Gaby Weber: Das ist Dunkel-Deutschland! (OVG hebt im Prozess gegen Verfassungsschutz das IFG und Bundesarchivgesetz auf)

tradi, Donnerstag, 17.05.2018, 20:22 (vor 2161 Tagen)3380 Views

Aus einer Infomail von Gaby Weber:

Hallo an Alle,

am 15. Mai war vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster die Verhandlung in zweiter Instanz gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wegen meines Antrages auf Einsicht in alle Akten zwischen 1975 bis 83, die sich auf die Militärdiktatur in Argentinien (also auch auf die Solidaritätsgruppen hier) beziehen.

Das BfV argumentiert, dass es nicht ein einziges Blatt dazu herausgeben könne, da es nicht in der Lage sei, dieses Material bei sich im Hause zu finden. Es gebe zwar noch Akten und eine Million Karteikarten, die seien aber nicht digitalisiert und es sei ein „unzumutbarer Verwaltungsaufwand“, dieses Material zu sichten.

In Münster wurde dann erst mal darüber verhandelt, welche Nachrichtenerfassungssysteme das BfV besitzt: das war in den siebzigern NADIS, ab 1984 REGA (schon elektronisch), ab 1996 IBICUS und 2004 kam DOMUS. Die letzte Karteikarte sei 1991 ausgefüllt worden, meinte der Oberregierungsrat Wüst, seit 1983 im Amt.

Es gebe ausserdem eine Excel-Datei über die „unabgeschlossenen Verfahren“ (Start 2000), und einen Aktenplan (seit 1958, VS-Vertraulich). Daneben gebe es noch einen „Einsender-Index“, so die Dame Cordes von der Rechtsabteilung, darin seien die Mitteilungen befreundeter Dienste bzw Behörden gesammelt. Cordes: „Wir haben kein System“ und „Wir sind kein Archiv“.

Nachdem sie sich dies angehört hatten, schlugen die Richter einen Vergleich vor (dann ersparen sie sich nämlich die Arbeit, ein Urteil schreiben zu müssen): Das BfV solle nochmal im Aktenplan und im Einsenderindex nachschauen, ob dort etwas zu Argentinien läge. Vielleicht habe ich ja Glück, wenn nicht, sei damit aber das Verfahren vorbei. Sie meinten, mit einem „Vertrauens-Vorschuss“ für den Verfassungsschutz käme ich am schnellsten ans Ziel …

Ich habe erklärt, dass ich dem BfV keinesfalls vertrauen würde. Es sei unglaubwürdig, dass es über diese 8 Jahre kein einziges Papier gefunden haben will, weder zu den deutschen Verschwundenen Käsemann und Zieschank, noch zu dem von Guerilleros entführten Mercedes-Manager Metz noch zur Solidaritätsbewegung in Deutschland. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass im Falle Adolf Eichmanns das BfV sehr wohl in der Lage gewesen war, mir einen kompletten Aktenordner mit ca. 500 Seiten über das argentinische Nazi-Exil um Eichmann herum zu geben (liegt jetzt im Bundesarchiv), wobei der Fall ja spätestens 1962 mit dem Aufhängen des Nazis abgeschlossen war und an das Bundesarchiv hätte übergeben werden müssen. Es geht also, wenn der politische Wille da ist. Ausserdem habe das Amt auch eine Historiker-Kommission ins Archiv gelassen zwecks des Verfassens eines Berichtes über die Beschäftigung von Nazis im Amt – geht also doch!

Mein Anwalt Raphael Thomas, der zusammen mit Rauna Bindewald wirklich großartig aufgetreten ist, hat daraufhin formell die Hinzuziehung des Aktenplans und des Einsender-Indexes beantragt sowie die Auskunft, welche BfV-Mitarbeiter damals an der Botschaft in Buenos Aires tätig waren. Ggfs. sollten diese neuen Dokumente dem Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vorgelegt werden.

Nach einer kurzen Pause beschied das Gericht, alle Anträge abzulehnen, da sie „unerheblich“ seien. Also, zuerst machen sie einen Vergleichsvorschlag auf genau dieser Grundlage, und dann lehnen sie die Vorlage der Such-Systeme als unerheblich ab. Das ist schon ziemlich dreist.

Am Ende wurde die Klage abgewiesen (schriftliche Begründung folgt später) und Revision nicht zugelassen. Letzteres ist nochmal dreister, weil sie während der Verhandlung meinten, es gebe noch offene Rechtsfragen.

Mit diesem Spruch wird praktisch der gesetzliche Anspruch von Journalisten, Forschern und Bürgern außer Kraft gesetzt: es reicht, dass die befragte Behörde sagt: wir wissen nicht, was wir haben und haben auch nicht vor, für Sie bei uns nachzuschauen, weil wir keinen Bock auf Arbeit haben.

Wir werden jetzt auf Zulassung der Revision beim BVerwG klagen, und wenn das abgelehnt wird, dann gehen wir wieder nach Karlsruhe zum Verfassungsgericht.

Das ist Dunkel-Deutschland!

Herzliche Grüße an Euch und vielen Dank, mich bis hierher unterstützt zu haben. Bitte verbreitet das, wenn Ihr könnt über Eure Netze.

Gaby

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Der Preis der Freiheit ist ewige Wachsamkeit
(Thomas Jefferson)


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