Definition 'Übersetzung', und: Neuroplastizität, Neurogenese und Spezialisierung der Hirnareale

Literaturhinweis, Montag, 22.05.2017, 16:37 (vor 2525 Tagen) @ Leserzuschrift7162 Views
bearbeitet von unbekannt, Montag, 22.05.2017, 16:49

Ich kenne mich halbwegs mit Spanisch, Deutsch und Englisch aus, und ich denke im jeweiligen Kontext in der jeweiligen Sprache.

Ja, weil Sie übersetzen.

Nein, überhaupt nicht. Jedenfalls nicht bewusst.

Natürlich nicht "bewußt". Sie laufen ja auch nicht "bewußt", sonst würden Sie jeden Moment sich auf allen Vieren wiederfinden. Sie merken das daran (zum Beispiel), ob sie in die Muttersprache zurückfallen, wenn Sie einen nicht geläufigen Ausdruck suchen, und dann "von dort" wieder versuchen zur "geeigneten" Vokabel der Zielsprache zu kommen.

Das ist dann der Versuch der Übersetzung - ganz egal, ob Sie dafür ein externes oder ein internes 'Wörterbuch' benutzen - flüssig wird der sprachliche Ausdruck nur, wenn er (genau) daher kommt, wo er auch muttersprachlich hingehört. Dort hat man ein direktes "Synonymlexikon", das "cow" in "Kuh" und umgekehrt nicht 'übersetzt', sondern einfach -sozusagen stilistisch- auswählt, so, wie ich mich aus irgendwelchen Gründen entscheide zu schreiben "Die Kinder sprangen ins Wasser" oder "Die Kinder sprangen ins kühle Naß".

Der ungelenke Fremdprachensprecher dagegen sucht nun krampfhaft nach "kühl und naß", und vielleicht irgendwann gelingt es ihm herauszufinden. "Oh, you meant your children were frolicking at the beach?".

Ich hatte mal ein Interview mit einem Projektleiter, der mitten im Satz, nachdem er schon mit meinen sonstigen Fähigkeiten zufrieden schien, unvermittelt sagte: "Let's switch to English". Ich: "Gerne". Dann Funkstille. Ich: "Darf ich annehmen, daß Sie nun einen deutschen Satz in ihrem Kopf versuchen, ins Englische zu übertragen?" Er stimmte mir im wesentlichen zu.

Den Hollywood-Film verstehe ich in der Originalsprache, García Márquez auch, und hier im Formum lese ich natürlich in Deutsch.

Das heißt doch nichts darüber, wo die Verarbeitung in Ihrem Hirn stattfindet?!

Das geht manchmal sogar soweit, dass ich mir nach dem Lesen eines Textes nicht mehr sicher bin, in welcher Sprache er abgefasst war.

Ja, weil der Inhalt nun in bildlich-symbolischer Form abgespeichert ist, dort wo -ohne "sprachliches Denken"-, alles (Wissen) abgespeichert wird. Das besagt für die Frage der Sprachbeherrschung wenig bis gar nichts.

Die Sprache ist ja nur ein Vehikel, um Ideen zu transportieren. Ist die Idee einmal angekommen, kann man auf die Verpackung verzichten.

Richtig. Darum besagt -nach Einspeicherung ins Langzeitgedächtnis = eine Nacht drüber schlafen- die Tatsache, daß man sich nicht mehr an die Ausgangssprache erinnern kann, so gut wie nichts über die Frage der Sprachbeherrschung. Viele Menschen erinnern sich oft auch nicht spontan an das, was sie zu Mittag gegessen haben, insbes. Eltern, die wissen möchten, was ihre Kinder in der Kita gegessen haben, hören jeden Tag "Suppe" ...

Ich kann Ihnen leider nicht das Gefühl vermitteln, wie diese internen Vorgänge abliefen, wenn Sie die jeweilige Sprache beherrschten,

Hmm. Ab wann "beherrscht" man eine Sprache?

Wenn sie

a) im Sprachkortex abgespeichert ist (und nicht woanders)

und

b) gewissen "proficiency levels" genügt.

