Also sind ökonomische Theorien, die klären wollen, warum gewirtschaftet wird, mit der Antwort …

Ostfriese, Montag, 06.05.2024, 09:15 (vor 14 Tagen) @ Otto Lidenbrock635 Views

Hallo Otto

Selbstverständlich produziert eine funktionierende Wirtschaft nach den Bedürfnissen und Wünschen der Gesellschaft.

Ich erlaube mir, Paul C. Martin in

https://archiv.dasgelbeforum.net/ewf2000/forum_entry.php?id=41645 Re: @dottore Ergänzung - Danke für die guten Fragen! Plus Freiwirte-Lob ... verfasst von dottore, 14.02.2001, 19:35

zum Thema Bedürfnisse, die es als solche nicht gibt, ausführlich zu zitieren. Sie beziehen sich immer auf etwas ganz Konkretes und dieses ist produziert. Produziert werden kann aber nur nach den eisernen Regeln der Ökonomie: Es muss immer vorfinanziert werden.

--------------------------------

Hi Aldi,

im Wesentlichen sind die folgenden Einwände, die Du bringst, berechtigt. Es geht beim Debitismus nicht um eine Menschen- und Welterklärung als solche, sondern nur darum, einen nicht unwichtigen Teilbereich, nämlich das Wirtschaften (solo oder in Arbeitsteilung) vor allem (nicht ausschließlich, klaro) als Resultat des Existenzdrucks (Urschuld), Angst vor Illiquidität, usw. darzustellen.

was mir noch Kopfzerbrechen macht, ist die These, dass mich nur der Schuldendruck und nicht eine differenzierte Bedürfnisstruktur zum Wirtschaften bringen soll.

Bei den Bedürfnissen arbeite ich mit der Arbeitshypothese, dass es Bedürfnisse, sofern sie nicht mit "Sauerstoff", "Wasser" usw. zu umschreiben sind, sich immer auf konkrete (!) Dinge beziehen. "Kleidung" heißt eben nicht nur Bekleidetsein, sondern zielt auf ein bestimmtes Kleidungsstück (Mantel usw.). Dies wiederum setzt ein bereits produziertes Kleidungsstück voraus, das in einer Form von Wirtschaft gefertigt sein muss. Niemand stellt einen Mantel, den er selbst nicht braucht, her, wenn er ihn nicht "verkaufen" will. D.h. das Bedürfnis "Mantel" bei einem anderen kann nur entstehen, wenn er einen Mantel sieht.

Denkt man das hin und her, kommt man schnell zum Punkt, dass Bedürfnisse (in dieser Definition) nicht Wirtschaften beginnen lassen, sondern bereits Wirtschaften voraussetzen. …, "weil es Bedürfnisse gibt" in einem Zirkelschluss, da bereits gewirtschaftet werden musste, weil sich sonst Bedürfnisse nicht erklären lassen.

Selbst wenn wir auf der Hypothese arbeiten, dass die traditionelle VWL mit Ihren Bedürfnis- und Tauschtheorien falsch liegen, sollten wir uns frei von diesen Denkkategorien einmal mit Maslow + Debitismus beschäftigen.
Von den Psychologen Maslow lernen wir, dass unser Handeln und Unterlassen viele Motive hat. Die materialistische Grundversorgungs(druck)variante als Fundament wird gleichgesehen. Es ergeben sich aber weitere Entwicklungsstufen, die mir im Debitismus noch fehlen:
Physiologische Bedürfnisse. Diese Bedürfnisse sind biologisch und bestehen aus dem Bedarf an Sauerstoff, Nahrung, Wasser und eine relativ konstante Körpertemperatur. Diese Bedürfnisse sind die stärksten, da bei Nichterfüllung der Mensch sterben würde. Hier setzt sicherlich der wirtschaftliche Druck am Stärksten ein.

Das ist völlig richtig. Dieser Druck existiert "als solcher". In welcher Form der Druck dann abgearbeitet wird (allein oder arbeitsteilig, also mit Kontrakten und ergo Kontraktschulden) spielt keine Rolle. Er muss einfach abgearbeitet werden, sonst geht der Mensch unter.

Sicherheitsbedürfnisse. Diese treten in Zeiten der Not oder Perioden der Desorganisation in der sozialen Struktur verstärkt hervor. Es handelt sich dabei um Bedürfnisse nach Sicherheit und Stabilität, Schutz, Strukturen, Grenzen, Freiheit vor Furcht, Angst und Chaos. Auch hier gibt es Gemeinsamkeiten, das ganze Jükü-Forum ist davon beseelt unter dem Druck der unausweichlichen Krise wirtschaftlich davon zu kommen, sich vorzubereiten...

