Das "Theorem des verfemten Teils"

Ostfriese, Donnerstag, 28.12.2017, 18:35 (vor 2311 Tagen) @ nemo1561 Views

Hallo nemo,

für Jean Baudrillard ist der Satz

Die Basis ist die Existenz
der
Gegensätze.

elementar. Für ihn ist die Grundlage der Welt ihre radikale Fremdartigkeit. Er sagt, dass sich das Fremde niemals durchdringen lässt. Kulturen wie die arabischen oder asiatischen können niemals westlich werden – Wolfgang Joop hatte schon vom Geheimnis der islamischen Mode geschwärmt. Sie nehmen westliche Techniken immer nur mit der Gewissheit der eigenen Überlegenheit an. Ich hatte schon auf Lyotards Hypothese der grundsätzlichen Unvereinbarkeit aller Diskurse hingewiesen. Wegen der Heterogenität der Zeichen falle im westlichen Denken jedem – zwangsläufig gewaltsamen – Versuch, Verständigung zu erreichen, konsequent einer der beiden Diskurse zum Opfer. Jede vermittelnde Instanz in der Metaebene, um den Widerstreit zu "lösen", ist selbst wieder ein unvereinbarer Diskurs.

Baudrillard geht noch weiter, als das, was du sagst:

Das Schlechte aber wird uns einholen, egal ob wir es betrachten oder
nicht. Daher
ist es besser, es zu sehen als auszublenden.

Der Ausgangspunkt der Überlegungen von Baudrillard zum Prinzip des Bösen – des Schlechten – ist das "Theorem des verfemten Teils", das wohl auf Bataille zurückgeht. Darunter versteht er die Annahme der Unzertrennlichkeit von Gut und Böse. Die unversöhnlichen Gegensätze sind miteinander verkoppelt und aufeinander angewiesen. In 'Transparenz des Bösen' sagt er auf Seite 122: "Wer seinen verfemten Teil ausmerzt, besiegelt seinen eigenen Tod." Am Beispiel der berechtigten Menschenrechte als ein Ziel des Guten beschreibt er die Schwäche eines Diskurses, der voll und ganz auf einer Seite stattfindet. Anders formuliert: Die Menschenrechte sind für ihn illusorisch geworden, weil sich die Diskussionen nur auf der Seite des Guten entwickeln.

Baudrillard diskutiert intensiv in seinem späteren Werk das Verhältnis von Leben und – dem verfemten Teil – dem Tod. Seine Ideen zur Auffassung des Bösen erzeugen die Vorstellung eines Überganges, wie Bataille formuliert: "Sagen: 'Gott ist das Böse' bedeutet keineswegs das, was man sich vorstellt. Es ist eine zärtliche Wahrheit, etwas von der Freundschaft für den Tod, ein Gleiten ins Leere, in die Abwesenheit."

In den Worten von F. Blask (S. 108):

"Baudrillard vertritt diese Position vehement. Seine Abneigung gegen die Kommunikation, gegen die Dialektik, gegen das Subjekt, Übersignifikation, Sinn und Wahrheit scheinen bisweilen an den Zustand der Paranoia zu grenzen. Seine Hinwendung zu Alternativen der Simulation wie dem symbolischen Tausch, der Verführung, dem Objekt oder dem Bösen und dem Anderen gerät vor diesem Hintergrund beinahe zur Apotheose."

Der ehemalige Obdachlose Dominik Bloh hat schon als Jugendlicher die Einheit des Schlechten (den Hunger, die Einsamkeit, die Wohnungslosigkeit) und des Guten (das Erhabene der 'Natur', das Abitur) nicht nur gesehen und ausgeblendet, sondern auch akzeptiert. Nur so konnte er sein Leben bewältigen.

Gruß â€“ Ostfriese


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