Jean-François Lyotard

Ostfriese, Donnerstag, 01.03.2018, 08:44 (vor 2246 Tagen) @ tar6139 Views

Hallo tar,

Es gibt kaum mehr tiefgehende, sachliche Diskussionen, auch keine
geldpolitischen, historischen oder rechtlichen Beiträge und der
Forenbetreiber widersetzt sich diesem Abwärtstrend, der schon begann, als
Elli noch unter uns weilte, nicht. Man spürt seine Abwesenheit.

ich denke, dass das in einem größeren Rahmen zu verstehen ist. Baudrillard spricht von einer zunehmenden Ungewissheit in den Beziehungen zwischen dem Signifikat (=Inhaltsseite eines Zeichens) und dem Signifikant (Ausdrucksseite eines Zeichens). Am Ende gibt es nur noch Texte ohne jegliche reale Bedeutung – ohne reale Bezüge. Der Grund ist darin zu sehen, dass den Subjekten kein äußerer Referenzpunkt mehr zugänglich ist.

In der philosophischen Theorie wurde der Begriff 'Sprachspiel' von Ludwig Wittgensteins (1889–1951) in seinem Hauptwerk Philosophische Untersuchungen etabliert. Allgemein versteht er darunter jede Form der sprachlichen Äußerung innerhalb eines Kontexts, also die unzähligen Arten des Zeichen-, Wort- und Satzgebrauchs. In einem Sinne kann der Debitismus mit der Machttheorie als ein umfassendes Sprachspiel oder – in Anlehnung an Baudrillard als ein Code wie hier im Forum – verstanden werden.

Jean François Lyotard hatte in den 70er Jahren vom Universitätsrat der Regierung von Québec den Auftrag erhalten, einen "Bericht über das Wissen in den höchstentwickelten Gesellschaften" anzufertigen. In seinem Buch La condition postmoderne legt er seine Ergebnisse nieder, prägt den Begriff der 'Postmoderne' und beginnt damit die postmodernen Diskussionen in der Philosophie. Er stellt fest, dass nach dem Ende der vergangenen Erzählungen der Mythen, Fabeln und Legenden, die aus sich selbst heraus Gültigkeit gewinnen, in der Gegenwart staatliche Institutionen, gesellschaftliche Klassen, ökonomische, politische und wissenschaftliche Eliten und Parteien ihre Anziehungskraft verloren haben – die Lebenswelten zersplittern und zerfallen gemäß @Phoenix5 bis zur Zerstörung der Familie als letzter Bastion gegen den Kapitalismus. Die Gesellschaft besteht aus einer Vielzahl heterogener Sprachspiele, die von keiner einheitsstiftenden und legitimierenden und von den Menschen akzeptierten Metaerzählung zusammengehalten wird. Lyotard schreibt, dass es "keine 'Sprache' im Allgemeinen" gibt, sondern viele Sprachen, viele Arten zu reden, Satz-Regelsysteme und Diskursarten. Zwischen diesen Sprachen besteht ein unaufhebbarer Widerstreit. Er ist davon überzeugt, dass "Sprechen Kämpfen" ist und Machtstrukturen aufgebaut und stabilisiert werden – Foucault hatte schon 1972 darauf hingewiesen, dass durch die Sprache Machtstrukturen begründet und stabilisiert werden. Jede Sprache hat die Möglichkeit mittels Gewalt, die Existenz einer anderen Sprache zu zerstören. Lyotards Theorie geht von der Annahme einer ursprünglichen Heterogenität aller Diskurstypen aus.

Die Zentralmacht ist eine Struktur, in der alle Glieder des Systems zentral institutionalisiert und organisiert sind, auf der Grundlage der ordneten Laute derjenigen, denen die ohnmächtigen atomisierten Individuen nach der Zerschlagung der Segmente ausgeliefert sind und ihnen Gefolgschaft leisteten – das perfekte Verbrechen. Die Entwicklung zur Sprache, zur Schrift, zu den Texten, den rechtsverbindlichen Dokumenten ist das Ergebnis der ursprünglichen – auf Gewalt beruhenden – Situation wird mit dem Debitismus und der Macht- und Zentralmachttheorie beschrieben und gedeutet. Wegen des Zwanges zur Aufschuldung (Zentralbank-, Geschäftsbankenzins, Komplexität des Systems, Vorher-Nachher-Problems) steigt mit dem schwindenden Potenzial eines jeden handelnden Akteurs zeitgleich sein zukünftiger nicht infrage stellbarer zunehmender Potenzialbedarf. Das bedeutet auch, dass die Sprachspiele des Politischen, des Soziologischen, der Wissenschaft, der Philosophie, der Literatur und der Künste ebenfalls ausdehnen müssen. Sie können ihre Herkunft und Basis nicht verleugnen – sie entfalten sich einzig und allein aus dem Zwang der nach innen gerichteten Abgabenforderung. Lyotard geht ebenfalls – ohne Kenntnis des Kernthemas des Forums – so weit zu sagen, dass das Subjekt nicht Herr der Sprache ist, sondern vorrangig – die Debitisten sagen – in Abhängigkeit der Zentralmachtstruktur zu denken ist. Sein Satz: "Nicht der Mensch ist der Herr der Sprache, sondern die Sprache ist strukturell wie ereignishaft vorgängig." zitiert aus der Dissertation – auf Seite 74 – von Matthias Schnell-Heisch, wird von Wolfgang Welsch vehement abgelehnt. Der Debitismus und die Machttheorie sind die allumfassenden Sprachspiele, die alle weiteren überragen.

Die Subjekte können nur denken und handeln im Rahmen der Strukturen der Zentralmachtordnung – die Sprache fängt sie zwangsläufig in diesem zentrisch geordneten System schon im Voraus ein. Die 'Freiheit' in unserer sprachlichen Ausdrucksweise, die wir zu haben meinen, ist eine Simulation.

Der zentrale Inhalt des Forums – der Debitismus mit der Machttheorie – ist als ökonomischer, gesellschaftlicher und historischer Deutungsversuch eine Metaerzählung, die sich aber nicht selbst legitimieren kann – das gilt auch für andere Sprachspiele. Es gibt keine universelle Metasprache für alle Sprachspiele, die als Verständigungsinstanz für divergierende Geltungen in dem ZMS dienen könnte. Ein alles umfassender Diskurs im Sinne einer Großtheorie oder Letztbegründung ist ebenso unmöglich wie ein allgemeiner und universaler Konsens. Die letztendlichen Gewissheiten sind uns alle abhandengekommen.

Diese Gedanken hatte ich schon vor längerer Zeit zusammengetragen und weiterentwickelt, um sie für mich nutzbar zu machen – ich stelle sie einfach mal ins Forum.

Gruß â€“ Ostfriese

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