Futter für den Selbstdenker

Diogenes Lampe, Donnerstag, 22.02.2018, 14:21 (vor 2226 Tagen) @ trosinette4775 Views

Guten Tag Herr/Frau Schneider,

Guten Tag,

da ich meistens mit selberdenken beschäftigt bin, komme ich kaum dazu,
mich zu informieren und kann deshalb nur unausgegorene Gedanken liefern und
selten Informationen.

Sie müssen sich nicht rechtfertigen. Die Frage ist ja für Sie nur, mit was Sie sich so intensiv selbstdenkend beschäftigen, dass es Sie so sehr daran hindert, sich Denkfutter in Form von Informationen zu holen, um solche dann in sich gären zu lassen. Solange Sie sich aber des Unausgegorenen ihrer Gedanken bewußt sind, gehören Sie nach meinem Dafürhalten zu den Zeitgenossen, die sich selbst klug reflektieren. Somit werden Sie sich, auch wenn Sie nicht immer gleich dazu kommen, vermutlich weiter informieren, und das wird Sie vermutlich weiter bringen.

Denn der Geist der Kirche ist ein Geist der Furcht.


Und der Geist der Furcht ist der objektiv wahre Geist der Kirche? Und der
Geist der Nächstenliebe, Hoffnung, innere Frieden, Zuversicht und
Geborgenheit, den ein bayrisches Mütterlein möglicherweise aus ihrem
Kirchgang mitnimmt, ist ein subjektiv eingebildeter und falscher Geist?

Wenn Sie mich so fragen und das Wort falsch weglassen, ein ganz klares Jein! Denn es gibt keinen falschen Geist, sowenig, wie es einen richtigen gibt, sondern es gibt nur Geist, aus dem durch seine Eigenschaft des Trennens Polaritäten entstehen, aus denen er überhaupt erst seine Urteile über falsch oder richtig fällen kann.

Den Geist der Nächstenliebe gibt es somit auch nicht. Das ist Pfaffengeschwätz! In den Kirchen ist damit in der Regel ohnehin die abstrakte Fernstenliebe gemeint und die ist nur ein seelenloses geistiges Konzept, das unsere natürliche Liebe vom Nächsten abzieht und via Schuldkult in die Irre der universalistischen Ideen führt.

Jesus sagt: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst. Nächstenliebe setzt also erstmal Selbstliebe voraus. Und an dieser hindert Sie bzw. das bayerische Mütterlein eben der Schuldkult, der sie dann aus Mangel an Selbstliebe wieder in die Kirche und zur Beichte treibt, um sie mit der abstrakten Vorstellung von Nächstenliebe zu kompensieren. "Der Geist der Nächstenliebe" setzt also, wenn Sie so wollen, nur einen suggestiven Teufelskreis in Gang.

Um zu lieben, braucht man keinen Geist. Dem Geist ist die Liebe nicht zugänglich. Liebe ist, wenn Sie so wollen, unsere natürliche Anziehungskraft, die es auf Vereinigung in welcher Form auch immer abgesehen hat. Deswegen können auch Tiere lieben aber nicht Theologie studieren.

Der Geist ist das Gegenteil der Anziehungskraft, also der Liebe; er ist die Abstoßungskraft, das, was teilt. Denken ist ein Akt des Teilens, des Differenzierens. Mit anderen Worten: "Der Geist der Nächstenliebe" ist ein Widerspruch in sich selbst und somit eine Fata Morgana.

Wer braucht Hoffnung? Der keine hat. Wer braucht inneren Frieden? Der, dem er fehlt. Wer Zuversicht und Geborgenheit? Der, dem sie anhanden gekommen sind. Grund oder Folge dieses Mangels? Lebensangst! Furcht!

Wenn Paulus von Glaube, Hoffnung und Liebe spricht und die Liebe dabei ins Zentrum rückt, dann sagt er selbst auch sehr klar, dass ohne Liebe Glaube und Hoffnung wenig nützen. Denn im Unterschied zu ihr sind Glaube und Hoffnung tatsächlich auf den Geist angewiesen, weil sie seine Reflektionen voraussetzen. Beides, Hoffen und Glauben, sind Akte des Differenzierens. Sie führen von der Liebe weg und nicht zu ihr hin.

Das ist weder gut noch böse noch richtig oder falsch. Betrachten Sie, wenn Sie die Dinge möglichst objektiv erkennen wollen, die Phänomene, die Ihnen begegnen, zunächst einmal völlig wertungsfrei, bevor Sie sie über Ihre Urteilskraft auf sich bzw. andere Menschen beziehen.

Die eigentliche falsche Information die Sie haben ist, dass
Sichschuldigfühlen aus uns bessere Menschen machen soll oder solche,

die

sich wenigstens besser fühlen.


Da mir zu Ohren gekommen ist, dass sich Urwaldbewohner und Indianer
ebenfalls in ritueller Form entschuldigen, wenn sie zwecks Kanubau einen
Baum umhauen oder einen Bären erlegen, hege ich den Verdacht, dass der
Schuldkult keine initial Idee der katholischen Kirche darstellt.

