Die historische Rolle der URSCHULD ..

Beo2, NRW Witten, Mittwoch, 29.03.2017, 17:25 (vor 2578 Tagen) @ BillHicks11727 Views
bearbeitet von unbekannt, Mittwoch, 29.03.2017, 17:57

Hallo BillHicks!

Die universalistische Urschuld kann unmöglich ein histrorisches Spezifikum erklären.

Nicht die Urschuld allein, natürlich. Obwohl, ihre Tilgung gelingt unter bestimmten historisch-systemischen Rahmenbedingungen möglicherweise besser als unter anderen, was zu der Herausbildung eben solch bestimmter (biologischer oder sozialer) Strukturen geführt hätte ...

Ein STAAT konnte ursprünglich nur entstehen, WEIL die Gemeinschaftsmitglieder die Begleichung eines Teils ihrer URSCHULD, nämlich für die eigene Sicherheit für Leib & Seele sowie den Schutz ihrer Besitztümer sorgen zu müssen, an die Machtinstanz/-organe des neugegründeten Staates delegiert haben.

die sog. "Urschuld" in diesem Sinne ist universal. Sie gilt es immer zu "begleichen".

Exakt. Und sie sanktioniert sehr schnell, sehr hart und ohne Pardon. Ihre Begleichung duldet keinen Aufschub, keine Stundung und keinen "Tilgungsausfall". Wie kann sie dann bei der historischen Systemanalyse außer Acht gelassen werden? Das wäre absurd. Und übrigens: MACHT kann mensch weder essen, noch Sex damit haben. Deshalb stellen sich mir folgende Schlüsselfragen:

__ 1) Welche (primären) menschlichen Bedürfnisse sind der sog. URSCHULD zuzurechnen?
__ 2) Welche Rolle spielte die Urschuld bei der Entstehung der Arbeitsteilung, der Vorratshaltung, der Überschussproduktion, des Tauschhandels, sowie der ersten "Wirtschaftskriege" (Raubzüge) in bzw. zwischen den ursprünglich egalitäten Gemeinschaften.
__ 3) Welche Rolle spielte die Urschuld bei/für die Bildung größerer, durchorganisierter Gesellschaften (mit Tausenden Mitgliedern, eigenem Militär usw.) bzw. der frühen Staaten? Welche Vorteile brachte die Staatenbildung für die tägliche Tilgung der eigenen Urschuld für die "Staasbürger"? Welche weiteren Vorteile gegebenenfalls brachte die Staatsbildung für die Entwicklung der menschlichen Kultur und Zivilisation?
__ 4) Welche Rolle spielte die Urschuld (= notwendige Bedürnisbefriedigung) bei der Entstehung der Geldwirtschaft? Welche Vorteile im Hinblick auf die Tilgung der Urschuld brachte die Gelderfindung?

Ich stelle auch noch fest, dass die aus der Urschuld entspringende, unbestreitbare, gebieterische Macht und Abgabenlast untrennbar mit dem Leben verbunden ist und somit viel früher da war als z.B. die Arbeitsteilung, die Staatenbildung, die Steuerabgaben, das Geld, die Kriege etc..
Bezüglich dieser "Schlüsselfragen" habe ich bei den hier versammelten Debitisten bisher so gut wie nichts gelesen. Da verwundert es mich auch gar nicht, dass diese etwa zu folgenden absurden Aussagen kommen:
Realwirtschaft sei ein bloßes Machtderivat des Staates bzw. der erzwungenen Steuerabgaben. Oder: Hinter dem Geld stecke nichts Reales. Oder: Menschen gehen der Arbeit und Wirtschaft nur nach, weil der "Staat" von ihnen Abgaben fordert. Die Urschuld sei für das Verständnis der wirtschaftlichen Tätigkeit der Menschen unwichtig oder nebensächlich. Usw. usf.. Dementsprechend kommt das Wort URSCHULD in den meisten, selbst in den längsten Beiträgen der sog. Debitisten hier kein einziges Mal vor, obwohl der Begriff von ihnen er- oder gefunden wurde.

Somit, es wundert mich auch gar, dass dem hier vertretenen Debitismus irgendwie die Bodenhaftung, eine stabile und allgegenwärtige Verknüpfung mit der Realwirtschaft fehlt. Insofern stelle ich dort ein sehr lückenhaftes Verständnis für REALwirtschaftliche und GELDtheoretische Zusammenhänge fest. Das Geld und die Realwirtschaft (Leistungsproduktion und -austausch) sind für mich aber zwei sachlogische Seiten einer einzigen Medaille. Zumindest nur so lange dies noch gilt, kann flächendeckend die Urschuld bedient werden und die Gesellschaft als solche fortbestehen. Hier zeigen sich allerdings bereits Auflösungserscheinungen, was schlimmes erwarten lässt.

Als "Schuld" konzeptualisiert halte ich diesen Umstand für eine Rückprojektion auf Basis von Erfahrungen innerhalb der europäisch-westlichen Zivilisation (sog. "Kapitalismus") auf die Geschichte.

Das Wort "Urschuld" ist zunächst nur eine Worthülse, welche mit sinnvollem Inhalt zu füllen ist .. aus der heutigen Sicht natürlich. Ich nehme an, dass damit in der Regel die primären menschlichen Bedürfnisse gemeint sind, nämlich: nach Nahrung, Wasser, Wärme & Licht, Bekleidung, Dach über dem Kopf, Sexualität & Fortpflanzung, Sicherheit & Unversehrtheit, Spiel & Entdeckung, evtl. Anerkennung/Bewunderung u.a.m..

Durch eine solche Definition wird diese Worthülse m.M.n. zu einem brauchbaren und sinnvollen Begriff .. zumindest für das heutige, historische, politische und auch zukunftsgerichtete Denken. Also:
URSCHULD = primäre menschliche (und tierische) Bedürfnisse, wie oben beschrieben.

Aber klar ist auch, dass auf diesen Begriff verzichtet werden kann, da es dafür eben Alternativen gibt.

Nominal fixierte Schulden bei allgemeiner Vermögenshaftung sind etwas anderes als eine universalistische "Urschuld" zur Erhaltung des Lebens.

Welche Rolle spielte und nachwievor spielt denn die URSCHULD bei der Entstehung der "nominal fixierten Schulden" und "bei der allgemeinen Vermögenshaftung"? Gar keine? Auf so eine absurde Idee kommen vielleicht nur die hier versammelten Debitisten. Auch Du scheinst irgendwo "mittendrin oder daneben anzufangen".

Diese universalistische "Urschuld" als Erklärung der europäisch-westlichen Zivilisation heranzuziehen halte ich deshalb für wenig hilfreich, weil diese europäisch-westliche Zivilisation gerade nicht universal, sondern historisch-spezifisch ist.

Nein, die "Urschuld allein" reicht als Erklärung gewiss noch nicht aus. Sie ist "nur" EINE der notwendigen, jedoch eine nicht hinreichende Bedingung für Entstehung der diskutierten Phänomene. Ich habe doch nicht zufällig geschrieben:

wir haben es hier mit evolutionären sowie komplexen und MULTIkausalen Phänomenen zu tun. Linear-monokausale Erklärungsmodelle taugen nichts.

Du bist ziemlich schnell mit deinem "wenig hilfreich". Mir jedenfalls hat gerade meine integrative Betrachtungsweise (im Ggs. zum Tunnelblick) sehr viel für mein Verständnis des heutigen Wirtschaftssystems sowie für meine Vision eines möglichen zukünftigen Systems gebracht. Andererseits bezweifle ich z.B., dass wer dein Eingangsposting (ff) gelesen hat, hinterher schlauer ist als vorher. Ich jedenfalls vermisse da eine "Bodenhaftung".

Schließlich, auch im Tierreich kommt es regelmäßig bei bestimmten Arten (Ameisen, Bienen etc.) zu einer Staatenbildung, OHNE dass dies "unter vorgehaltener Waffe" geschah oder geschieht. Es verschaffte diesen Tierarten einen Überlebensvorteil. Übrigens, auch in solchen tierischen Staaten kann nicht nur eine ausgeprägte Arbeitsteilung, sondern auch so etwas wie "Abgaben an die Königin und ihren Hof" beobachtet werden.
Die Blaupause (Bauplan) hierfür ist demnach auch in den abrufbereiten genetischen Programmen des Menschen mit angelegt.

Tierreich-Analogien halte ich für wenig hilfreich um den zugegebenermaßen unintuitiven Unterschied zwischen der physisch-psychischen Wirklichkeit und der juristisch-abstrakten Wirklichkeit klarer zu machen, weil das Tierreich letztere überhaupt nicht kennt.

