“Da haben sich Leute Gedanken gemacht ... und das ist zu verurteilen!"

Kosh, Mittwoch, 07.03.2018, 12:29 (vor 2242 Tagen) @ neptun2409 Views

Ob die Aussage dem Zshg. gerissen oder nicht, interessiert mich nun weniger, weil sie für sich genommen so oder so in hohem MASSE aktuell ist, z.B.:

aus https://www.nzz.ch/meinung/am-troedelmarkt-der-fachbegriffe-ld.1354300
- Aus den hochfliegenden «Paradigmen» sind zusehends Schulen geworden, die ihre Art der Scholastik in eigenen Zeitschriften, «journals», pflegen. Dort erhalten nur «papers» Zutritt, die sich eines regulierten Sprach- und Denkstils bedienen, ob strukturalistisch, feministisch oder sprachanalytisch. Die Verengung und Verhärtung, die nicht selten bis zur theoretischen Borniertheit geht, mag zur Wirklichkeitsverweigerung führen.

Die Rede ist von einem sich wandelnden akademischen Zeitgeist, insbesondere die weichen Wissenschaften betreffend, mit der Folge dass diverse angehende Rentner nicht nur begrifflich stranden, sondern auch aus der Zeit fallen:

- Waren es im 19. und in einem Teil des 20. Jahrhunderts grosse Denkergestalten, die beim Aufbau neuer Begriffswelten und damit auch origineller Weltsichten massgeblich den Ton angaben, so sind nun die «Teams» an der Reihe. Diese rudeln sich rund um «Projekte» zusammen, die häufig interdisziplinär angelegt sind.
… Die Folge der Kollektivierung innovativer Köpfe ist indes eklatant: Es fehlt zwar nicht an Originalität, doch die fachspezifischen Neuerungen werden rasch routinisiert, und die Fachbegriffe funktionieren wie Duftmarken.
… Das ist der Grund, warum grössere Forschungsproduktivität mit einer Tendenz zur Gleichschaltung origineller Köpfe erkauft wird.

Diese Entwicklung auf akademischer Ebene ist nicht isoliert von der MASSE zu betrachten:

- Für die «interessierte» Öffentlichkeit, die laufend über neue wissenschaftliche Erkenntnisse informiert wird (und seien es nur haltlose Spekulationen hinsichtlich der letzten Weltbausteine), ist das Veralten von Begrifflichkeiten Teil eines Erregungsspiels. Der Neuzufluss von modischen Terminologien, ob in der Astrophysik oder der Alternativmedizin, hilft darüber hinweg, dass sich schon längst keine neuen, aufregenden Weltsichten mehr auftun.

Die Welt ist langweilig geworden, aber Langeweile verträgt sich nicht mit dem System Homo sapiens, weil der Homo sapiens selbst Langeweile auf den Tod nicht ausstehen kann. Übersetzt …

- Der Reiz von Verschwörungstheorien und Fake-News ist an die Stelle jener Faszination getreten, die einst wissenschaftliche Revolutionen auslösten.

… finden wir uns unversehens im mulitmedialen MASSEnansturm wieder, dessen Finanzierung die MASSE selbst gewährleistet. Heute, 2 Tage nach diesem Beitrag findet sich schon wieder jemand, der die Aktualität der eingangs zitierten Verurteilung auf seine Weise auszudrücken versteht. Die Herleitung ist zwar eine andere, trotzdem trifft er den Nerv eines links geprägten Zeitgeistes, der es schafft wider seinen einst eingeklagten demokratischen Spielraum die Gesellschaft in Geiselhaft zu nehmen:

aus https://www.nzz.ch/meinung/aristoteles-fuer-demokraten-ld.1363292
- Öffentlichkeit ist eine Ausdrucksform bürgerlicher Freiheit. Und wie die Freiheit selber ist sie dauernd bedroht. Sie muss immer wieder verteidigt werden. Gegen Übergriffe eines Staats, der sich Übergriffe anmasst. Aber auch gegen Angriffe politischer oder gesellschaftlicher Gruppen, die glauben, sie dürften die Spielregeln für das öffentliche Gespräch nach ihrem Belieben definieren – zum Beispiel durch einschränkende Sprachregelungen im Dienst politischer Korrektheit.

Ironischerweise befasst sich meines Wissen niemand mit einer Skala der politischen Korrektheit, aber scheinbar alle Welt mit Nordkorea, wo PC auf die Spitze getrieben als linksgrüner Alptraum durch unsere Gegenwart geistert. Dort könnten die Genossen / -Innen eins zu eins erfahren, so denn ein Wille dafür vorhanden wäre, was es bedeutet aus einer Lebenslust heraus als Nazi abgestempelt zu werden. Auf den Punkt gebracht:

- Sprechverbote sind Denkverbote. Und sie sind der Tod jeder demokratischen Öffentlichkeit.

Die etwas längere Fassung gleich im Anschluss:

- Öffentlichkeit ist zwar ein geschützter Raum – insoweit die Bürger vor Anmassungen des Staates geschützt sein müssen. Sie muss ein Ort sein, an dem ich mich frei äussern darf, ohne Nachteile in Kauf zu nehmen. Aber sie ist kein Ort, an dem ich vor Zumutungen sicher bin. Zum Beispiel vor Meinungen, die ich nicht teile, oder vor Lebensweisen, mit denen ich mich nicht identifizieren kann. Öffentlichkeit heisst, dass ich mich mit meiner Person und mit meinen Ansichten anderen Menschen und Positionen aussetze, auch wenn sie mir zutiefst widerstreben – und dass ich akzeptiere, dass ich dafür auf Widerstand stosse.

“So denn ein Wille dafür vorhanden wäre”, müsste nach solcherart antik anmutenden Aussagen eine hörbare Autschwelle durch westliche Lande schwingen. Allein, ich höre nichts, vielleicht noch nichts, hoffentlich.

- Gleichberechtigt neben den Logos und das Pathos setzt Aristoteles das Ethos – den integren Charakter, ohne den ein Redner seine Glaubwürdigkeit verspielt.

Hier vermute ich leider, hat Aristoteles die Rechnung ohne unseren Zeitgeist geMACHT: Die Theorie taugt nicht für die PRaxis.

- Trotzdem setzt seine Definition der Politik Leitplanken für das, was wir als demokratische Öffentlichkeit bezeichnen: Sie kann nur gelingen, solange ein Logos herrscht, der mit dem Ethos verbunden ist. So lange also, als belastbare Aussagen gemacht werden. Aussagen, für die jemand einsteht. Das macht viel Arbeit, wie Karl Valentin sagen würde. Aber wo diese Verantwortung fehlt, ist es mit der Freiheit nicht weit her.

Die Amis auf Kurs
Grüsse
kosh

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PS: Man tut was man kann und man kann was man tut.


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