Ekstase der Kommunikation

Ostfriese, Dienstag, 21.11.2017, 15:25 (vor 2319 Tagen) @ kieselflink6533 Views

Hallo kieselflink,

ich möchte zu der Feststellung

Die nichtssagenden Postings der letzten Wochen lassen aufhorchen. Was

ist

hier im DGF passiert? Mein komischer "NÜ" wird kaum beachtetet.


vor dem Hintergrund meiner Beschäftigung mit den Gedankenwelten von Baudrillard etwas sagen.

Seine Kommunikationstheorie basiert auf der Idee des symbolischen Tausches, der von Mauss und Bataille in ihren anthropologischen Studien über den Potlatch in indigenen Völkern Nordamerikas untersucht wurde – er versuchte sie für seine Medientheorie nutzbar zu machen.

Für Baudrillard ist die Kommunikation auch ein Tauschverhältnis – ein symbolischer Tausch – in dem Sinne, dass sie durch "Reziprozität als [...] die Form einer wechselseitigen, nicht vermittelten Beziehung des Einen auf den Anderen, die sich am gleichen Ort und zu gleicher Zeit vollzieht (Kramer, Entmaterialisierung, S.349)" zu verstehen ist. Medien als zwischengeschaltete Mittler sind vor allem ein Kommunikationshindernis, da sie einen Rhythmus – ein notwendiges Zeitmaß â€“ verhindern, dass etwas wechselseitig in der gleichen Bewegung und im gleichen Rhythmus zurückgegeben werden kann. Kommunikation über Massenmedien distanzieren für Baudrillard die Verhältnisse der Beteiligten untereinander – diese Trennung ist für ihn die "Ideologie der Medien (S.90)". Allein durch ihre Anwesenheit sind Massenmedien für ihn „die Gewissheit, dass die Leute nicht mehr miteinander reden, dass sie angesichts einer Rede ohne Antwort isoliert sind (S.93)".

Die Medien sind also wegen der nicht überwindbaren Einseitigkeit von Geben und Nehmen – von Gabe und Gegengabe – in patriarchalisch hierarchischen Gesellschaften gleichbedeutend mit Macht. Denn "die Macht gehört demjenigen, der zu geben vermag und dem nicht zurückgegeben werden kann (S.91)." Sie sind eine massenmediale "Zwangsvergesellschaftung als System der sozialen Kontrolle (S.99)". Alle Formen von 'feedback' – Höreranrufen, Leserbriefen, Umfragen mit Zuschauerstatements usw. – sind am Code des Herrschaftssystems ausgerichtet und somit "in den Sendeprozess integriert". Diese Möglichkeiten, das Publikum selbst zu Wort kommen zu lassen, sind nur die "Simulation einer Antwort" (S.91), aus der alles Irritierende, Spontane und Unkontrollierte beseitigt wurde, was den Rahmen des Herrschaftsschlüssels überschreitet. Massenmedien erzeugen die Dominanz allgemeingültiger Normen und stabilisieren die gesellschaftliche Ordnung – widerständiges Denken und Handeln wird an den Rand gedrängt: Wie der Debitismus und die Machttheorie von Paul C. Martin.

Was Du ansprichst, macht das grundsätzliche Problem einer gelebten
Demokratie sichtbar - im Sinne von Teilnahme und Teilhabe.

Baudrillard hat schon vor langer Zeit gesehen, dass die einzig wirklich gelungene Kommunikation des Widerstands z. B. die Graffiti, "die Siebdrucke und handgemalte[n] Plakate" (S.100) sind – also allgemein: Kommunikationsformen abseits der Massenmedien, die jedoch für ihn kaum Einfluss auf das Geschehen nehmen. Die von Enzensberger genannten Vorschläge einer Gegenöffentlichkeit ("eine von ihren eigenen Lesern redigierte, verteilte und hergestellte Presse [...], Videonetze zum Gebrauch politischer Gruppen usw." S.109) sind auch für Baudrillard eine Möglichkeit, sich durch den alternativen Gebrauch von Medien, gegen die herrschenden Verhältnisse zu stellen.

Ich denke, dass das den Lesern und Usern eines Forums über den Debitismus und über die Machttheorie klar ist – vor allem aber spüren und fühlen sie es – und deshalb treten sie den Medien mit sehr großer Distanz gegenüber, um sie tunlichst zu meiden: Wie die Moderatorin M. Slomka im gestrigen Interview den FDP Vorsitzenden C. Lindner nicht zu Wort kommen ließ und ihn nur ständig unterbrach.

Gruß â€“ Ostfriese

PS: Die Zitate entstammen Texten aus den 70.iger Jahre des letzten Jahrhunderts, die in Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen gesammelt sind.


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung