Das schöne Paris einst und heute

Tempranillo, Freitag, 22.06.2018, 16:45 (vor 2107 Tagen) @ Tempranillo3691 Views
bearbeitet von unbekannt, Freitag, 22.06.2018, 17:30

*Ein Hauch von sehr viel Sodom und Gomorrha während des Fests
der Musik im Élysée am Dienstag, 21. Juni 2018.*

1901 konnte man in Paris einen Hauch von München, Bayern und Pschorr-Bier spüren.

Claude Debussy über Richard Strauss:

Till Eulenspiegel:
"Dieses Stück gleicht 'einer Stunde neuer Musik bei den Verrückten': Die Klarinetten vollführen wahnsinnige Sturzflüge, die Trompeten sind immer verstopft, und die Hörner, ihrem ständigen Niesreiz zuvorkommend, beeilen sich, ihnen artig 'Wohl bekomm's!' zuzurufen; eine große Trommel scheint mit ihrem Bum-Bum den Auftritt von Clowns zu unterstreichen.

Man hat gute Lust, lauthals rauszulachen oder todtraurig loszuheulen, und man wundert sich, daß noch alles an seinem gewohnten Platz ist, denn es wäre gar nicht so verwunderlich, wenn die Kontrabässe auf ihren Bögen bliesen, die Posaunen ihre Schalltrichter mit imaginären Bögen strichen und Herr Nikisch sich auf den Knien einer Platzanweiserin niederließe.

Das alles sagt nichts dagegen, daß das Stück geniale Züge besitzt, vor allem eine außerordentliche Sicherheit in der Orchesterbehandlung und eine unbändige Bewegung, die uns von Anfang bis Ende mitreißt und zwingt, alle Streiche des Helden mitzuerleben.

"Natürlich ist die Kunst von Strauss nicht immer von einer so betonten Phantastik, aber er denkt gewissermaßen in farbigen Bildern und scheint die Linienzüge seiner Ideen mit dem Orchester nachzuzeichnen.

Das ist ein nicht alltägliches und selten angewandtes Verfahren; außerdem gelingt es ihm dabei, die musikalische Entwicklung auf eine ganz persönliche Weise zu gestalten. Dies ist nicht mehr die strenge und architektonische Art eines Bach oder Beethoven, wohl aber die Entwicklung von rhythmischem Kolorit. Er stellt die entferntesten Tonarten völlig ungerührt übereinander und kümmert sich nicht darum, ob sie die Ohren 'beleidigen' könnten, sondern verlangt von ihnen Lebendigkeit und nichts als Lebendigkeit."

Hundertmal interessanter als die arschwackelnden Ne... aus Louvre und Élysée:
https://www.youtube.com/watch?v=7MUxlt9_lnQ

John ROBINSON: *A "matter-of-factly--straight-as-an-arrow"--not a single smile on his face---meanwhile the orchestra is "playing like crazy"----in a word---INTERESTING!!!!!!* [[top]]

Ein Heldenleben:
"All diese Eigentümlichkeiten sind im Heldenleben, einer Symphonischen Dichtung, die Strauss zum zweiten Mal in Paris dirigierte, auf ihren Gipfelpunkt getrieben. Mag man sich auch für gewisse gedankliche Ausgangspunkte, die das Banale streifen oder eine übertriebene Italianità bekunden, nicht erwärmen, so ist man doch sehr bald von der wunderbaren orchestralen Vielfalt gefangen, dann aber auch von der rasenden Bewegung, die einen mitreißt, solange Strauss es will.

Man hat nicht mehr die Kraft, seine Empfindung zu überprüfen, man merkt nicht einmal, das diese Symphonischen Dichtungen das Maß an Geduld überschreitet, das man solchen Stücken üblicherweise entgegenbringt.

Noch einmal, das ist ein Bilderbuch, das ist sogar Kino . . . Aber man muß doch sagen, daß der Mann, der mit einer so beharrlichen Zielstrebigkeit ein Werk wie dieses geschaffen hat, sehr nahe am Genie ist."

Tod und Verklärung:
"Tod und Verklärung besitzt zwar nicht die glänzende Sicherheit des Till Eulenspiegel, nicht die leidenschaftliche Großsprecherei des Don Juan, dennoch enthält das Werk Formeln, die Strauss teuer geblieben sind, auch wenn er sie später verfeinert hat.

Zu Beginn weht uns dumpfe Grabesluft entgegen, in der sich unruhige 'Schatten' zu bewegen scheinen; die Seele liegt in harten Kämpfen und strebt mit allen Kräften, sich von dem armen Leib zu befreien, der sie noch an die Erde fesselt.

Aber da singt eine Oboe eine Kantilene mit italienischen Wendungen. Man versteht nicht sofort warum, weil man nicht gleich an die zahllosen, so geheimnisvollen Seelenwanderungen gedacht hat. Wenn man im übrigen verstehen wollte, was in einer Symphonischen Dichtung vorgeht, dann würden am besten keine geschrieben. [...] In Tod und Verklärung scheinen bestimmte Partien deshalb ein wenig leer, weil sie den Erwartungen des Titels nicht gerecht werden. Daran trägt niemand Schuld, auch Richard Strauss nicht, der eines der eigenständigsten Genies unserer Zeit ist."

Debussys Rezensionen finde ich phänomenal. Vieles hätte ich erwartet, aber das nicht. Mir gefällt enorm, daß der Nationalismus des Fundamentalfranzosen Debussy Grenzen kannte und er wußte, wann die üblichen Vorbehalte und Vorurteile pausieren müssen.

Wäre Debussy ein aufgeblasener und bornierter  Depp gewesen wie so viele BRDlinge, hätte er bei Richard Strauss teutonisches Bierfaß-Pathos festgestellt, wilhelminischen Schwulst sowie eine in Töne gesetzte Entsprechung zu Kaiser und Bismarck. *Wäre der Dirigent mit Pickelhaube aufs Podium gekommen, hätten wir, begleitet von deutschem Militarismus für großes Orchester einen neues Sedan erlebt.*

Aber nichts von alledem lesen wir bei dem gelegentlich sehr scharfzüngigen und boshaften Debussy, dessen Schaffen zu dem seines Kollegen Strauss den denkbar schärfsten Gegensatz darstellt. Sehr viel stärker als beispielsweise bei Gustav Mahler. 

Wo man einen knalligen Verriß erwarten würde,  bekommen wir Rezensionen vorgesetzt, die man wegen ihrer Klarheit und unvoreingenommenen Beobachtungsgabe nur bewundern kann. Die Verbindung von Richard Strauss und Kino ist einfach nur genial und wäre im übrigen ein Hinweis, wo man ansetzen könnte, um an Strauss' Orchesterwerken Kritik zu üben.

Wem, außer Debussy und Verdi wäre bei Richard Strauss  je italienische Einflüsse aufgefalllen und damit auch etwas sehr Bayerisches und Münchnerisches?

Der "Nazi" Strauss war bei weitem weltoffener und multikultureller als die heutigen Vertreter von Multi-Kulti, schrankenloser Massenimmigration und radikalem Antifaschismus.

Es wäre sogar noch ein weiterer sehr wichtiger Einfluß zu nennen, der französische. Strauss' Orchesterwerke gehören fast ausnahmslos zur Gattung der sinfonischen Dichtung, die auf wen zurückgeht?

Hector Berlioz!

Anfang der 20er Jahre setzte Strauss Klavierstücke François Couperins für Orchester (Tanzsuite), einige Jahre vorher machte er aus  Molières *Der Bürger als Edelmann* eine Suite.

Tempranillo

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*Die Demokratie bildet die spanische Wand, hinter der sie ihre Ausbeutungsmethode verbergen, und in ihr finden sie das beste Verteidigungsmittel gegen eine etwaige Empörung des Volkes*, (Francis Delaisi).


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