So so, schon wieder dein "halte ich für wenig hilfreich" ... Mir jedenfalls hat es sehr geholfen, ein paar Dinge in der menschlichen Gesellschaft besser zu verstehen .. ja, gerade die zahlreichen "Tierreich-Analogien". Immerhin, der Mensch weist immer noch sehr viel Gemeinsamkeiten mit den Tieren auf .. gerade auch im Verhalten.
Immerhin habe ich nun schon zwei Ursachenkomplexe auf dem Tisch, nämlich:

__ 1) die genetische Ausstattung des Menschen mit der Urschuld (= primären Bedürfnissen), und
__ 2) die mögliche genetische Ausstattung des Menschen mit der "Idee" der Staatsbildung.

Und, wenn wir unsere Suche hier nicht selbstzufrieden beenden, werden noch weiter fündig ...

ERGO: Die wahre "Zentralmachtinstanz" ist und bleibt die eigene Urschuld jedes einzelnen Menschen, welche ihn dazu treibt, sich mit anderen zu einer Gesellschaft zusammenzuschließen und mächtige Staatsorgane (soziale Organ'Ismen) zu bilden.

Ist die Urschuld nicht immer vorhanden? Wie könnte sie so helfen die historisch-spezifische und gerade nicht universale Entstehung der europäisch-westlichen Zivilisation zu erklären?

Klar, die Urschuld allein reicht als Erklärung noch nicht aus. Auch das beim Menschen möglicherweise vorhandene genetische "Alternativprogramm" für die Staatsbildung reicht mir persönlich noch nicht aus, obwohl ich die "Verfügbarkeit" eines solchen Programms für naheliegend halte: Der Mensch ist m.M.n. zum Staatsbürger "geschaffen worden". Damit komme ich schon zum dritten Ursachenkomplex:

__ 3) Der Mensch denkt nicht nur RAUMlich, so wie die Tiere, sondern kennt bereits die ZEIT, d.h. die eigene Vergangenheit und die Zukunft als solche. Er denkt und lebt (mindestens) in vier Dimensionen, wenn wir zunächst das ebenfalls mögliche "Bewusstsein der eigenen Ewigkeit" (= 5. Dimension, Wiederkehr) außer Acht lassen. Tiere können anscheinend nur einige Minuten zurück und vorwärts denken. Der Mensch aber ist sich einer langen Kette des Vorher und Nachher bewusst (einschließlich der Geburt und des Todes), was ihm das Prinzip der Kausalität (und der Religion) erschlossen hat, und damit auch befähigte, Wissenschaft zu betreiben und eine gewisse Kontrolle über seine Lebensbedingungen und seine mögliche Entwicklung zu erlangen.

__ 4) Desweiteren möchte die Entwicklung der komplexen lebenspraktischen Sprachkompetenz und des sprach-logischen Denkens (Rationalität) beim Menschen zumindest erwähnt haben.

Natürlich, auch über diese Ursachenkomplexe finden wir hier in den Postings der sog. Debististen gar nichts. Und falls doch irgendwie erwähnt, wird bestenfalls bestritten, dass die Menschen irgendwelche (alternative) Entscheidung- und Entwicklungsoptionen besitzen. Für diese Art von Debitisten ist dies folgerichtig .. nicht jedoch für mich, obwohl ebenfalls ein Debitist.

Es braucht historisch-spezifische Ereignisse, die die "Urschuld" dann in einem anderen Kontext wirksam machen könnte. Die Urschuld für sich genommen erklärt bzgl. historischer Spezifika genau gar nichts.

Richtig, nicht allein die Urschuld:

__ 5) Ich möchte noch ein weiteres Ursachenkomplex erwähnen: Ich nenne dies "die Sachlogik" oder "intuitive, intrinsische Folgerichtigkeit" .. eine u.E. naheliegende Abfolge von Entwicklungsschritten oder -stufen. Wir wissen doch, dass bevor ein Kind ein Universitätsprofessor werden kann, muss es erst das Laufen, das Sprechen, das Lesen und das Schreiben, und noch ein paar Dinge mehr, welche etwas mit der Sozialisation und Sozialwerdung zu tun haben, erlernen. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften. Also:

Es gibt m.M.n. eine gewisse "evolutionäre Sachlogik", nach der sich die (sozialen) Phänomene entwickeln können, oder besser gesagt: entwickelt werden. Denn, nichts entwickelt sich von allein; dies trifft nur auf den Ver- und Zerfall komplexerer Strukturen zu (vgl. Lebenserwartung). Komplexität und Kultur entstehen nach einem vorausgehenden Bauplan (Idee, "Genom"), d.h. wird geplant (vorweggenommen) und dann realisiert .. wobei spätere absichtliche sowie zufällige Abweichungen vom Plan möglich sind. Von wem geplant? Das wissen wir noch nicht; ahnen aber irgendwie, dass da jemand sein muss. Und, zumindest einige Menschen sind daran bewusst und aktiv beteiligt.
Dies kann z.B. sehr schön und völlig undogmatisch an der Entwicklung des Geldes (als Zahlungsmittel) aufgezeigt werden:

http://finanzcrash.com/forum/read.php?1,149920,149920
http://finanzcrash.com/forum/read.php?1,149920,149921