Erläuterung: auch wenn beim Zweijährigen die Muttersprache des hörenden Kindes garantiert überall auf der Welt im Sprachzentrum abgespeichert ist, beherrscht es seine Muttersprache noch nicht, weil man dafür eine gewisse Mindestzahl an Begriffen und dechiffrierbaren Worten (je nach sozialer Schicht und Kulturkreis verschieden) versteht.

Ich bin schon glücklich, wenn ich mich halbwegs verständlich ausdrücken kann und die meisten Texte ohne Wörterbücher verstehe, sowohl in der Mutter- als auch in den Fremdsprachen.

Das heißt

- daß die Mutttersprache zwar ("garantiert") im Sprachzentrum abgespeichert ist, aber, siehe Punkt b), der proficiency level nicht ganz dem entspricht, was sie an Ihrer "peer group" ablesen als wünschenswertes Niveau Ihrer gewünschten Sprachbeherrschung.

- Garantiert aber suchen sie in der Muttersprache im Wörterbuch (wenn Sie nicht grade mal Orthographie nachschlagen) nicht nach einem Wort, das sie nicht kennen, denn das könnten Sie gar nicht finden. Sie suchen also, zur Anreicherung Ihres Ausdruckes, vermutlich Synonyme oder suchen nach der Bedeutung eines Ihnen noch nicht geläufigen Fremdwortes.

- Nach Orthographie kann man übrigens nicht wirklich suchen, da müßte der Duden so freundlich sein, einen Eintrag "Oile -> Eule" bereitzustellen (ich besitze keinen, nehme aber an, so schlau war man dort noch nicht; das Buch wäre dann auch zehnmal so dick und teuer).

- In den Fremdsprachen kann man nur Wörter 'nachschlagen', deren muttersprachliches Äquivalent man kennt. Wenn man das tut und es auf diesem Wege einspeichert, landet es da, wo auswendig gelernte Phrasen gespeichert werden, nicht aber im Sprachzentrum. Dort würden sie nur dann bevorzugt landen, wenn man den Erstspracherwerb emulierte.

Jedes Gehirn entscheidet selbst, wo und wie es neues Wissen abspeichert.

Nein, echt? Und wieso finden dann Neurologen bei jedem dieselben Strukturen, die "feuern" - den visuellen und Sprachkortex und eben bei solchen wie Ihnen noch eine dritte Region?

Selbstorganisation. Sogar in einem künstlichen neuronalen Netzwerk ist es "ökonomischer", wenn ähnliche Vorgänge in benachbarten Nervenzellen ablaufen.

Sag' ich doch. Darum ist es ja so verhängnisvoll, wenn die Fremdsprache nicht im Sprachkortex gespeichert wird, sondern, siehe die chinesische Englischlehrerin, wo ganz anders.

Beim Gehirn kommt dann noch das Thema "Energieversorgung" hinzu. Nach meinem Kenntnisstand wird die Durchblutung in aktiven Gehirnregionen gezielt hochgefahren.

Ja, was man heutzutage mit bestimmten bildgebenden Verfahren, die aber oft radioaktive Substanzen erfordern, nachweisen kann.

Insofern ist es sinnvoll, logisch zusammengehörige Strukturen auch räumlich zusammenhängend zu organisieren. Das bildet sich wahrscheinlich von allein heraus.

Sagte ich bereits. Darum ja ist der staatliche Fremdsprachenunterricht so verhängnisvoll!

Das ist doch jetzt nicht Ihr Ernst?

Doch. Nicht nur die Kodierung ist in jedem Gehirn individuell, sondern auch die exakte Lokalisierung und räumliche Ausdehnung der jeweiligen "Zentren"

Eben NICHT - wie sonst könnte man denn feststellen, daß der -immer an derselben Stelle lokalisierte Bereich der Ortskenntnis Londoner Taxifahrer sich signifikant gegenüber normalen Autofahrern vergrößert, wenn die Speicherung bei jedem "woanders" erfolgte? Oder wenn beim einen Taxifaherer der Ortskortex gleich bliebe, aber irgendwo im Riechzentrum ein neuoplastischer "Anbau" stattfände? Und wie fix, meinen Sie, würde der Taxifahrer mit der Ortskenntnis im Riechzentrum sich in London zurechtfinden? Genau so geht's dem, der seine fremden Vokabeln an der falschen Stelle abspeichert!

Ich hatte schon angedeutet: wer als Informatiker mit täuschend 'neuronal' genannten Hard- und Softwareplattformen umgeht, verwechselt sich leicht mit einem Neurologen ...

Haben Sie sich, vor Ihrer erneuten Antwort, eigentlich je intensiv mit Neurologie und Hirnanatomie und neuronaler (nicht hardware-simulierter) Reizverarbeitung befaßt (ich meine nicht nur auf Niveau des PM-Magazin)?

eben weil jedes Gehirn selbst entscheidet, wie es sich organisiert.

Nein. Auch kein Säugling entscheidet, die Arme statt der Beine zum Gehen zu verwenden!

Und das ist nichtmal statisch, Stichwort Neuronale Plastizität: "Eine häufige, aber überraschende Konsequenz der Plastizität ist, dass eine gegebene Funktion im Hirn von einer Stelle zu einer anderen „wandern“ kann."

Ja, aber nur, wenn das Gehirn gezwungen wird, z.B. durch Taubheit oder Blindheit, verdrahtet es das -ansonsten nutzlose!!!- Hirnareal anders.

Oder wozu macht man sich sonst die Mühe, vor komplexen Gehirnoperationen stundenlang eine individuelle kortikale Karte zu erstellen, damit der Chirurg sowenig Schaden wie möglich anrichtet?

Ich glaube, da sind sie blutiger Laie. Oder wo, glauben Sie, "sucht" der Hirnchirurg da "herum"? Einfach willkürlich - mal seh'n, das ist die Zirbeldrüse, mal gucken, oder der da rot sieht? Natürlich nicht. Sondern der Hirnchirurg, so er approbiert ist, weiß genau zu unterscheiden, ob er im Sprachzentrum, im visuellen Kortex sucht oder nicht. Was er nur nicht weiß, ist, wo das jeweils individuelle Areal für "rot" oder "Glühstrumpf" oder "Kuh" lokalisiert ist. Darum funktioniert (künstliches) Gedankenlesen nicht. Aber sehr wohl weiß jeder Hirnchirurg und Neurologe, welche Funktionen zuerst ausfallen, wenn jemand mit dem Baseballschläger genau hinten auf den Kopf getroffen wird, oder wenn er im rechten vorderen Stirnlappen einen Schlaganfall erleidet!!!

Wenn man einmal unterstellt, dass das Gehirn tatsächlich ein gigantisches neuronales Netz ist, dann zeigen meine Erfahrungen mit technischen neuronalen Netzen, dass es sehr schwer ist, einmal gelernte Verbindungen "umzuprogrammieren".

Sagte ich ja: "ist kaum noch heilbar".

Das hat überhaupt nichts mit "gesund" oder "krank" zu tun.

Doch, es würde vom Logopäden "krank" und "behandlungsbedürftig" genannt, wenn ein Kind nicht wenigstens seine Muttersprache im Sprachzentrum 'verwaltete'. Es wäre nahezu lebensunfähig.

Neuronale Netze lernen eben auf eine bestimmte Weise, ob uns das nun gefällt oder nicht.

Sind aber nicht mit dem bereits mit spezialisierten Hirnregionen zur Welt gekommenen Tier- oder Menschenhirn vergleichbar!!!

Es glaubt ja auch niemand im Ernst, eine Schultafel mit ein paar Wörtern oder Rechenaufgaben darauf sei ein Modell derer Wissensrepräsentation im Hirn!

Schule kann darauf bestenfalls Rücksicht nehmen. Beispielsweise halte ich diese "Mode", Schüler zunächst so schreiben zu lassen, wie es ihnen aus der Feder fließt, und erst später auf Orthographie zu achten, für ausgesprochen gehirnfeindlich.

