Fälschung, mangelnde Geschichtskenntnis, Blindheit und Träumereien?

Weiner, Montag, 12.02.2018, 10:09 (vor 2237 Tagen) @ siggi2607 Views

Danke für den Einspruch und lg

siggi

Hallo Siggi,

vielen Dank für Deine Unterstützung!

Meine Scham bezog sich zwar auch auf den ethisch-moralischen Hintergrund, vor allem aber darauf, dass man auf einem so informierten Forum wie hier derartige daneben gegriffene Aussagen korrigieren muss. Vor längerer Zeit habe ich mal auf das Buch "Krieg - eine astrologische Spurensuche" (hrsg. von Meller und Schefzik) hingewiesen, das sehr schön belegt, wie Erfindungskunst in Europa (Rad, Einbaum, die ersten einfachen und kompositen Bögen) sich auch im Bereich "sozialer Schichtung" entfaltete und auszeichnete. *)

Massengräber, nicht nur Schlachtfelder, sondern auch solche mit fehlenden Frauenskeletten oder mit vor dem Tode fehlernährten und durch Arbeit geschundenen Individuen, finden sich in Europa nicht nur zahlreich sondern vielleicht sogar 'gehäuft'. Und seit es schriftliche Geschichtszeugnisse gibt (die frühen griechischen Historiker oder dann aber klassisch etwa Tacitus über die Völker in Mitteleuropa), ist es relativ klar, dass es auch hier Sklaverei gab. Mancher hat natürlich Schwierigkeiten mit den Begriffen: vor allem die Ostgermanen hielten sich gerne Slawen. Merkwürdig, diese phonetische Ähnlichkeit ...

Vielleicht hilft zum besseren Verständnis ein kleines Beispiel aus der Geschichte meines Dorfes (in BW): nicht nur, dass da im Spätmittelalter beim Verkauf eines Hofes die Bauern und Schäfer (inkl. Familie!) genauso zum Inventar gehörten wie Gebäude, Flächen, Werkzeuge und Tiere, nein, noch vor knapp 300 Jahren musste ein Familenvater, dem eben die Frau (meist im Kindbett) gestorben war, deren Glöckelegewand (also das beste Oberkleid) nach Stuttgart abliefern. Eine Art Erbschaftssteuer wohl ...

Ich wollte in meinem Beitag aber darauf hinaus, dass Unterdrückung und Ausbeutung anderer Menschen eine durchgehende anthropologische Konstante ist. Dieses Charakteristikum ist letztlich auch dafür verantwortlich, dass wir als Menschen nun wieder 'Staaten' bilden können, die die 'Staaten' der Insekten an Differenziertheit und Leistungsfähigkeit bei Weitem übersteigen (und zum Beispiel auch Hochkulturzyklen ermöglichen).

Ich finde es daher ernst, wenn solche wichtigen Phänomene hier ausgeblendet werden, aus welchen Gründen auch immer. Und die stolzen Äußerungen über die Überwindung der Sklaverei durch den europäischen Geist (war wohl eher ein Schuß positiver Ethik aus dem Nahen Osten vor rund 2000 Jahren ...) oder über die Erfindung des Naturschutzes (Mephistophilis goes green ...) kommen meines Erachtens noch etwas zu früh und könnten sich historisch gesehen als pubertäre Phantasien herausstellen.

Denn es ist erstaunlich, wie schnell das geschichtliche Rad, das mit Mühe den Berg hinaufgeführt wurde (da sind durchaus Opfer erbracht worden für die 'Aufklärung', für die 'Befreiung' der Frau und der Arbeiterschaft und der Sklaven), wieder nach unten rollt, wenn nur ein wenig Gefälle entsteht. Gerade gestern Abend kam eine Dokumentation über moderne Verschleppung und Sklaverei im ehemals sowjetischen Raum. Zwar wandeln die Verhältnisse das Gesicht (Leibeigenschaft im Zarenreich, Gulags unter Stalin, Sozialbetrug unter Putin), aber ihrem Wesen nach bleiben sie gleich.

Deswegen ist es auch nicht richtig, wenn Lechbrucknersepp andeuten wollte, dass mit 'höherer Zivilisation' (was immer das sein sollte ...) so archaische Verhältnisse wie Sklavenhalterei etc. abgeschafft würden. Eher das Gegenteil ist der Fall: die gesammelte Primitivität des Menschen wird am Ende einer Hochkulturentwicklung durch die Hintertür wieder eingeführt (kann man beispielsweise an gewissen römischen Cäsaren gut studieren).

Ich darf vielleicht auch noch anfügen, dass die Unterdrückungs- und Ausbeutungsmentalität sich nicht nur (wie in meinem letzten Beitrag erwähnt) vom zwischenmenschlichen Bereich auf den Umgang mit der Natur überträgt (rücksichtslose Ausbeutung von Ressourcen) sondern auch für die Richtung der technologischen Entwicklung vielfach bestimmend ist. Früher hatte man Kutsche und Kutscher, dann ein Vehikel mit Chauffeur, heute wird es das automatisierte Fahren. Früher hatte man Sekretäre und Diener, heute ruft man "Alexa!".

Und bei all dem bemerkt man offenbar nicht, das die jeweiligen "Halter", seien es die eines Sklaven oder eines elektronischen Hilfsmittels, eigentlich ihre Seele deformieren und wichtig Menschliches, vielleicht sogar eigentlich Menschliches zur Erstarrung bringen oder gar zerstören.

Ich wünsche allen eine gute neue Woche!

Weiner

*) zum nicht einfachen Problem der Identifizierung von 'Sklaven' in der Archäologie siehe etwa hier:

http://www.deutschlandfunk.de/wikinger-kultur-komplizierte-identifizierung-der-sklaven....

https://www.nzz.ch/wissenschaft/archaeologie/archaeologie-keltische-fuersten-und-ihre-s...


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung