Schimpansen, eine aggressive Spezies?

trosinette, Freitag, 13.04.2018, 10:44 (vor 2177 Tagen) @ Heinz7341 Views

Guten Tag,

der Gedanke, dass der Mensch seiner Natur nach ein friedliches und kooperatives Wesen ist, ist doch eigentlich ganz schön. Ich kann nicht verstehen, wieso sich einige mit Händen und Füße dagegen wehren. Soll damit unser exzessives Treiben legitimiert werden, weil es schon immer so war?

Schauen wir mal unsere nächsten Verwandten an.

Ich kann sie mir nur im Zoo anschauen und da herrscht in der Affenbande meistens lange Weile.

Deshalb muss ich mich auf die Erzählungen anderer verlassen. Z.B. auf Joachim Bauer und sein Buch „Schmerzgrenze: Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt“

Unter dem Kapitel „Schimpansen, eine aggressive Spezies?“ steht geschrieben:

Was ist von Theorien zu halten, die sich in den letzten Jahren um das angebliche aggressive Verhalten von Schimpansen entwickelt haben? Immer wieder wurde und wird über eine angeblich natürliche spontane Aggressivität der Schimpansen berichtet. Auch dies sollte als Argument für eine evolutionär begründete, primär aggressive Natur des Menschen dienen. Ein aggressives Szenario in Schimpansen-Biotopen beschreiben insbesondere Richard Wrangham und Dale Peterson in ihrem bereits erwähnten Werk »Demonic Males«. Als Begründung dienten ihnen Berichte aus afrikanischen Schimpansenreservaten, die unter enger menschlicher Beobachtung und Betreuung stehen.

Robert Sussman und Joshua Marshack wiesen kürzlich darauf hin, dass einige, wenn nicht gar die meisten in »Demonic Males« geschilderten Vorfälle von den Autoren offenbar fabriziert wurden262: So wurde ein tot aufgefundener, unverletzter Schimpanse von Wrangham und Peterson zu einem Mordopfer erklärt, ohne zu berücksichtigen, dass es sich um ein außerordentlich altes Tier handelte, das mit seinen 35 Jahren schon jenseits der durchschnittlichen Lebenserwartung eines Schimpansen von etwa 33 Jahren lag und vermutlich eines natürlichen Todes gestorben war. Ein weiteres tot aufgefundenes Tier wurde von ihnen zum Opfer eines »big fight« erklärt, eines Kampfes also, den jedoch niemand gesehen hatte. Sechs aus einem Reservat verschwundene männliche Tiere wurden von Wrangham und Peterson kurzerhand als getötet erklärt, obwohl keinerlei Hinweise darauf vorlagen und eines der Tiere später an einem anderen Ort lebend gesichtet wurde.

Die Tendenz zu Übertreibungen, die einen biologisch verankerten Aggressionstrieb bei der uns am nächsten stehenden Spezies belegen sollen, ist auffallend. So wurde die Tatsache, dass es in einem etwa 40 Quadratkilometer großen Areal eines Reservats – innerhalb eines Zeitraums von insgesamt 10 Jahren – zu insgesamt gerade einmal 18 Vorfällen kam, in denen Tiere ihre Artgenossen schwer verletzt oder getötet hatten, als Hinweis auf eine allgemeine Tendenz zur tödlichen Aggression zwischen unterschiedlichen Gruppen von Schimpansen interpretiert263. Eine Analyse von Robert Sussman und Joshua Marshack ergab, dass sich innerhalb von Reservaten während insgesamt 215 aufaddierten Beobachterjahren etwa 12 Fälle von Tötungen durch Artgenossen ereignet haben, was unter Berücksichtigung der Gesamtzahl der Tiere statistisch bedeutet, dass ein einzelnes Tier alle 7,5 Jahre einen Artgenossen tötet264. Völlig unklar ist zudem, welche Rolle die Tatsache spielt, dass die Tiere unter menschlicher Obhut stehen.

Die Frage, inwieweit die sich zwischen Menschen und Schimpansen in Reservaten abspielenden Interaktionen einen Beitrag zu aggressiverem Verhalten von Schimpansen leisten, wurde in einem lesenswerten Buch von Margaret Power265 reflektiert. Jane Goodall, die durch ihre Arbeit im afrikanischen Schimpansen-Reservat Gombe international bekannt wurde, hat beim Verhalten der von ihr beobachteten Tiere im Verlauf der Zeit einen Wandel festgestellt, der zu denken geben sollte. In den Anfangsjahren ihrer Forschungstätigkeit, so schrieb sie 1986, seien die Tiere ausgesprochen friedlich gewesen, »weit friedfertiger als Menschen«266. Dies entspricht auch den Schilderungen anderer Autoren. In dieser frühen Zeit wurde sogar beobachtet, dass sich Tiere getrennt lebender Gruppen zu friedlichen Zusammenkünften trafen und dabei regelrechte Grußrituale austauschten267. In späteren Jahren jedoch – inzwischen hatte Jane Goodall in Gombe mit einer kontrollierten und rationierten Fütterung der Tiere begonnen – habe deren Verhalten, so Goodall, ein völlig anderes Bild geboten: »Die konstante Fütterung der Schimpansen hatte einen markanten Effekt auf deren Verhalten. Sie begannen jetzt weit öfter als früher in großen Gruppen umherzuziehen. Am schlimmsten aber war, dass die erwachsenen Männchen zunehmend aggressiv wurden«268. -(DIE INFO FINDE ICH VOLL GEIL!)

Wild lebende Schimpansen sind Gemeinschaftstiere und zeigen in erheblichem Umfang selbstloses und kooperatives Verhalten269. Die Regeln, nach denen Schimpansen aggressives Verhalten einsetzen, sind leider wenig erforscht. Die Lektüre einer amüsanten Schilderung von Charles Darwin, der von einem im Zoo gehaltenen Primatenweibchen berichtete, das wütend reagierte, wenn sich ihr männlicher Wärter zu sehr mit anderen Weibchen der Gruppe beschäftigte270, lässt vermuten, dass die Aggressionsauslöser bei diesen Tieren von denen des Menschen nicht weit entfernt sind. In dem von Darwin berichteten Falle war der Auslöser Eifersucht, also die subjektiv erlebte Gefährdung einer Bindung271. Auch bei den von Jane Goodall beobachteten Schimpansen von Gombe spielten Interaktionen zwischen Mensch und Tieren ganz offensichtlich eine wichtige Rolle für die Veränderung ihres ursprünglich eher friedlichen Verhaltens.

262 Sussmann und Marshack (2010)
263 Mitani, Watts und Amsler (2010)
264 Sussman und Marshack (2010)
265 Power (1991)
266 Goodall (1986)
267 Reynolds und Reynolds (1965); Suguyama (1972).Auch Frans de Waal beschreibt ausgeprägte kooperative und prosoziale Eigenschaften von Schimpansen (und anderen Primaten), auch gegenüber Nicht-Verwandten, insbesondere ihre Bereitschaft zu teilen, Verletzten oder Schwachen zu helfen, traurige Artgenossen zu trösten und Kameraden in Not zu Hilfe zu eilen (de Waal und Suchak, 2010).
268 Goodall (1971).
269 Siehe Boesch und Kollegen (2010) sowie dort zitierte weitere Arbeiten.
270 Darwin (1872), Kapitel 5.
271 Tatsächlich war Darwin, wie seinen Ausführungen in »Über den Ausdruck der Gemütsbewegungen …« (Darwin, 1872) zu entnehmen ist, der Meinung, dass Aggression auch bei Menschenaffen reaktiver Natur ist. Was den Menschen betrifft, so definierte Darwin die Aggression eindeutig als ausschließlich reaktiv. Einen »Aggressionstrieb« sucht man bei Darwin, worauf ich bereits an früherer Stelle hinwies, vergebens (Bauer 2008, 2010).

Mit freundlichen Grüßen
Schneider


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