Nun bin ich weder Urwaldbewohner noch Indianer noch weiß ich, ob die beiden vielleicht schon Katholiken waren, weil sie vor dem Bären von Jesuiten heimgesucht wurden, die ihnen einen aufbinden wollten. Aber im Ernst: Womöglich interpretieren Sie lediglich deren Handlung als Entschuldigung?

Meine Sicht auf diese Rituale der Naturvölker ist, dass es sich eben um keinen Schuldkult handelt, denn das wäre ja pure Heuchelei, da Urwaldbewohner und Indianer bei nächster Gelegenheit, wenn die Notwendigkeit ruft, wieder einen Baum umhauen werden bzw. einen Bären erlegen. Und das wissen die auch. Aber als Völker, die eng mit der Natur leben, erleben sie die Polarität Mangel-Fülle noch unmittelbar als Lebensglück in der Fülle und als lebensbedrohlich im Mangel.

Die Vorstellung der Welt ist bei den Naturvölkern eine animistische, d.h., ihre Sicht auf die Natur ist weniger eine abstrakt geistige als eine konkret seelische. Es ist die Große Mutter! Den "Geist des Baumes" oder "Geist des Bären", bei dem sie sich entschuldigen könnten, kennen sie gar nicht. Sie kennen nur die Seele des Baumes und die Seele des Bären als Seele der Großen Mutter, die für sie sorgt und bei der sie sich bedanken.

Wenn ich an sowas wie das Fegefeuer, die Hölle und den Jüngsten Tag

glaube,

dann besteht mein Leben zwangsläufig aus Sichschuldigfühlen.


Mich würde interessieren, wer noch ernsthaft daran glaubt? Also ich
glaube nicht daran. Die Kirchen in D sind auch ziemlich leer und der
Machtapparat läuft trotzdem munter weiter. Der Machtapparat scheint sich
also durch weitere Treibstoffe am Laufen zu halten.

Naja, wäre er auf das bayerische Mütterchen angewiesen, dann gäbe es ihn wohl nicht mehr. Und weil, wie Sie nach meinem Dafürhalten zutreffend erwähnen, der Machtapparat durch weitere Treibstoffe prima weiter läuft, schlussfolgere ich aus Ihrer und meiner Beobachtung, dass es sich beim Unternehmen Katholische Kirche nicht wirklich um eine religiöse Veranstaltung handeln kann, sondern die Religion nur Mittel zu einem anderen Zweck ist.

Ich denke, wenn man sich so wahnsinnig tiefgreifend Informiert, besteht
immer die Gefahr, dass man die Bedeutung dessen, worüber man sich
Informiert, überbewertet.

Da kann ich Ihnen nicht widersprechen.


Auf politisch ideologischen Gebiet könnte ich mir auch vorstellen, dass
sich der Antrieb zum tiefgehenden informieren aus Schuldgefühlen speist
und dem Vorhaben, aus sich einen besseren Menschen zu machen oder sich
wenigstens besser fühlen.

Auch hier mögen Sie recht haben. Ebenso ist das Gegenteil wahr, wie mir scheint. Also, dass der Antrieb zur tiefgehenden Ignoranz sich aus Schuldgefühlen speist und dem Vorhaben, aus sich einen besseren Menschen zu machen oder sich wenigstens besser zu fühlen oder als besserer Mensch vor dem Mitmenschen zu gelten. Denn was ist denn ein "besserer" Mensch? Es ist ein Vergleich mit anderen Menschen, die nicht "so gut" sind. Da sind wir dann wieder bei Gut und Böse, Richtig und Falsch.


Wo kommt bei der von mir zitierten Meinung über die Bedeutung von Macht,
Ideologie, Doktrinen, Katholizismus, Kommunismus, Sozialismus, Faschismus
oder Globalismus eigentlich der Mensch vor, nachdem laut Kant der
aufgeklärter Zeitgenosse fragen soll?

Eine sehr berechtigte Frage! Kant fragt hier aber nicht abstrakt nach dem Menschen, sondern konkret. Egal, unter welchen Verhältnissen er lebt, diese 4 Fragen werden ihm nicht von Kant als Prüfungsaufgaben in einem Examen gestellt, sondern Kant stellte nur fest, dass es genau diese 4 Fragen sind, die sich der Mensch, mal bewußt mal unbewußt, ständig selbst stellt und auf die er durch sein tätiges Dasein eine Antwort sucht. Auch Sie! Denn nur in diesen einfachen Fragen ist der Sinn des Lebens im Streben nach Glück verborgen. Auch Ihrer! Und nur Sie selbst können sich einer Antwort nähern. Niemand anderes kann das für Sie tun.

Den größeren Nutzen werden freilich diejenigen aus der Fragestellung ziehen, die sie sich bewußt stellen können.

Apropos:

Was ist der Mensch?


Ja was ist er denn nun? Ist er seinem Wesen nach unter anderem religiös
oder wurde er dahingehend verbogen?

Diese und die anderen 3 Fragen können Sie sich nur selbst beantworten.


Mit freundlichen Grüßen
DL


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