Arbeitsteilung => Überschussproduktion => Geschenkwirtschaft => Tauschhandel (ca. ab 5000 v.Chr.) => Warengeld (ca. ab 4000 v.Chr.) => Gold-/Silbermünzen (ca. ab 650 v.Chr.) => Zettelgeld/Goldstandard (ca. ab 1500 n.Chr.) => Geld-/Finanzwirtschaft (ca. ab 1600) => Kreditgeld (Fiat Money; ca. ab 1944 bzw. 1973)

Ich vermute, dies liest Du nicht gerne. Vielleicht auch dies nicht (?):
GELD ist nicht nur heutzutage, sondern bereits seit vielen Jahrhunderten für die meisten Menschen ein absolut unverzichtbares Mittel, um an die benötigten materiellen Güter für die Tilgung der eigenen Urschuld kommen zu können. Dies ist auch genau der Hauptgrund, warum die meisten Menschen jeden Tag arbeiten oder betteln gehen. Wen wundert's? Mich gewiss nicht.

Diese pragmatische Lösung, um einen Teil der eigenen Urschuld effektiver, rationeller zu begleichen und sich damit einen Überlebensvorteil zu verschaffen, ist nicht nur dem Menschen eigen, sondern kommt auch im Tierreich vor.

Weshalb haben Tiere keine juristisch-abstrakte Wirklichkeit zur physisch-psychischen Wirklichkeit hinzu erfunden?

Weil ihnen die weiteren Voraussetzungen dafür fehlen - siehe Punkte 3) bis 5). Obwohl sie ebenfalls der Urschuld unterliegen und vermutlich auch über das alternative genetische Programm für die Staatsbildung ansatzweise verfügen. Jedoch, nicht alle vorhandenen genetischen Programme werden von allen Spezies auch realisiert, selbst bei den Menschenarten nicht .. siehe die Urwaldgesellschaften in den Amazonas, in Papua-Neuquinea, teilweise noch in Afrika u.ä.. Auch der Neandertaler hatte für die Staatsbildung nichts übrig .. nicht einmal für die Landwirtschaft und Viehzucht.

Und noch was: Waffenproduktion, wie jegliche andere Produktion, und die erfolgreiche Versklavung von Menschengruppen konnte nur in oder durch bereits organisierte(n) und arbeitsteilige(n) Gesellschaften geschehen.

Nicht aber das Entstehen anderer sozialer Organisationsformen, etwa eine strenge Hierarchie unter aus akephalen Horden ausgeschlossenen Männern. Diese streng-hierarchische Sozialordnung eignet sich selbst bei simpelsten "Waffen" (Fäuste können Waffen sein) ungleich "besser" für "Kriegsführung" als die Ordnung einer egalitären, akephalen Gemeinschaft.

Ich bestreite keineswegs, dass es dies gegeben hatte. Im Gegenteil. Die Frage ist jedoch:

__ 1) Führte ausschließlich die Gewaltanwendung gegen Menschen zu Staatenbildung? Gab es keine anderen Motive für Staatsgründungen?
__ 2) Welche kausal-treibende Rolle spielte die sog. Urschuld bei der Staatenbildung, eventuell neben anderen Faktoren?

Denn, MACHT an sich kann mensch ja nicht essen und auch kein Sex damit haben! Die Urschuld und ihre Abgabenlast, neben anderen von mir erwähnten Faktoren, sollte an zentraler Stelle der historischen und heutigen Systemanalyse platziert werden .. sowie bei der Planung der Zukunft.

Die Evolution must go on ... Und: Alles kann so klar beschrieben werden, dass es die meisten Menschen verstehen.

Davon bin ich überzeugt. Wer es nicht klar und einfach sagen kann soll seine Klappe halten und weiter studieren bis er es klar und einfach sagen kann. Was das betrifft bin ich bei Popper.

Ich möchte dem Karl Popper noch gerne den Ludwig Wittgenstein dazugesellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Wittgenstein
http://www.gleichsatz.de/b-u-t/trad/witt.html

Mit Gruß, Beo2


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung