Debitismusfundamentalkritik: Ohne Gewaltmonopol keine Meinungsfreiheit - und ohne Meinungsfreiheit kein Geld?

nvf33, Mittwoch, 10.05.2017, 16:24 (vor 2542 Tagen)3546 Views

Rührt die (verleugnete) Meinungsdiktatur womöglich aus dem Verzicht der Regierungen auf offenen und überzeugten Gewalteinsatz?
Diese Vermutung kam mir bei der Lektüre eines Aufsatzes von Kant ("Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?"), und ich meine, dass er für das Forum einen relevanten Beitrag liefert:
" ... Aber auch nur derjenige, der, selbst aufgeklärt, sich nicht vor Schatten fürchtet, zugleich aber ein wohldiszipliniertes zahlreiches Heer zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, kann das sagen, was ein Freistaat [..ohne König] nicht wagen darf: räsonniert, soviel ihr wollt, und worüber ihr wollt, aber gehorcht! ..."

Wenn diese Paradoxie so stimmt, dann ist es die Angst der Regierungen, klare Grenzen zu ziehen, die uns derzeit plagt.
Die Amerikaner sind überfordert mit der Verwaltung Deutschlands, und die Deutschen selbst sind dieser Aufgabe als moralische Musterschüler entwöhnt.
Klare Grenzen bedeuten auch klare Komfortgrenzen, die Wohlstandsabonnenten offenbar nicht mühelos beizubringen sind.
Ohne klare Kante vom Staate her scheint es aber nicht zu gehen. Der Staat verweigert sich seiner offen rahmengebenden Aufgabe (indem er sich hinter Wirtschafts- und Geldpolitik versteckt). Das bedeutet mit Kant die Verlagerung der Diktatur ins Meinen und Sagen. Gesinnungsdiktatur statt Knüppeldiktatur also, und es mehren sich die Stimmen, die keinen reinen Fortschritt darin sehen.

Ich stelle obige These zur Diskussion, weil ich vermute, dass der Debitismus unter diesem Aspekt eine Fehlstelle enthält.
Mit dem Geld einher geht die süße Illusion, dass es ohne Grenzen wirksam sei, es also aus sich selbst heraus etwas wert sei.
Dem setzt der Debitismus entgegen, dass am Anfang allen wirtschaftlichen Seins die Schuld stehe, d.h. eine aus sich selbst heraus zur Tat drängende Beziehung zwischen dem einzelnen Menschen und seiner Umwelt.

Nun sind der zur Tat drängenden Beziehungen viele, aber mitnichten ist jede davon eine Schuld. Neid und Gier sind solche, aber auch Freundschaft, Lust und Liebe.
Debitismus konzentriert sich dennoch auf die asymmetrischen Beziehungen, d.h. auf diejenigen, die auf einem einseitigen Mangel beruhen, der z.B. auch unter Gewaltanwendung zur Erfüllung gelangen können. Geld hat dagegen etwas mit Bewertung zu tun, also mit Meinung und Neigung, und auch mit Lust und Freude.
Wenn man nun das Geld in Schuld umrechnet, etwa weil es so verwaltet wird, dann begeht man mit Kant (siehe oben) aber einen Fehler:
Man verwechselt Räsonnieren (also die geistige Freiheit) mit Gehorchen (also der Verwaltung, der man angehört).

Aus diesem Grunde frage ich mich, ob die Wirksamkeit des Geldes eher in Vertrauensbereitschaft gemessen werden sollte, anstatt in physisch vollstreckbaren Zwängen (d.h. Schulden oder Steuerzwänge etc. wie der Debitismus lehrt). Andernfalls finge man sich mit Kant eine Gesinnungsdiktatur ein, à la mitmachen dürfen alle, aber nur, wenn sie Geld auch als Zwang ansehen (und sonst wird auf sie Zwang angewandt).

Geld als Gewaltsymbol anzusehen wäre mit Kant ein Kategorienfehler. Wie sollte ein idealer Staat sich selbst erhalten? Schwierig...Gewalt als einziges Bindemittel funktioniert nicht, auch dann nicht, wenn sie verleugnet wird. Die staatliche Gewalt ist also real vom Geld unabhängig. Meiner Vermutung nach ist das Gewaltpotential des Staats eine reine Funktion der Vertrauensbereitschaft seiner Nutzer, die soweit gehen kann, dass sie für ihn zuschlagen.
Wenn sie aber nicht soweit geht, dann kann auch Geld das mangelnde Vertrauen nicht ersetzen. Staatliche Gewalt bedient sich offenbar des Vertrauens seiner Bürger, aber sie ist nur solange gerechtfertigt/nachhaltig, wie sie zur Vertrauensbildung beiträgt.

Folglich wäre eine Trennung von Gewalteinsatz/Exekutiver und Wirtschaftspolitik das oberste Gebot eines funktionierendes Staatswesen: Ersteres verbraucht Staatsnutzervertrauen, und Vertrauen in den Staat erlaubt überhaupt erst Abstraktionen wie die des Geldes. Psychische Waffen, wie sie inzwischen weitläufig im Einsatz sind, wären damit die instituionell suizidal, weil sie sich gegen die eigene Substanz wenden - und zwar egal ob staatlich, überstaatlich NGO-mäßig oder sonstwie.

Ich wittere nun, dass diese Sichtweise mit dem Debitismus nicht recht harmonieren mag, oder?

Freue mich auf Entgegnungen!

Grüße
nvf33


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