Mein Bedürfnis nach Sicherheit, um dies als Beispiel zu nehmen, setzt das Bedürfnis nach "Besicherung" in die Welt, womit wir bei Waffen oder Soldaten wären – beides "Produkte" von dann bereits existierender Wirtschaft (Steinbeilproduktion) bzw. Arbeitsteilung (Soldat muss bezahlt werden).

Sicherlich gibt es Wechselwirkungen, Kartenhäuser, Krisenschaukeln ..., die genau in diese Sicherheitslücke fallen und kollektiv Chaos und Sozialnot etc. verbreiten. Nur Ursache und Wirkung wird breit diskutiert. Mit der Erkenntnis und Verbreitung sind wir auch ein Stück Ursache, moralisch gerechtfertigt mit es würde sonst nur noch alles noch schlimmer?

Das ist ein sehr guter Punkt. Und wir merken ja in diesem Forum, wie sehr diese Fragen der Absicherung diskutiert werden. Das tun die meisten ja nicht als Gedankenspielerei, sondern weil ihnen echt "mulmig" ist.

Bedürfnisse nach Liebe, Zuwendung und Zugehörigkeit. Menschen haben das Bedürfnis, Liebe und Zuwendung zu geben und zu empfangen und sich zugehörig zu fühlen. Die Frustration dieser Bedürfnisse führt zu Einsamkeit, Isolation und Entfremdung. Na endlich mal etwas, was nicht käuflich ist. Mit dem letzten Treffen hat ein Teil des Forums diese Entwicklungsstufe erreicht.

Auch volle Zustimmung. Es gibt zwar die US-Schule um Gary Becker, wonach auch Ehe usw. sub specie oeconomiae betrachtet wird, aber das sind wirklich Grenzbetrachtungen. Wenn ein Teilnehmer (war's Baldur?) zum Schluss gesagt hat, das Treffen hätte einen Gegenwert von 1000 Mark gehabt, dann ist dies kein ökonomisch relevanter Satz, sondern auch eine Form der "Bezahlung" für die Vielen, die das Treffen so vorzüglich vorbereitet und durchgeführt haben.

Selbstverständlich gibt es auch einen breiten "meta-ökonomischen" Bereich im Leben, den wir uns unbedingt erhalten (und hier im Forum ausweiten) sollten. Wer hier postet (oder antwortet und hilft) tut dies ja aus freien Stücken und der "Lohn" besteht darin, dass er sich in dieser kleinen Welt "behaust" fühlt.


Bedürfnisse nach Achtung. Menschen brauchen einen stabilen, fest gegründeten, hohen Level an Selbst-Respekt und Respekt von anderen, um sich zufrieden, selbstbewusst und wertvoll zu fühlen. Wenn diese Bedürfnisse verfehlt werden, fühlt sich die Person unterlegen, schwach, hilflos und wertlos. Unsere nächste Zielsetzung, sofern wir dort noch nicht angekommen sind. Kann das mit einer absoluten Wahrheit vereinbar sein? Debitismus ein Anstoß unter vielen?

Ein Anstoß unter vielen und - wie schon gesagt - ausschließlich auf die "nackten" ökonomischen Abläufe reduziert und konzentriert. Oder ein etwas anderes Beispiel: Es gibt viele Familientragödien (Vater erschlägt die Seinen und tötet sich dann selbst), die eindeutig auf Überschuldungsprobleme zurück zu führen sind. Ich habe lange nach psychologischen Arbeiten zu diesem Thema gesucht, aber keine gefunden. Hier (Mord und Selbstmord als Ausfluss eindeutig ökonomischer Tatbestände) fehlt sozusagen die Anschlussforschung in anderen Wissenschaften. Das hängt auch damit zusammen, dass das Phänomen "Schuld", das ja in allen Religionen eine große Rolle spielt ("... und vergib uns unsere Schuld...") zu den am stärksten verdrängten Phänomenen der Menschheit zählt.


Selbstverwirklichungs-Bedürfnisse. Maslow beschreibt Selbstverwirklichung als das Bedürfnis einer Person, das zu sein und zu tun, wozu sie geboren wurde. Es ist seine "Berufung". "Ein Musiker muß Musik machen, ein Künstler muß malen, und ein Schriftsteller muß schreiben." Wenn diese Bedürfnisse nicht eingelöst werden, fühlt sich die Person rastlos, angespannt, mit dem Gefühl, dass etwas fehlt. Niedere Bedürfnisse mögen ebenfalls ein rastloses Gefühl hervorrufen, aber hier ist es viel einfacher, den Grund zu finden.

