Oooch Siggi, schon mal was von dem Unterschied zwischem geschriebenen Recht und ausgeübter Rechtspraxis gehört?

Mephistopheles, Dienstag, 13.02.2018, 19:37 (vor 2263 Tagen) @ siggi1903 Views
bearbeitet von Mephistopheles, Dienstag, 13.02.2018, 20:22

Anscheinend interressiert das außer uns beiden aber keinen hier, deswegen eine Antwort nur für dich. [[smile]]

Hallo Meph,

ich weiß doch, dass du diesen Satz im Hinterkopf hattest:

"Stadtluft macht frei"

Vollständig heißt er allerdings:

"Stadtluft macht frei nach Jahr und Tag"

Viel wichtiger ist allerdings, dass diese Regelung durch das Statutum in
favorem principum (im Jahre 1231/32) zugunsten der Fürsten aufgegeben
worden ist.

Die meisten wissen es nicht, aber trotzdem ist es geltendes Recht, dass nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch der Arbeitnehmer sich an die Kündigungsfristen halten muss.
Wenn ein Arbeitnehmer seinem Arbeitsplatz einfach ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist fernbleibt, dann könnte ihn der Arbeitgeber theoretisch suchen lassen und mit der Polizei zum Arbeitsplatz vorführen lassen. [[freude]]

Aber, wie häufig kommt das vor?

Ähnlich dürfte es sich auch im Mittelalter verhalten haben. Zumal wir damals keine Demokratie hatten, es gab kein Melderegister, wo ein jeder seinen Wohnsitz anmelden musste, es gab keine Personalausweise, die einer bei den Behörden auf Verlangen vorlegen musste, es gab keine Überwachung der Kommunikation durch die Behörden, rein gar nichts!
Die Leute kannten einfach die demokratischen Errungenschaften nicht.

Und dann musste der Herr, der einen Hörigen vermisste, den erst einmal finden. Mach das mal in einer Stadt mit ca. 40.000 Einwohnern ohne Stadtplan und ohne Straßenverzeichnis und ohne Personalausweis und ohne Adressenregistrierung, wenn du eine ganz bestimmte Person suchst. Wobei du mit Sicherheit damit rechnen kannst, dass, wenn du ihn zufällig erkennen solltest, der Betreffende natürlich lauthals abstreiten wird, der Gesuchte zu sein. Und dann? Festhalten darfst du ihn nicht, du musst erst Zeugen beibringen, dann ein Gerichtsverfahren anstrengen - das ist der einzige Punkt, wo sich, nach glaubwürdigen historischen Berichten, das Mittelalter keineswegs von der heutigen Zeit unterscheidet: Es dauerte also ewig. - und dann, wenn der Prozess endlich eröffnet wurde, nach einer Menge Kosten, die du als Kläger natürlich vorab auslegen musstest, kannst du darauf rechnen: Wer erscheint nicht zum Prozess? Also die Stadtbüttel - wiederum verbunden mit einer Menge Kosten für dich, weil die Stadt denkt natürlich keineswegs daran, sich auf Kosten der Stadtkasse um die Suche nach deinen entlaufenen Hörigen zu bemühen.Tja, wie geht es dann weiter?

Alleine aufgrund dieser knappen Schilderung, mein lieber Siggi, kannst du wohl mit Leichtigkeit ermessen, wie häufig dieses theoretische Recht in der Praxis auch angewendet wurde.

Den Hans Fugger hat jedenfalls bis heute keiner eingefangen.

Alles erforscht und schön nachzulesen z. B. hier:

http://www.sueddeutsche.de/kultur/urbanitaet-stadtluft-macht-arm-1.3126658

Aber ich biete dir mal ein Unentschieden an, denn zumindestens bis 1231/32
hattest du ja nicht so ganz unrecht<img src=" />

Das ist mir jetzt zu umständlich, auf den Quatsch der Prantlpresse auch noch einzugehen.

lg

siggi

Gruß Mephistopheles


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