Danke, @MI und @Tempranillo, für viel schöne Musik, an dieser Stelle aber ...

neptun, Mittwoch, 04.04.2018, 05:04 (vor 2214 Tagen) @ Tempranillo2602 Views
bearbeitet von unbekannt, Mittwoch, 04.04.2018, 05:29

Hi MI und Tempranillo,

... möchte ich mich auch einmal zu Wort melden, obwohl ich das in diesem Faden nicht vorhatte, weil ich die "österliche" Auffassung des Verfassers des Ursprungs-Beitrages so gar nicht teilen kann.

Zunächst einmal Dank Dir, @Tempranillo, für den Link zur liszt'schen Fassung mit den Noten, nun habe ich diese auch endlich. :-)

Dennoch werde ich das vermutlich nicht spielen, was ich im weiteren Verlauf näher begründe.

Sodann auch Dir und @MI danke für viele der anderen schönen verlinkten Musik-Videos.

Zwar möchte ich mich hier nicht so weit aus dem Fenster lehnen zu behaupten, daß Franz Liszt mit dieser Transkription über's Ziel hinausgeschossen sei, denn immerhin bestand eines der wesentlichen Ziele seiner Transkriptionen (neben dem, als Virtuose glänzen zu wollen) darin, die Musik bei seinen Konzertreisen durch ganz Europa auf dem gesamten Kontinent bekannter zu machen, also damals ein durchaus löbliches Unterfangen - man bedenke, daß es damals noch keine musikalischen "Konserven" gab, geschweige denn so etwas wie youtube!

Und Franz Liszt hat tatsächlich neben den damals üblichen Strapazen des Reisens und neben dem Umstand und der Notwendigkeit, daß sogar ein pianistisches Genie wie er regelmäßig üben muß, und vor allem neben seiner Unterrichtstätigkeit für eine sehr große und extrem begabte Klavierklasse (von anderen "Hobbies" will ich hier gar nicht reden) noch die Reserven und die Zeit gefunden, fast zahllose Orchester- und Kammermusikwerke großer Kollegen für Klavier zu transkribieren. Eine zu allen Zeiten (besonders aber wohl auch heute) kaum vorstellbare Leistung!

Bei allem Respekt vor und eingedenk dieser Leistung und diesen(r) Taten wage ich zu behaupten, daß so etwas heute schon ein ziemlicher Anachronismus wäre (wenn auch in vielen Fällen, so z.B. bei den Transkriptionen der Beethoven'schen Symphonien, pianistisch sehr spannend, interessant und herausfordernd).

Speziell bei diesem Stück aber ("Gretchen am Spinnrade") konnte er ein Problem nicht wirklich zufriedenstellend lösen:

Durch die Begleitfigur, welche das Spinnrad imitieren soll, würde bei exakter Übertragung auf zu vielen Takt-Einsen der Melodieton (welcher ja ursprünglich dem Sänger "gehört") in Form einer unschönen Repetition mit der zweiten 16tel kollidieren. Die "Lisztige" Lösung besteht an fast all diesen Stellen darin, den Melodieton, der klar auf die Eins gehört, im Sinne eines rubato oder vllt. auch im Sinne einer von ihm so verstandenen Synkope erst auf die zweite 16tel zu setzen, wo er ja ohnehin im Spinnrad-Klavierpart gespielt werden muß.

Diese "Lösung" ist aber in zweierlei Hinsicht unbefriedigend:
Erstens wird dadurch die schöne Motorik des Spinnrades gestört, und
zweitens "schwimmt" die Melodie in (deutliche erkennbar ungewollter) rhythmischer Ungewißheit.
(Gutes "tempo rubato" ist immer erkennbar gewollt, auch wenn man diesbezüglich durchaus verschiedener Ansicht darüber sein kann, ob das ein "schönes" oder weniger schönes rubato ist.)

Mit letzterem (also dem "rhythmischen Schwimmen") haben die beiden ganz hervorragenden Pianisten, Kissin und Babayan, denn auch ihre große Not, indem sie zumeist instinktiv versuchen, diesen Melodieton doch etwas früher zu bringen, oder aber die jeweilige Eins in der Linken (welche ganz wesentlich auch die Spinnrad-Motorik unterstützt) hie und da nahezu völlig "unter den Tisch fallen" zu lassen.

Wenn ihr mich fragt:
Das Original bringt es deutlich mehr (genauso wie man das z.B. auch von Mussorgski's Bildern einer Ausstellung kennt, gegen deren Klavier-Original die Ravel'sche Orchesterfassung trotz aller Qualitäten des frz. Komponisten klar abfällt), eine gute Sängerin vorausgesetzt.

Sogar zwei so "gestandene" Sängerinnen wie z.B. Kiri Te Kanawa und Jessye Norman bringen es aber meines Erachtens längst nicht so gut hin wie die göttliche Barbara Bonney, die nicht nur extrem sauber (und deutlich sauberer als ihre Kolleginnen!) singt, sondern außerdem auch dort, wo sie im Fluß der Musik emotional über sich hinausgehen muß, dennoch die Modulation ihrer Stimme unter Kontrolle behält. Bei Kanawa und Norman hingegen entwickelt sich (vergleichsweise) an den lauten und hohen Stellen der Ton ihrer Stimmen eher zum unangenehm kreischenden Geräusch. Ausnahmeton bei Kanawa ist das Wort "Kuß" auf dem zweigestrichenen g (g'') in Takt 68, diesen Ton gestaltet sie fast genau so schön wie Bonney.

Also, heutzutage könnte es meiner Meinung nach für Solo-Klavier-Vorträge durchaus angebrachter sein, so schöne liszt'sche Originale wie z.B. den Liebestraum Nr. 3 in As-Dur, ein wunderschönes Nocturne, zu studieren und zu spielen.

LG neptun

PS für @MI:
Etwas Schwierigeres als Opus 25,1 von Chopin konntest Du Dir wohl nicht aussuchen, oder? -- Okay, okay, egal ob Opus 10 oder 25, genaugenommen sind die alle für Normalsterbliche so gut wie unspielbar, Du hast ja recht. <img src=" />
Respekt, wenn Du das hinbekommst! :-)

--
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