Das ist keinesfalls gehirnfeindlich, sonst hätten diese Menschen hinterher Ticks oder sonstige Steuerungsaufälle; das Hirn erfindet liebend gern eine neue Schreibweise, etwa, s.o., "Oile". Es ist nur Unsinn, das Schreiben von Wörtern zu erzwingen, die man nicht zweifelsfrei lesen kann. Man schickt ja auch keinen Paketboten irgendwohin, wo er die Straßen nicht kennt!

Sprechen vor lesen vor schreiben!!!

Gehen vor rennen. Ist nur noch nicht bei allen "Pädagogen" angekommen.

Da werden u.U. jahrelang falsche Verbindungen trainiert, die dann eben nicht mehr so einfach "umzuprogrammieren" sind.

Schwer umzuprogrammieren, wie jede eingeschliffene Gewohnheit; das ist ja geradezu die überlebenswichtigste Hirnfunktion, etwas Gelerntes nicht leichtfertig loszulassen! Aber daß das "falsche" Schriftbild sich mühelos einprägt, zeigt ja gerade, wie willig das Hirn das mitmacht, ohne (Ihre These) Schaden zu nehmen!!!

"Heilen" läßt es sich nur durch jahrelanges Lesen korrekt gesetzter Literatur. Verhindern hätte es sich erst recht lassen durch ... durch jahrelanges Lesen korrekt gesetzter Literatur.

Wenn man ein bereits trainiertes Netz mit neuen Informationen "füttern" möchte, dann geht das am einfachsten, indem man es mit "jungfräulichen" Neuronen erweitert, die dann das neue Wissen aufnehmen und das alte ergänzen.

Das neuronale Netz im Computer ist insofern nicht mit dem menschlichen Kortex vergleichbar.

Wieso nicht?

Echt jetzt? Haben sie mal in beide reingeschaut? Das Gehirn hat vorspezialisierte Bereiche und Milliarden Neuronen mit vermutlich Billionen Verbindungen, ein typisches neuronales Netz hat ...?

Hat das überhaupt schon mal jemand untersucht, was genau auf zellulärer Ebene passiert, wenn das Gehirn eine neue Fähigkeit erlernt und sich die entsprechende Region "vergrößert"? Ich würde mal vermuten, dass da durchaus neue Nervenzellen entstehen.

Das hat man untersucht, und es unterscheidet sich immer noch arg von dem, was Menschen bisher nachbauen können (was ich nicht schade finde).

Und natürlich entstehen neue Nervenzellen (täglich!), es werden auch in bestimmten Fällen geschädigte Nerven regeneriert, sowohl in Hirn wie Rückenmark und peripher. Sonst hätte der erst kürzlich verstorbene Bill Bartmann, mit vierzehn Jahren vom Hals ab querschnittsgelähmt, nicht durch bloße Willenskraft nach einem halben Jahr wieder gehen können.

Nochmal zusammengefaßt: wenn der Mensch mit der falschen Methode eine fremde Sprache "lernt", so speichert er deren "Vokabular" nicht im Sprach-/visuellen Zentrum ab (genauer, da das holographisch geschieht: nicht dort, wo er seine bisherigen Synonyme abspeicherte), sondern woanders (da "würfelt" das Hirn tatsächlich etwas, ist es doch eine unnatürliche Anforderung). Und darum braucht er länger, um Gesprochenes oder Gelesenes zu dekodieren, so daß es ihm schließlich über sein über das Sprachzentrum von außen zugängliches visuelles Zentrum verstandesmäßig zur Verfügung steht. Und umgekehrt ist der Weg genauso umständlich: ein Gedanke formt sich im visuellen Zentrum, wird zu dem Fremdsprachen-Thesaurus an anderer Stelle geschickt, dort in der Fremdsprache kodiert und dann ans Sprachzentrum geschickt, das dann die Glottis ansteuert.

Man könnte es einfacher haben.

Das ist aber genauso müßig, mit jemandem, der diese Erfahrung nicht hat, zu diskutieren, wie über Körperamnesie mit einem älteren angehenden, bereits vorgeschädigten Freizeitsportler ...

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