Paulus der Gnostiker

Phoenix5, Sonntag, 18.03.2018, 12:09 (vor 2229 Tagen) @ nereus3688 Views
bearbeitet von unbekannt, Sonntag, 18.03.2018, 12:38

Hallo Nereus,

Du beziehst Dich vermutlich auf den 1. Römerbrief, Kapitel 7 (Der Mensch
und das Gesetz).

Er beginnt zunächst mit dem Hinweis, daß das Gesetz über den Menschen
herrscht, so lange er lebt und führt den Beweis über die verheiratete
Frau, die bei Ehebruch bestraft würde aber nach dem Tod des Mannes vom
Gesetz befreit sei, wenn sie einen neuen Mann begehrt.
Kurz danach sagt er wörtlich:

Denn als wir im Fleisch waren, wirkten die Leidenschaften der Sünden,
die durch das Gesetz (erregt wurden), in unseren Gliedern, um dem Tod
Frucht zu bringen.
Jetzt aber sind wir von dem Gesetz losgemacht, da wir dem gestorben sind,
worin wir festgehalten wurden, so daß wir in dem Neuen des Geistes dienen
und nicht dem Alten des Buchstabens.
..
Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne.
Aber die Sünde hätte ich nicht erkannt als nur durch das Gesetz. Denn
auch von der Begierde hätte ich nichts gewußt, wenn nicht das Gesetz
gesagt hätte: Du sollst nicht begehren.
Die Sünde aber ergriff durch das Gebot die Gelegenheit und bewirkte jede
Begierde in mir; denn ohne Gesetz ist die Sünde tot.
Ich aber lebte einst ohne das Gesetz; als aber das Gebot kam, lebte die
Sünde auf; ich aber starb.
Und das Gebot, das zum Leben (gegeben), gerade das erwies sich mir zum
Tod.
Denn die Sünde ergriff durch das Gebot die Gelegenheit, täuschte mich
und tötete mich durch dasselbe.

Danke! Ja, das ist das Kapitel mit Sprengkraft. Was mich fasziniert ist, wie er ganz klar sagt, dass die Sünde erst mit dem Gesetz in die Welt kommt. Davor gab es sie nicht! Das bedeutet, dass erst das Gesetz die materielle Welt (fleischlich) von der geistigen (göttlich) trennt. Und er sagt auch ganz klar, dass erst das Gesetz - dieses "Nein" zur Fleischeslust - die Begierde weckte, d.h. dass die Abtrennung des Geistes vom Leib, im Letzteren noch stärkere Begierden erregte. Und dann geht es noch weiter: Er trennt den fleischlichen Teil, der ja durch das Höherstreben des geistigen Teils (das er mit seinem Ich identifiziert) noch tiefer nach unten sinkt (sozusagen die Bilanz der Polarität) von seinem Ich ab. Da hat mich auch die Erinnerung getrügt, als ich dachte, er würde vom Hass auf das Gesetz sprechen. Nach nochmaligem Lesen ist das etwas diffiziler:

"Wir wissen: Das Gesetz ist geistlich; ich aber bin fleischlich, verkauft unter die Gewalt (!) der Sünde. Was ich tue, verstehe ich nicht. Denn ich tue nicht, was ich will, sondern was ich hasse, das tue ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann gebe ich dem Gesetz zu, dass es gut ist. Dann handle aber nicht mehr ich, sondern die in mir wohnende Sünde. Ich weiß, dass in mir, d.h. dass in meinem Fleisch, das Gute wohnt. Denn das Gute wollen, dazu bin ich bereit, aber nicht, es auszuführen. Ich tue nämlich nicht das Gute, das ich will, vielmehr was ich nicht will, das Böse, das tue ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann führe nicht mehr ich es aus, sondern die in mir wohnende Sünde."

Gott reinigt also durch das Gesetz den Menschen. Die Sünde wird als ein dem Ich nicht Zugehöriges erkannt. Nicht das Ich handelt, wenn es Böses tut, sondern die Sünde - das Fleisch - zumindest, wenn das Ich diese Sünde nicht will. Das erinnert auch an Christus, als er gefragt wurde, welche Sünde nicht vergeben wird:

"Jede Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben werden; aber die Lästerung des Geistes wird nicht vergeben werden. Und wenn jemand ein Wort reden wird gegen den Sohn des Menschen, dem wird vergeben werden; wenn aber jemand gegen den Heiligen Geist reden wird, dem wird nicht vergeben werden, weder in diesem Zeitalter noch in dem zukünftigen."

