Revolutionsetüde

Weiner, Montag, 19.03.2018, 14:13 (vor 2228 Tagen) @ Tempranillo1761 Views

Hallo Tempranillo!

Über Chopin hätten wir jemanden gefunden, mit dem sich viele
innereuropäische Bezüge herstellen ließen:

Es gibt zu dieser Thematik sogar ein Buch von Paul und Maria WELFENS: Der europäische CHOPIN (2010).

Als 1830 in Warschau die Revolution ausbrach, war er gerade in Wien und München, wollte voller Aufregung nach Hause, doch man hat ihm abgeraten und vorläufig Paris empfohlen. Auf der Reise blieb er ein paar Tage in Stuttgart hängen (von wo aus ich schreibe). Der Genius loci hier ist (abgesehen von der Technik) moderat liberal, Stichwort Theodor Heuss, doch gibt es auch einen sehr deutlichen Hang ins Trotzige und Aufsässige. Das reicht von Schillers Räubern bis Gudrun Ensslin und "Stuttgart 21". So ist es einer zeitlichen und örtlichen Überschneidung zu verdanken, dass Chopin hier seine 'Revolutionsetüde' konzipiert hat, vermutlich auch das Scherzo h-moll, das außer im Mittelteil überhaupt nicht 'lustig' klingt.

Die privaten Notizen von Chopin in diesen aufgewühlten Tagen - er hat hier von der Niederschlagung der Revolution erfahren und damit ja seine Heimat verloren - laufen auch unter dem Begriff 'Stuttgarter Tagebuch'. Neues Zuhause fand Chopin in Paris, anfangs nur unter Schwierigkeiten. Doch als er durch Vermittlung polnischen Exilfürsten Radziwill einmal im Salon der Rothschilds vorspielen und die Baronin als Klavierschülerin gewinnen konnte, war seine Existenz in der französischen Hauptstadt finanziell gesichert.

Ich darf nachfolgend zwei LINKs zu Einspielungen der genannten Klavierstücke setzen. Meine Wahl fällt auf Khatia Buniaishvili, weil sie den Horizont dessen zeigt, was es heute heißt, Europäerin zu sein. Sie spricht Georgisch, Russisch, Englisch, Französisch und Deutsch - und spielt Stücke von Bach über Mozart und Beethoven bis zu Grieg oder Rachmanioff mit gleich überragender Kompetenz und Einfühlung. Auch sie hat sich für Paris entschieden. Die Musik von Chopin bezeichnet sie als Opfer einer umherirrenden Seele. 'Genial vergossenes Herzblut' wäre noch treffender gewesen.

K.B.: "Liszt war kein Opfer. Er hatte ein reiches Leben, er war gefeierter Künstler, Lebemann, Lehrer, Dirigent. Das ist bei Chopin anders. Er hatte kein Glück im Leben, er war zu sensibel, um Konzerte zu geben. Und er hat seine Musik eigentlich nicht für andere geschrieben, sondern für sich. Aber gerade dadurch hat er uns sein Innerstes überliefert und ausgeliefert – ohne etwas dafür zu bekommen." *)

https://www.youtube.com/watch?v=ZF3yHxIQBy4

https://www.youtube.com/watch?v=A90tOeBjvCw

Wünsche allen eine gute neue Woche!

Weiner

*) https://www.berliner-zeitung.de/kultur/khatia-buniatishvili--haut-ist-mir-auch-wichtig-...


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