Selbstverwaltung und demokratische Strukturen setzen gewisse Homogenitäten voraus - ethnisch-kulturelle und Bildungsstand

Literaturhinweis, Mittwoch, 26.04.2017, 15:25 (vor 2550 Tagen) @ Weiner9347 Views
bearbeitet von unbekannt, Mittwoch, 26.04.2017, 15:36

Hast Du schon mal Selbstverwaltung ausprobiert - bei Dir in Deiner Straße, in Deiner Kommune, in Deiner Firma? Mir reichen schon die Wortmeldungen und das Verhalten bei den Versammlungen des hiesigen Obst- und Gartenbauvereines!

Ich habe schon mal -pro bono- einen sog. "selbstverwalteten" Betrieb beraten, der eigentlich dazu gedacht war, ehemals Arbeitslose zu qualifizieren und ihnen ein Auskommen außerhalb der 'pöhsen' kapitalistisch organisierten Wirtschaft zu ermöglichen.

Die Geschichte von Arbeiterselbstverwaltung ist lang. Auch in Jugoslawien versuchte man das als eine Art "dritter Weg" zwischen "Raubtierkapitalismus" und scheiternder sowjetischer Kommandowirtschaft; die Ergebnisse waren eher suboptimal. Vor allem war dort das Pikante: um an Devisen zu kommen, mußten sich die Arbeiter nun "selbst ausbeuten", um in den Westen liefern zu können - zwar waren die Löhne niedriger, aber die Produktivität ist eben in einem straff geführten und hochtechnisierten "kapitalistischen" Unternehmen höher.

Auch heute noch andauernde Projekte im Westen sind nicht ohne Tragikomik. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als man sich vom nationalsozialistischen Führer-Prinzip in den Betrieben und der Reichsarbeitsfront erholen wollte, gewann das Thema wieder Schwung.

Im Nachgang der Studentenbewegung wurden dann viele "alternative" Betriebe gegründet und ideologisch untermauert. Letzte Reste existieren immer noch und es gibt auch immer wieder neue Ansätze (siehe Übersicht).

Daneben gibt es Unternehmen mit sozialer Zielsetzung, die aber durchaus konventionell-hierarchisch strukturiert sein können.

Man hat sich u.a. erhofft, daß es in solchen Unternehmen Schutzbereiche gegenüber der herkömmlichen Wirtschaftsweise geben könne, und als sich dies als unrealistisch herausstellte, versuchte man, bevorzugt sich mit anderen Unternehmen gleicher "herrschaftsloser" Ausrichtung zu vernetzen. Wenn aber solch ein "Netzwerk" (etwa von Bauhandwerkern verschiedener Gewerke) konkurrieren will, darf unter ihnen kein "faules" Ei sein - sonst kaufen die besseren Betriebe des Netzwerkes nämlich bei der nächsten Ausschreibung Hilfestellung aus der "konventionellen" Wirtschaft hinzu. So hat jedes solche Unterfangen die inhärente Tendenz zur Erosion.

Es gab sogar eine "Reihe Selbstverwaltung" in der AG SPAK, von der aber die meisten Bücher vergriffen sein dürften, vgl. Knatsch, Zoff + Keilerei: Konflikte in Gruppen und selbstverwalteten Betrieben. Diese "Beratungsanleitungen" waren derart kompliziert, daß ich zum Schluß kam, diese Bände wurden nur geschrieben, um sich selbst auf Kosten der ohnehin defizitären selbstverwalteten Unternehmen Beratungshonorare zuzuschanzen.

Das Ergebnis ließ sich recht kurz zusammenfassen:

a) diese Leute waren in der normalen Wirtschaft, bis auf ein paar ganz wenige nicht arbeitsfähig

b) wollten sich aber auch nicht qualifizieren bzw. weiter qualifizieren lassen

c) dachten jedoch, daß, da der Betrieb selbstverwaltet und "sozial" sei, sie Anspruch auf Stundenlöhne (und, oh jemine, auch noch andere Leistungen) haben müßten, die umso höher ausfallen müßten, als ja kein "Unternehmerlohn" für einen bösen Ausbeuter abgezogen werden müsse. Daß man aber nicht mehr verteilen kann, als erwirtschaftet wird, und daß sie als nun selbst Unternehmer, daher auch die Folgen tragen müssen, wenn ein Kunde nicht zahlt (konkret: kein Geld, gar keines, für den ausgeführten Auftrag - etwas, das der Unternehmer eben sonst aus der eigenen Tasche bluten muß!), das ging auch nach dem xten Male in viele Köpfe nicht hinein.

Einerseits wollte man, da unsozial, niemandem einen anderen (niedrigeren) Stundenlohn zahlen, murrte aber auch, wenn man einen Minderleister im Team hatte, für den man nun entweder selbst mehr leisten mußte oder eben einen Abschlag am eigenen -für alle gleichen- Verdienst hinnehmen mußte. Ergebnis: wie von Geisterhänden stellten sich die Teams immer selbst aus den Besser-Leistern zusammen und die Minderleister hatten gar kein Einkommen, da keine Stundenzettel. Nun könnte man meinen, nach ein paar Mal gebe es ein Einsehen und man sei bereit, für weniger Stundenlohn zu arbeiten. Theoretisch schon, aber da sich keiner traute, so unsozial zu sein, eine echte Einwertung des Minderleisters vorzunehmen (sowenig eben, wie sich niemand traut, einem andern zu sagen, er habe Mundgeruch), unterblieb die Stundenlohnskalierung eben doch. Am Ende scheiden diese Leute natürlich dann "freiwillig" aus dem Betrieb aus - aber das, was dann übrig bleibt, sind Leute, die überall hätten Arbeit finden können, d.h. die Sache verrät über kurz oder lang ihren sozialen Grundgedanken; es ist dann eben ein Modell nicht für jeden.

So entstanden vermutlich anfänglich die Adelshäuser und die Handwerkergilden. Immer dasselbe Lied. Wird das erblich, dann besteht natürlich irgendwann kein Leistungsanreiz mehr und die Geschichte von Verfall und Aufbegehren wiederholt sich.

Nun ja, ich machte die Leute dann mit Marx' Kritik des Gothaer Programms vertraut (gab's damals für 50 Pfennige beim Dietz Verlag Ost-Berlin), indem ich jedem dieses kleine Bändchen schenkte. Die zehn Mark machen einen ja nicht arm.

Ergebnis: nicht nur, daß selbst das kaum einer frewillig las - man entdeckte nun seine Liebe zum antimarxistischen Anarchismus, da die bei Karl Marx enthaltenen Schlußfolgerungen (daß z.B. abgenutze Anlagegüter ersetzt werden müssen, und man dafür Rückstellungen bilden müsse) nicht mundeten.

Die Selbstverwalter erwiesen sich als beratungsresistent. Kurz danach machte einer von denen den andern ein Angebot, den Betrieb als Alleingesellschafter zu übernehmen und konventionell weiterzuführen. Ab da klappte es dann schlecht und recht.

Mein Fazit: es fehlte an Einsicht, und die kommt von Bildung. Je geringer der Bildungsstand, um so weniger sind die Leute schon fähig, sich selbst im Alltag zu verwalten und noch viel weniger können sie gleichberechtigt selbstbestimmt irgendetwas (und sei es nur ein Party!) organisieren. Wenn das heutztage schon im überschaubaren Rahmen nicht funktioniert - wie dann im größeren Verband?

Man mag nun meinen, das sei nur ein besonders unglückliches Beispiel gewesen - jeder soll daher sich gerne eines suchen, wo er/sie es besser macht. Wenn ich mich konkret umsehe, spricht die Statistik eher für meine Schlußfolgerungen.

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