Die Sünde wider den heiligen Geist ist das sich bewusste (!) Entgegenstellen gegen das Geistige, also die bewusste Entscheidung für das Fleisch und die Materie. All das ist übrigens hochgradig gnostisch: Die Welt wurde vom Teufel erschaffen und der Mensch muss das Materielle zugunsten des Geistigen überwinden bzw. den Geist vom Materiellen reinigen.

Kurzum Dein Hinweis auf das Abnabeln vom tierischen Dasein kann man ggf.
so interpretieren – wenn man eine tierische Abstammung unterstellt, aber
der Rundumschlag ist viel größer, wie Du in Deinem Urvertrauen in
Gott/Christus andeutest.

Ich habe das im übertragenen Sinne gemeint, denn Paulus spricht hier ganz klar von einem Zeitalter vor dem Gesetz, als es noch keine Sünde gab. Das ist der unbewusste Dämmerschlaf des vor-kulturellen Menschen, aus dem ihm erst das Gesetz erweckt hat.

Da ich nicht den ganzen Text zitieren möchte, beschränke ich mich auf
die bedeutsamen Worte in Kapitel 8 (Wandel im Geist und Gotteskindschaft
der Gläubigen), die man sicher mehrmals lesen muß (zumindest ging es mir
so), um sie zu verinnerlichen.

.. Denn das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos
war, (tat) Gott, in dem er seinen eigenen Sohn in Geichgestalt des
Fleisches der Sünde und für die Sünde sandte und die Sünde im Fleisch
verurteilte, damit die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt wird in uns,
die wir nicht nach dem Fleisch sondern nach dem Geist wandeln.
Denn die, die nach dem Fleisch sind, sinnen auf das, was des Fleisches
ist, die aber, die nach dem Geist sind, auf das, was des Geistes ist.
Denn die Gesinnung des Fleisches ist Tod, die Gesinnung des Geistes aber
Leben und Frieden, weil die Gesinnung des Fleisches Feindschaft gegen Gott
ist, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie kann das auch
nicht.
Die aber im Fleisch sind, können Gott nicht gefallen.
Ihr aber seid nicht im Fleisch sondern im Geist, wenn wirklich Gottes
Geist in euch wohnt.
..
Ist aber Christus in euch, so ist der Leib zwar tot der Sünde wegen, der
Geist aber Leben der Gerechtigkeit wegen.

Hier steckt viel mehr Sprengstoff drin als man vermeintlich annimmt.
Ich behaupte sogar, weil Paulus oftmals sehr klar und direkt formulierte,
geriet und gerät er bei seinen Gegnern so sehr unter Beschuss.
Denn er zieht dem ganzen - noch heute aufgeführten - Budenzauber den
Teppich unter den Füßen weg.

Auch hier wieder hochgradig gnostisch. Im Prinzip kann man sagen, dass jene, die versuchen das Paradies auf Erden herzustellen, dem Teufel dienen statt ihr Schicksal anzunehmen, wie Christus es tat, während die, die das Reich Gottes in der spirituellen Welt ersehnen (was auch bedeuten kann: In ihnen selbst. In ihrem geistigen Ich, das von Sünde gereinigt wurde), Gott dienen und den Tod nicht schmecken. Bei den Christen ist es im Prinzip ein "Nein"-Sagen zur Welt, während die andere Seite (so auch Nietzsche) das große "Ja"-Sagen propagiert.

Aber darauf muß man sich nach und nach einlassen und der Weg dahin ist
ziemlich mühsam.

Ja, Esoterik ist mühsamer, als der Begriff heute suggeriert, wo Heilsteine, Grander-Wasser und Nazi-UFO´s in der Antarktis damit assoziert werden. Im Grunde ist es philosophische Metaphysik mit den Werkzeugen der Analogie und Intuition (Innenschau).


Danke!
Beste Grüße

Phoenix5


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