Welche Wohltat, ...

Monterone, Samstag, 08.07.2017, 23:59 (vor 2476 Tagen) @ neptun6754 Views

...neptun, Deine Zeilen zu lesen.

Von solchen Beiträgen kann es gar nicht genug geben, die uns Europas Kulturgeschichte näherbringen!

Dein Erstaunen über meine Erwähnung der Opus 111 wird nicht mehr so
groß sein, wenn ich Dir sage, daß ich selbst auf recht hohem Niveau
Klavier spiele, und daß dieses Werk zu den absoluten Favoriten meines
Repertoires zählt.

Im nächsten Leben möchte ich Klavierspielen können. Mindestens Hammerklaviersonate und Chopin-Etüden.

Während das aus der Hammerklavier-Sonate ein einziges riesengroßes
Lamento ist über das diesseitige Leiden (von Beethoven genial in Musik
umgesetzt), wenn auch mit großer, aber stets unerfüllt bleibender
Sehnsucht nach "Erlösung" durchwirkt, gibt das Adagio aus Opus 111 einen
klaren Einblick in die himmlischen Sphären, wonach der anschließend
wieder auf die Erde zurückgeführte Mensch genauer weiß, wonach er sich
sehnt. Deshalb gibt es auch danach nichts mehr zu sagen, und so
mußte die Sonate zweisätzig bleiben. Sehr aufschlußreich hierbei
finde ich auch den Umstand, daß mit diesem zweiten Satz das gesamte
Klaviersonaten-Schaffen Beethovens (immerhin 32 Sonaten) endet. So oft er
am Ende vieler seiner Werke als "Sieger" hervorgegangen ist, tut er es hier
auch, aber diesmal auf eine ganz andere Art: Tiefer, stiller, wissender.

Wie frustrierend unerfüllt die Sehnsucht in der Hammerklavier-Sonate
bleibt, kann man auch daran erkennen, daß Beethoven sich ausgiebig in dem
anschließenden vierten Satz "austobt", einer "nur" dreistimmigen Fuge,
welche auch heute noch mit ihren gesamten Anforderungen sogar für viele
Profis nicht bzw. nur unzureichend zu bewältigen ist. Danach befinden wir
uns ganz klar noch auf dieser Erde mit all ihrem Elend, welches wir nicht
in der Lage sind, wegzudiskutieren oder uns schönzureden.

Die große innere Stille nach der Arietta aus Opus 111 läßt uns etwas
davon spüren, daß unser Herz einen Anker im Jenseits gesetzt hat.

Du siehst, daß für mich da ein großer Unterschied existiert. Das ist
aber selbstverständlich nur meine ganz persönliche Auffassung.

Für mich war es ein Genuß, Deine Auslegung des Adagios zu lesen. Ob ich das so oder vielleicht ein wenig anders sehe, spielt überhaupt keine Rolle.

Viel wichtiger wäre, daß unser Austausch über die beiden Klaviersonaten op. 106 und op. 111 andere Schreiber und Mitleser dazu anregt, sich mit Beethoven zu beschäftigen, was sehr viel sinnvoller wäre, als sich jeden Tag mit dem Krempel der Kulturindustrie zuschmeißen zu lassen.

Monterone


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