Richtig. Aber laufen solche Karrieren nicht am Ende doch auf ökonomische Anerkennung hinaus? Der Maler will sein Bild nicht nur bewundert sehen, er will es auch verkaufen, selbst wenn er das Geld nicht braucht. Der Verkauf gäbe ihm das Gefühl einer "wirklichen" (realen) Wertschätzung.

Ist dies nicht das höchste Motiv des Handelns? Kann Wirtschaft nicht auch ohne Schuldendruck aus Selbstverwirklichung entstehen?

Ebenfalls sehr gut! Ich habe versucht, das formal dahingehend zu "ökonomisieren", dass ich den Wunsch nach Selbstverwirklichung der Einfachheit halber zur Urschuld schlage. Oder anderes Beispiel: Jemand, der unbedingt den Ferrari und die Villa in St. Tropez am Meer braucht (die wirklich kein Mensch braucht), maximiert seine Urschuld. Eine Hilfskonstruktion, zugegeben, aber sie hilft doch weiter, wenn "Selbstverwirklichung" auf die Realisierung von Wünschen hinausläuft, die an Märkten (und ergo nur mit Hilfe von Kontrakten usw.) realisiert werden können.

Beruht ein Großteil unseres Wohlstandes nicht gerade auf diese Selbstverwirklichungsbedürfnisse, wir arbeiten kann schon Sinn und Verwirklichung geben, wir geben aus, ist materialistischer Lustgewinn. Geht das immer zu Lasten anderer?

Nein, zu Lasten anderer geht das nicht, eher im Gegenteil. Der Ferrari-Arbeiter freut sich doch, dass es die F-14-Freaks gibt.

Können nicht Gläubiger und Schuldner eine Selbstverwirklichungsgemeinschaft, Volkswirtschaft oder gar eine Weltwirtschaft sein, die nicht nur aus Nahrung, Wohnung ... besteht?

Das ist das Grundproblem, in der Tat. Sollte es gelingen, den nach heutigem Verständnis unaufhebbaren Widerspruch zwischen Gläubiger und Schuldner aufzuheben, wären alle sich aus dem Widerspruch ergebenden Folgerungen (wie die Theorie des Debitismus) natürlich erledigt.

Es gibt zahlreiche Bemühungen in dieser Richtung, grundlegend umzudenken. Und wenn ich mich in anderen Foren umschaue - ich denke dabei an die Freiwirte und ihre hoch interessanten Gedanken zum Matrix-Problem - dann stehe ich letztlich vor der Frage: Soll ich mich diesen Bemühungen anschließen, ganz und gar oder nur ein wenig, oder gar nicht. Dass wir in der aktuellen Welt mit dem "gar nicht" materiell (!) am weitesten kommen, kann nicht bestritten werden. Was dabei an "ethischen Werten" drauf geht bzw. gar nicht erst ins Bewusstsein kommt, steht auf einem anderen Blatt und muss nicht groß ausgeführt werden.

Nehmen wir den Mönch, der verzichtet oder die Ordensschwester, die (siehe auch dazu das Freiwirte-Forum) in der Deutschen Bank protestiert und jetzt ein Verfahren wg. Hausfriedensbruches am Hals hat - beides starke Beispiele. Beim Mönch würde ich sagen, er erwartet seinen Payday post mortem. Bei der Schwester ist es schon schwieriger. Aus ihr spricht eine enorme moralische Kraft. Nur sind sie und ihre Bewunderer derart verschwindende Minderheiten, dass es absolut aussichtslos erscheint.

Desungeachtet (jeder muss solche Sachen allein mit sich selber ausmachen) muss die heutige Ökonomie als falsche Welterklärung (jetzt der materiellen Seite dieser Welt) enttarnt werden. Und ihre Behauptungen, alles ließe sich immer zum Guten wenden, ist ein Heilsversprechen, auf das wir nicht hereinfallen dürfen.

Sind diese Bedürfnisse nicht prozentual viel höher zu gewichten, als die Grundversorgung?

Ja, sie sind höher zu gewichten. Dennoch sollten wir uns in Sachen "Grundversorgung" (egal jetzt, was alles dazu gehört) eine stringente Erklärung angewöhnen. Hat man die einmal erreicht (und nach meiner Erfahrung geht es jedem so, der den Debitismus einmal verinnerlicht hat), ist wenigstens dieser Teil des Lebens erklärt und kann als gelöst abgehakt werden.

Gruß

d.

--------------------------

Gruß - Ostfriese


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung