Richterliche Gründlichkeit versus richterliches Arbeitspensum, Ebbe in den öffentlichen Kassen - Gefahr für den Rechtsstaat?

Literaturhinweis, Samstag, 04.02.2017, 17:11 (vor 2631 Tagen) @ Literaturhinweis4471 Views

Im Nachgang zur Befassung mit der Problematik richterlicher Entscheidungsfindung und 'Objektivität', die hier verschiedentlich, durchaus in den geschilderten Einzelfallen zurecht, angezweifelt wurde, hier ein zufälliges Fundstück zur Problematik der richterlichen 'Gründlichkeit' versus dem vorhandenen Stellenschlüssel und der (steigenden) Arbeitsbelastung und Fallzahl.

Daß dagegen die Selbstreinigungskräfte der Justiz gänzlich darniederlägen (wenn auch die Erblasten des Dritten Reiches nicht gerade geholfen haben), kann man auch nicht pauschal behaupten, wie z.B. dieser Fall eines unzulänglichen Urteils zeigt: "Nicht ansatzweise ein Urteil – schlicht eine Frechheit".

Daß Obergerichte bestimmte Grundrechte durchaus ernstnehmen, kann man z.B. Entscheidungen über die Vertraulichkeit des Wortes, die Unantastbarkeit von Tagebüchern, die Nicht-Verwertbarkeit von abgehörten Selbstgesprächen u.v.a. entnehmen. Siehe auch "Die Gedanken sind frei".

Siehe auch einen Prozeßbericht, um ein Gefühl für das dabei mögliche Hin und Her zu entwickeln. Siehe auch einen derzeit anstehenden Grenzfall aus den USA. Die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und dem Interesse von Opfern und Allgemeinheit an Verbrechensaufklärung und Bestrafung/Sühne wird immer Unzufriedene zurücklassen und natürlich gibt es Fälle, in denen sich etablierte Kreise gegenseitig 'helfen', das ist das Wesen der Dialektik und reicht zurück bis zu Antigone, wo es um Konflikte zwischen Naturrecht bzw. Anstand und Königsrecht ging.

Daß das NSU-Verfahren verstärkt dazu beiträgt, das Mißtrauen in die Justiz zu vertiefen, ist leider nicht zu ändern. Hier aber wäre es an der Zeit, sich kritischer mit der Rolle von Geheimdiensten in politischen Mord- und Anschlagsverfahren auseinanderzusetzen. Statt dessen wird das alles schlimmer, wenn man sich die gestiegenen Eingriffsbefugnisse der Geheimdienste weltweit in allen Industriestatten seit dem 11. September 2001 ansieht - aber es bleibt zu vermerken, daß diese 'Rechts'lagen von niemandem andern geschaffen werden, als den Bürgerinnen und Bürgern, die den ewig gleichen Parteien hierzu seit Jahrzehnten das Mandat erteilen.

Dennoch: die 'Checks and Balances' des deutschen Justizbetriebes sind i.W. folgende:

Der

- Strafvereitelung (im Amt)

steht die Androhung von Strafe wegen

- Verfolgung Unschuldiger

gegenüber.

Und der allzu großen Bequemlichkeit bei der Ausübung beamtlicher, richterlicher oder staatsanwaltlicher Tätigkeit steht die Strafandrohung der

- Rechtsbeugung

gegenüber, ebenso wie (auch durch grob unrichtige Strafurteile oder Strafvollstreckung bzw. Sicherheitsverwahrung zu 'begehende')

- Freiheitsberaubung

gegenüber.

Es ist schon nicht ganz so, daß sich Staatsanwälte und Richter hier der Fußangeln nicht bewußt wären oder sie bewußt ignorierten, da 'eine Krähe der andern kein Auge aushacke' - schließlich kann eine entsprechende Anklage, auch noch nach vielen Jahren, ggf. Jahrzehnten, nicht nur zur (Gefängnis-) Strafe führen, sondern auch zur Entfernung aus dem Dienst inklusive Aberkennung oder empfindlicher Kürzung der Pensionsansprüche.

Siehe auch den, sogar durch Unterlassen begehbaren, Tatbestand der 'Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat'. Dieser trifft selbst Ministerpräsidenten der Länder oder die Bundeskanzlerin, wenn alle zwischengeschalteten Instanzen/Vorgesetzten sich beteiligen bzw. wegschauen oder zu Straftaten ermutigen. Es findet sich jedoch erkennbar kein Bürger, der etwas unternimmt. So groß kann also das Interesse (oder der Mut) nicht sein.

Viel problematischer ist, daß Kinder heute in der Schule zwar schwimmen lernen, was dem 'Wasser hat keine Balken' etwas von seinem Schrecken nimmt, jedoch nichts über das Rechtssystem lernen, was sie später im Leben befähigen würde, sich instinktsicher in Rechtssachen zu verhalten. Die vereinzelten Berichte, die ich im Leben von Schülern über den mittlerweile in manchen Bundesländern -oft im Rahmen der 'Sozialkunde'- eingeführten Rechtsunterricht erhalten habe, sind derart traurig und für die (oft desinteressierten) Schüler verwirrend, daß sie höchstens zum Gefühl des Ausgeliefertseins weiter beitragen. Dabei mangelt es nicht gerade an Literatur.

Dagegen würden viele der -auch hier im Forum- über die Jahre geschilderten Übergriffe z.B. seitens Polizeiorganen fein säuberlich unterbleiben, wenn die betr. Beamten zu spüren bekämen, daß ihr 'Klient' sich seiner Rechte bewußt ist. Leider kursieren dazu aber im Internet, insbes. auch auf den einschlägigen Videoportalen, mittlerweile derart abartige Vorstellungen zum Rechtssystem und zu 'klugem Verhalten bei Gericht', daß man mittlerweile nicht nur zwischen Juristen und Nicht-Juristen unterscheiden muß, sondern auch noch eine Klasse 'gefestigter Weniger-als-Nicht-Juristen' dazu erwachsen ist und auch immer noch stark anwächst. Viele von diesen verlieren Haus und Hof oder Arbeitsplatz deswegen.

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