber die Besuche in der Heimatstadt wurden mit der Zeit weniger. Man lebte sich ein, es ging nicht nur mir so, sondern auch meinen Kommilitonen aus Wien, die so wie ich in Deutschland lebten. Die familiäre Bindung bewirkte noch ein Zusätzliches, - dazu kam die Einbindung in Vereinen, mein Engagement in der Jugendarbeit, etc.

Allerdings kam dann mit der Zeit ein seltsames Gefühl auf, wenn man dann doch wieder heimgefahren ist, gewissermaßen auf Besuch. Man ging durch Straßen, in denen man als Kind gespielt hat, und kommt sich fremd vor. Dort, wo man früher die Milch gekauft hat, ist nun ein PC-Laden, - wo der Schuster war, ist ein Sex-Shop, der Laden vom Frisör ist geschlossen, usw.

Es machte sich ein seltsames Gefühl der Wehmut breit, - man fühlte, dass man in der Stadt, in der man geboren wurde, plötzlich fremd ist. Natürlich hatte man einen kleinen Ersatz in den Menschen gefunden, mit denen man in Deutschland verbunden war, - aber es blieb ein Defizit. Das bestand hauptsächlich darin, dass ich zum Land, zum Boden, zur sprichwörtlichen Scholle nie einen Bezug aufbauen konnte.

Ich erinnere mich noch gut daran, als wir dann begannen, den Umzug von Deutschland nach Rumänien vorzubereiten. Auch hier war viel Wehmut spürbar, - aber in erster Linie, was den Abschied von den vielen Freunden und Bekannten betraf, die man in diesen drei Jahrzehnten gewohnt war. Klar wurden da auch mal die Augen feucht, - aber immer nur, was die Menschen betrifft, - das Land selbst stellte für mich kaum was dar.

Anders ging es mir in Siebenbürgen. Nicht nur, dass ich schon lange vor dem endgültigen Umzug eine seltsame Art der Affinität spürte, die ich mir nicht erklären konnte, - das Land und die Leute sprachen mich einfach an. Es kam mir vor, - sofern man an die Reinkarnation glaubt – dass ich in früherer Zeit schon mal hier gelebt hätte. Klar war die Sprache anfangs eine Barriere, - aber durch das Latein damals auf dem Gymnasium kam ich schnell hinein.

Oftmals habe ich mich gefragt, was mich eigentlich an diesem Land so fasziniert. Eine mögliche Erkärung wäre, dass man in diesem Land kaum etwas Lauwarmes bemerkt. Entweder ist es heiß oder kalt. Genauso war mein bisheriges Leben. Entweder war ich oben oder unten, - in der Mitte nur selten.

Nach nunmehr 15 Jahren in diesem Land stellte ich mir natürlich auch die Frage, die ich in Deutschland anderen gestellt habe, - nach der letzten Ruhestätte. Ja, ich möchte auch hier begraben werden, ich fühle mich hier daheim. Ob mich irgendwann das Land als zugehörig akzeptiert hat, wird sich dann herausstellen, wenn ich von dieser Welt abtrete. Die Leute, mit denen ich Umgang habe, die Nachbarn, etc. – haben mich schon lange als einer der ihren akzeptiert. Als Musiker singe ich auch einige rumänische Lieder. Jemand meinte dann, - er hätte schon so manchen Ausländer rumänisch singen gehört, aber bis jetzt noch niemanden, der so wie ich mit „rumänischer Seele“ singt.

Was dafür verantwortlich war, - ich weiß es nicht so ganz. Fest steht, dass ich mich hier freier fühle, als es in Deutschland der Fall war. Die Meinungsfreiheit- gerade politischer Art – ist hier noch vorhanden, die Reglementierung durch Brüssel bemerkt man nur am Rande, wenn sie nicht ohnehin ignoriert wird. Hier schlachte ich noch mein Schwein selbst in unserm Hof, ich hole mir die unbehandelte Milch direkt vom Bauern, ich brenne meinen eigenen Schnaps, verwende nach wie vor meine Glühbirnen auch im 100 und 150W Bereich, ohne mich mit Quecksilber vergiften zu müssen. Alles Dinge, die in Deutschland nicht mehr möglich sind.

Was aber wesentlich ist, - hier in der Diaspora gilt das Deutschtum noch etwas. Es ist zwar auch eine Verpflichtung, - weil man von einem Deutschstämmigen eine höhere und qualitativ bessere Leistung erwartet, - aber man lebt das Deutschtum wesentlich bewusster als in Deutschland. Eine Interpretation in der Art, - „ja, ich bin Deutscher, aber ich kann nichts dafür“, ist hier fremd. Dazu kommt die Erkenntnis, dass man als Österreicher, als Deutscher, als Schweizer und natürlich als deutschstämmiger Siebenbürger klar definierbare Gemeinsamkeiten hat. Diese haben hier eine nachvollziehbare Bedeutung, und man realisiert die Bedeutung des 3. Oktober genauso wie des 26. Oktober, - obwohl das eine offiziell nur Deutschland und das andere Österreich betrifft.

In der letzten Zeit kommt natürlich auch die Immigrationspolitik als Argument zum Tragen. Zumindest für viele, die aus Deutschland oder Österreich hier in Siebenbürgen Anwesen kaufen und sich hier niederlassen. Die meisten haben keinerlei Wurzeln in diesem Land, - aber den gemeinsamen Wunsch, ihre Rente und ihren Lebensabend hier zu verbringen. Sie finden es als befreiend, wenn es hier keine Moscheen und keine Kopftücher gibt. Dazu ist die Kriminalität gerade hier in der Provinz auf dem untersten Level, - was bewirkt, dass man auch nachts ohne Angst alleine durch die Straßen gehen kann, auch als Frau.

Nun zur Überschrift, - ob es ein Verrat an der Heimat ist, wenn man auswandert. Es wäre ein Verrat, wenn es starke Kräfte geben würde, die sich gegen die Vorgabe von oben stellen würden. Tatsache aber ist, dass die Pfarrerstochter im Vergleich zu den anderen Parteien immer noch die meisten Stimmen bei der Wahl bekommt, - und genau das erinnert an 1933. Die zunehmende Beschneidung der Meinungsfreiheit und Verunglimpfung von Andersdenkenden mit Worten wie „braunes Gesocks“ etc., nur einfach deshalb, weil sie mit der Regierungsrichtung nicht einverstanden sind, das gibt zu denken.

Es ist dasselbe Denken wie in der Nazi-Diktatur, nur andersrum. Aber es ist eine gefährliche Richtung, die da eingeschlagen wird. Das Problem dabei ist, dass nur wenige des Kaisers neue Kleider erkennen und danach handeln. Dem stellt man gerade als Familienvater gegenüber, was man denn als optimale Ausgangsbasis für die Zukunft der Familie bieten kann. Es sind sicher noch viel mehr Überlegungen, die jemanden zur Auswanderung bewegen, - aber in dieser Richtung findet man die überwiegenden Argumente.

Schließlich gibt es einen Gebetsspruch von Franz von Assisi, der auch bei uns im Esszimmer hängt, der da lautet:

„Herr, gib mir die Kraft, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, gib mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann und gib mir die Weisheit, zwischen diesen beiden Dingen zu unterscheiden.“

Vielleicht noch zu einer abschließenden Überlegung, - nämlich zu der Frage, ob ich dasselbe nochmal machen würde, wenn ich die Wahl hätte, - nämlich nach Rumänien zu übersiedeln. Die Antwort ist für mich klar: Ja, ich würde es wieder tun, nur würde ich in Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten vieles anders machen. Aber ich denke, das geht jedem so, der mal ausgewandert ist.


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